Regina Muhlhauser

Eroberungen


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erläuterte diese Überzeugung im April 1942:»Wenn der deutsche Mann als Soldat bereit sein «solle,»bedingungslos zu sterben«, dann müsse er» auch die Freiheit haben, bedingungslos zu lieben«.[118] Damit rekurrierte er auf eine gängige Vorstellung, der zufolge Liebe und Kampf die existenziellen Erfahrungen der menschlichen beziehungsweise männlichen Existenz seien. Im Kampf figurierte» Liebe«– womit Hitler in seinen Ausführungen vor allem sexuelle Lust meinte – als Sublimation für die beständige Angst der Männer, getötet zu werden.[119] Das dabei gezeichnete soldatische Ideal war durch Aggressivität, physische Stärke und Virilität geprägt. Die aufgestauten Triebe durften aus dieser Sicht nicht einfach unterdrückt werden, wollte man Krankheiten und unkontrollierbare Ausbrüche vermeiden. Vielmehr sollten sie abreagiert und auf diese Weise gemäßigt und eingehegt werden.[120] Zu diesem Zweck richteten OKH und OKW eigens vom Militär beaufsichtigte Bordelle ein. Damit verbunden war außerdem die Absicht, die Soldaten nachhaltig an das System zu binden, indem die Militärführung Verständnis für den Einzelnen demonstrierte und seine Kampfbereitschaft belohnte.[121] Letztlich erachteten sowohl die Wehrmacht als auch die SS soldatische Sexualität, wie Anette Timm es formuliert hat, als» grundlegenden Treibstoff für den militärischen Apparat«.[122]

      Die detailliertesten Auskünfte über den Umgang der Wehrmacht mit den sexuellen Zusammentreffen ihrer Soldaten geben die Akten der Heeressanitätsinspektion, in denen Korrespondenzen und Berichte von Ärzten, medizinischen Beratern und Sanitätspersonal sowie die Richtlinien für das Verhalten der Truppe und militärische Befehle zur Kontrolle sexuell übertragbarer Krankheiten enthalten sind. Da die Verfasser häufig ausführlich über die Effizienz, die Umsetzung und die Folgen einzelner Maßnahmen stritten, lassen gerade die Briefe Schlüsse über die damit verbundenen Motive zu.

      Einblicke in den Umgang der Wehrmacht mit soldatischer Sexualität sowie mit den Kindern deutscher Männer und einheimischer Frauen eröffnen vereinzelt auch die Akten der Armeeoberkommandos und Divisionen sowie der Kommandanturen der rückwärtigen Armeegebiete, der sogenannten Korücks. In diesen sind unter anderem die Tätigkeitsberichte der Feld- und Ortskommandanturen, der untersten Ebene der Militärverwaltung, überliefert, deren Aufgabe darin bestand, die Zivilistinnen und Zivilisten vor Ort zu überwachen. Da die Offiziere, die diese Berichte 14-tägig an den Kommandanten des rückwärtigen Armeegebiets schickten, Werturteile vermeiden und sich auf das beschränken sollten, was sie als wesentlich erachteten,[123] lässt sich dieser Quelle zwar nur wenig Konkretes über die Motive und das Geschehen entnehmen – die Verfasser hielten die sexuellen» Nöte «der Soldaten in der Regel nicht für berichtenswert und meldeten lediglich besonders brutale Fälle sexueller Gewalt oder Auffälligkeiten bei Bordellbesuchen. Dennoch wird aus den Tätigkeitsberichten deutlich, dass Sexualität zum militärischen Alltag gehörte; nicht zuletzt dokumentieren sie Kontrollmaßnahmen wie die Einrichtung von Wehrmachtsbordellen oder von» Sanierstationen «zur hygienischen Vorund Nachsorge bei sexuellen Kontakten.

      In einigen Fällen kam» Notzucht «durch Wehrmachtssoldaten vor Gericht. Mit den bereits besprochenen Untersuchungen von Birgit Beck und David Raub Snyder sowie der Studie von Christian Thomas Huber sind in den letzten Jahren drei Arbeiten erschienen, in denen die Akten der Wehrmachtsgerichte zu» Sittlichkeitsdelikten «umfassend ausgewertet wurden.[124] In der vorliegenden Untersuchung werden in erster Linie deren Erkenntnisse herangezogen und lediglich einzelne Gerichtsverfahren und Prozessurteile genauer analysiert.

