Regina Muhlhauser

Eroberungen


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tatsächlich annahmen, kann bis heute nicht annähernd realistisch beantwortet werden. Aus den bisherigen Forschungsergebnissen den Schluss zu ziehen, es sei während des deutschen Vernichtungskrieges in der Sowjetunion ausnehmend selten zu sexuellen Gewalttaten gekommen, ist meines Erachtens jedoch vorschnell; dem stehen nicht zuletzt zahllose Berichte von Augenzeuginnen und – zeugen entgegen, die darauf hindeuten, dass Angehörige von Wehrmacht, SS, Polizei und Zivilverwaltung in unterschiedlichen Stadien des Krieges sexuelle Gewalttaten verübten.

      Wendy Jo Gertjejanssen hat in ihrer Dissertation» Victims, Heroes, and Survivors «gezeigt, wie vielschichtig das Quellenmaterial ist, mit dem man sich diesem Teil der Geschichte nähern kann.[48] Sie legt ihrer Arbeit allerdings einen ahistorischen Begriff von sexueller Gewalt zugrunde und unterscheidet zum Beispiel Gewalttaten durch deutsche Soldaten nicht von denen durch Soldaten der Roten Armee oder der Partisanen verübte. Insofern gibt ihre äußerst materialreiche Studie letztlich nur sehr wenig Aufschluss über die unterschiedlichen Konstellationen und Funktionen sexueller Gewalt während des Vernichtungskrieges.

      Ob die physischen und psychischen Effekte der sexuellen Aktivitäten von Soldaten nicht direkt mit Kriegführung und Massenmord zusammengedacht werden müssen, fragt indes Elisabeth Heineman in ihrem Literaturbericht» Sexuality and Nazism. The Doubly Unspeakable«:»Erleichterte Sex den Mördern das Morden, entweder weil die Täter ihre Opfer auf diese Weise noch weiter demütigen und entmenschlichen konnten, oder weil Sex ihnen die Gelegenheit bot, Spannungen abzubauen, die die Tötungsaktionen sonst beeinträchtigt hätten?«[49] Zunächst muss man Heinemans Rekurs auf die Entmenschlichung der Opfer wohl differenzieren. Die Opfer dieser Taten mögen sich in jeder Hinsicht zu Recht entmenschlicht gefühlt haben und bis heute fühlen. Tatsächlich gehörte es zu den Strategien der Täter, ihren Opfern genau dieses Gefühl zu vermitteln. Wenn man aber die Gewalttäter und – taten begreifen will, muss man sich damit konfrontieren, dass an der Koppelung von Sexualität und Gewalt – am Besitzergreifen, Erobern, Einnehmen, am Überwältigen, Zerstören und Verunstalten – prinzipiell nichts» Unmenschliches «ist.[50] Man könnte Heinemans Ansatz vielmehr erweitern und fragen, auf welche Weisen sich sexueller Lustgewinn und Lust an der Gewalt verschränken können. In ihrer Studie» An Intimate History of Killing «hat Joanna Bourke anhand von zahlreichen Beispielen von verschiedenen Kriegsschauplätzen deutlich gemacht, auf welch unterschiedliche Weisen Grausamkeit, todbringende Gewalt und (sexuelle) Lust im Krieg verschmelzen können.[51] Gaby Zipfel stellt in diesem Zusammenhang die These auf, dass Männer, die sich mit der Möglichkeit des eigenen Todes konfrontiert sehen, durch die sexuelle und potentiell todbringende Macht über einen anderen Körper» ihre sexuelle Potenz und ihre Fähigkeit, Angst zu überwinden«, affirmieren.[52] Die Überlegungen des Sozialpsychologen Harald Welzer gehen in eine ganz ähnliche Richtung, wenn er konstatiert, dass Situationen absoluter Macht den» Thrill «erzeugen,»absolute Machtausübung gerade in sexueller Hinsicht zu experimentieren«.[53] Die Historikerin kann mit ihrem Werkzeug allerdings kaum eine angemessene Antwort auf diese Fragen finden.