      Auch die SS- und Polizeiführung unter Heinrich Himmler sah sich gezwungen, die Sexualität ihrer Männer zum Thema zu machen. Der Persönliche Stab RF-SS war die Geschäftsstelle, die für alle Belange zuständig war, die nicht in die Fachressorts der SS-Hauptämter fielen. Insbesondere die von hier aus geführte Korrespondenz mit dem Sanitätsdienst der SS macht deutlich, dass zwar strikte Verbote für SS-Männer aufgestellt worden waren,»unerwünschtem Geschlechtsverkehr mit Angehörigen einer andersrassigen Bevölkerung «nachzugehen,[125] die Männer vor Ort aber regelhaft dagegen verstießen. Himmler unterstand zudem der Verein Lebensborn e.V., der 1936 mit dem Ziel der Unterstützung» rassisch und erbbiologisch wertvoller «kinderreicher Familien und alleinstehender Mütter gegründet worden war, sich nach Kriegsbeginn aber auch an den Planungen für die erwarteten Kinder deutscher Männer in Norwegen, den Niederlanden, Frankreich, Polen und der Sowjetunion beteiligte.[126] In der Korrespondenz des RF-SS zeigt sich, dass die Kinder bei Himmler auf besonderes Interesse stießen; er stürzte sich mit einem Eifer in dieses Projekt, der weder den tatsächlichen Kinderzahlen entsprach noch die Praxis oder die Ansichten der Männer vor Ort widerspiegelte.

      Himmler war außerdem Oberster Gerichtsherr von SS und Polizei. Deren Gerichtsbarkeit wurde 1941/42 organisatorisch erheblich erweitert.[127] Das Rechtsverständnis bei SS und Polizei unterschied sich von dem der Wehrmacht, sollte aus Himmlers Sicht die Rechtsprechung doch aus dem» starren Rahmen des Gesetzes «gelöst und» auf die lebendige Persönlichkeit der Richter übertragen «werden.[128] Zu Sexualität finden sich vor allem Stellungnahmen und Korrespondenzen zwischen Himmler und einzelnen Richtern sowie Rechtsberatern beim Hauptamt SS-Gericht. Sie geben Auskunft über die ideologischen Vorgaben der Beteiligten sowie über die Widersprüche und Konflikte, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen den Idealen und der Situation vor Ort ergaben.

      Der Umgang mit sexuell übertragbaren Krankheiten, den Heiratsgesuchen, die deutsche Männer in den baltischen Ländern einreichten, und den Kindern, die sie mit einheimischen Frauen zeugten, beschäftigte auch die zivilen Besatzungsbehörden. Die Bestände des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (RMbO), des RKO oder der Amtsärzte, beispielsweise in Riga oder Minsk, enthalten umfassende, chronologisch abgeheftete Briefwechsel, Notizen und Protokolle. Dank dieser zusammenhängend überlieferten Bestände lassen sich die Diskussionen zu bestimmten Themen, die verschiedenen, oft widerstreitenden, Interessen und das Kompetenzgerangel zwischen den beteiligten Institutionen genauer nachzeichnen. Dabei zeigt sich unter anderem, dass die Akteure im Rahmen ihrer Handlungsspielräume – je nach Überzeugung und Kenntnisstand – unterschiedlich über die Zukunft deutscher Männer und einheimischer Frauen entschieden. In vereinzelten Akten finden sich zudem schriftliche Anfragen oder Stellungnahmen von Soldaten. Deren Auffassungen gehen daraus allerdings kaum hervor; die Schriftstücke dienen in erster Linie dazu, das Anliegen der Betroffenen vor den deutschen Behörden zu rechtfertigen. Aus all diesen Akten lassen sich jedoch die zeitgenössischen Ansichten über Sexualität und geschlechtsspezifisches Rollenverhalten sowie die regimeinternen Auseinandersetzungen darüber entnehmen, was erlaubt und was unerlaubt, was» erwünscht «und was» unerwünscht«, was rechtens und was rechtswidrig sei. Die Perspektive der Frauen fehlt in diesen Quellen völlig.

      Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tendierte die Masse der zurückgekehrten Soldaten dazu, über ihre Kriegserlebnisse zu schweigen, sich in die Privatsphäre zurückzuziehen und sich auf Familie und Beruf zu konzentrieren.[129] Bei zeitgenössischen Umfragen und Fragebogen-Aktionen äußerten viele die Ansicht, sie hätten» verlorene Jahre «hinter sich.[130] Darüber hinaus kam ein großer Teil der Heimkehrer völlig entkräftet aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück, gezeichnet von Unterernährung, anhaltenden Ängsten und Depressionen, die nicht zuletzt mit körperlich wahrnehmbaren Formen der Entsexualisierung und Entmännlichung, zum Beispiel dem Unvermögen zu genitalen Reaktionen, einhergingen. Man kann davon ausgehen, dass die Männer sexuelle Erlebnisse in der Sowjetunion aus verschiedenen Gründen verschwiegen: Generell dürften sie kein Interesse daran gehabt haben, gewaltförmige sexuelle Kontakte zum Thema zu machen. Zudem verheimlichten diejenigen, die nach der militärischen und ideologischen Niederlage zu festen Beziehungen und Ehefrauen zurückkehrten, ihren Partnerinnen vermutlich ihre sexuelle Untreue.