      In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung verstärkt mit dem Vorkommen sexueller Gewalt vor dem Hintergrund absoluter Machtausübung in den Konzentrationslagern auseinandergesetzt. Dabei ist deutlich geworden, dass weibliche Häftlinge mit der Ankunft im Lager unterschiedliche Formen sexueller Gewalt erfuhren.[54] Bereits während der ersten Untersuchung, der Selektion und in den Duschräumen mussten die Frauen dem KZ-Personal halbnackt oder nackt gegenübertreten und physische wie verbale Übergriffe über sich ergehen lassen. Und auch männliche Häftlinge waren Gewaltakten ausgesetzt, die sich gegen ihre sexuelle und körperliche Integrität richteten, selbst wenn sie sie meist nicht als sexuelle Taten begriffen.[55] Uneinig ist sich die Forschung darüber, ob Vergewaltigung oder physische Gewalttaten ähnlicher Schwere gegen Frauen ein häufiges Phänomen darstellten oder eher selten vorkamen. Myrna Goldenberg legt in» Sex, Rape, and Survival «beispielsweise nahe, Vergewaltigung – als verbreitete Gewaltform von Männern gegen Frauen – sei in Konzentrations- und Vernichtungslagern gängig gewesen, wobei sie Übergriffe durch SS-Aufseher mit solchen durch männliche Mithäftlinge zusammendenkt.[56] Na’ama Shik kommt nach ihrer Untersuchung von Hunderten Überlebendenberichten dagegen zu dem Schluss, Vergewaltigungen weiblicher Häftlinge durch SS-Aufseher hätten eher die Ausnahme dargestellt. Sie führt dies vornehmlich auf die NS-Ideologie zurück, die zum strikten Verbot sexueller Kontakte mit Jüdinnen, Sinti- und Roma-Frauen und überdies dazu geführt habe, dass Frauen in der totalen Institution Konzentrationslager völlig auf ihren Körper reduziert worden seien. Die Frauen seien zwar physisch verfügbar gewesen, hätten für die SS-Aufseher aber nur noch einen» Klumpen Fleisch «dargestellt.[57] Im Rahmen der Diskussion, ob sexuelle Gewalt während des Holocaust ein spezifisches Phänomen war oder dieselben Funktionen hatte wie in kriegerischen Konflikten, vermischt Doris Bergen das Vorkommen sexueller Gewalt innerhalb der Konzentrationslager und Ghettos mit den Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in der Kriegssituation in Polen und der Sowjetunion. Mit ihrem Ergebnis bewegt sie sich zwischen den Positionen von Shik und Goldenberg; die Ausübung sexueller Gewalt, so ihr Argument, sei einzigartig und doch verallgemeinerbar gewesen.[58] Vor dem Hintergrund meiner Ausführungen zu sexueller Gewalt im folgenden Kapitel möchte ich zu bedenken geben, ob nicht die Umgebung eine entscheidende Rolle für die Häufigkeit und die Formen sexueller Gewalt spielte. Um dies genauer zu untersuchen, wäre das Vorkommen sexueller Gewalt in den Lagern, den Ghettos, während der Besatzung, an der Front und vor den Erschießungsaktionen zunächst getrennt zu untersuchen, um darauf aufbauend einen Vergleich vorzunehmen.

      Auch die Bordelle in den Konzentrationslagern werden mitunter mit Prostitution im Kriegsgebiet verglichen.[59] Dies führt meines Erachtens aber nur sehr begrenzt weiter, da die Bedingungen vollkommen andere waren. Zwischen 1942 und 1944 richtete die SS in zehn Konzentrationslagern Bordelle für privilegierte männliche Häftlinge ein, um diese zu höheren Leistungen in der Zwangsarbeit anzuspornen.[60] Tatsächlich entsprang dieser Gedanke des Leistungsanreizes derselben Vorstellung, mit der auch die Wehrmacht versuchte, ihre Soldaten durch die Bereitstellung von Militärbordellen psychisch und physisch zu stärken. Während die Soldaten sich aber, vom Kriegsgeschehen im Feld brutalisiert, durch einen Besuch bei den» Frauen des Feindes «belohnten, waren die Häftlinge in den Konzentrationslagern Gefangene, die sich von ihren Aufsehern die Erlaubnis einholten, ihre Mitgefangenen aufzusuchen.[61] Gaby Zipfel gibt zu bedenken, ob es sich dabei nicht um erzwungene Libidinösität unter denkbar unwürdigen Bedingungen handelt.[62]

      Während man bei den Frauen, die für den» Arbeitsdienst Bordell «angeworben wurden, keinesfalls von einer freiwilligen Entscheidung sprechen kann,[63] ist bisher völlig unklar, ob sich die Frauen in den Wehrmachtsbordellen auf besetztem sowjetischen Territorium zur Prostitution entschieden oder sexuell versklavt wurden. Tatsächlich sind die militärischen Bordelle in den besetzten Gebieten der UdSSR bis heute kaum untersucht worden.[64] Seidler hat, wie bereits dargelegt, zwar beschrieben, dass das OKH, das OKW und der Sanitätsdienst der Wehrmacht beträchtliche Mittel aufwendeten, um Bordelle unter militärischer Kontrolle einzurichten, über die besetzten Gebiete der Sowjetunion trifft er jedoch nur vereinzelt Aussagen.[65] In der ersten systematischen Studie zu den Wehrmachtsbordellen in Frankreich hat Insa Meinen 2002 gezeigt, auf welch vielfältige Weise das OKH einheimische Frauen, die als Prostituierte arbeiteten oder dessen verdächtigt wurden, verfolgte und entrechtete. Ihnen drohten rigorose Zwangsmaßnahmen, die von gynäkologischen Untersuchungen über die Einweisung und Verwahrung in Krankenhäusern bis