Regina Muhlhauser

Eroberungen


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und in einem Schulgebäude, das vormals ihr Arbeitsplatz war und nun das Hauptquartier der Deutschen ist, verhört wird. Nach einem misslungenen Fluchtversuch foltert der kommandierende Offizier sie mit einer Peitsche und vergewaltigt sie brutal. Danach prahlt er mit seinem sexuellen Erfolg:

      Man hört tosenden Jubel, das Klirren von Gläsern. Der Feldwebel steht in der offenen Tür:

      «Die wilde Katze ist gezähmt«, sagt er.»Männer, sie war eine Jungfrau. Was sagt ihr dazu?«

      Ein weiterer Ausbruch des Jubels, dann schließt er die Tür. Aber ich bleibe nicht lange allein. Die anderen kamen rein. Zehn, einhundert, eintausend, einer nach dem anderen. Sie warfen sich auf mich, gruben sich in meine Wunden, während sie mich schändeten. […]

      Dann ging alles an mir vorbei. Die Deutschen kamen nach wie vor, schleuderten mir obszöne Worte entgegen, lachten über mich, während sie mich folterten. Ich sah sie, aber ich spürte keinen Schmerz.

      Ich war in einer Trance, ich konnte nur noch vermuten, was mir geschah, aber ich wusste es nicht mit Sicherheit.[270]

      Eine wichtige Rolle spielt hier, dass das Opfer vor der Vergewaltigung noch» Jungfrau «gewesen war, was in Russland wie auch in vielen anderen Ländern während des Zweiten Weltkrieges mit Reinheit und Unberührtheit in Verbindung gebracht wurde.[271] Durch ihre Vergewaltigung verlor eine Frau die kulturelle Zuschreibung der Unschuld und galt fortan als» beschmutzt«. Im gesellschaftlichen Verständnis war ihre Ehre dann ebenso verletzt wie die des männlichen Kollektivs, das nicht in der Lage gewesen war, sie zu schützen.[272] Nicht nur in Propagandaschriften, auch in Zeuginnenaussagen spielte – wie bereits erläutert – die Jungfräulichkeit von Vergewaltigungsopfern eine wichtige Rolle. Damit hoben die Erzählerinnen und Erzähler die Unschuld der Opfer hervor und betonten gleichsam die Unmenschlichkeit der Täter. Vergewaltigung von sexuell» unberührten «Frauen hatte insofern ebenso wie Gruppenvergewaltigung einen hohen symbolischen und propagandistischen Wert.

      Ob und inwiefern deutsche Wehrmachts- und SS-Angehörige über ihre Verantwortung für sexuelle Gewalttaten (in der Gruppe oder allein) nachdachten, ist bisher nicht untersucht worden. Selbstzeugnisse ehemaliger Soldaten legen allerdings die Vermutung nahe, dass sie eine Vergewaltigung nicht unbedingt als Gewalt verstanden. In einigen Aufzeichnungen wird die» Erbeutung «von Frauen in humorigem Ton und manchmal anzüglich als etwas geschildert, das jenseits der eigentlichen Kriegshandlungen gelegen habe. Im Tagebuch des Generalmajors Jürgen W., Artillerist bei der 20. Infanteriedivision, heißt es beispielsweise am 7. Oktober 1941 über einen militärischen Erfolg seiner Einheit im Raum Nawlja[273] (Russland):

      Das Btl. [Bataillon] greift links am Wald vorbei gegen Mittag in Richtung auf Saltanowka an, dorthin soll sich der Russe verzogen haben. Wir ziehen bald nach, gehen dicht vor dem Ort mit Grundrichtung Süd in Stellung; das mehrere Kilometer lange Dorf soll durchkämmt werden, ehe wir weiter vorgehen. Nach Aussagen der Ortseinwohner waren hier heute früh noch etwa 20 Panzer und über 1000 Mann. Wenn wir da reingeplatzt wären! Meine Herren! Das Dorf wird gesäubert, in schneidigem Angriff, ála Truppenübungsplatz, geht die 6. Kp. [Kompanie] vor, macht 120 Gefangene und reiche Beute. Auch ein Wohnwagen mit» Damens «für die tapferen Russen wird erbeutet, die Insassinnen sind allerdings durch das M.G.-Feuer leicht beschädigt; aber warum ziehen sie auch in den Krieg.»Leckere Mädchen «meinen die Landser, als sie zurückkommen.[274]

      W.s Darstellung offenbart einen gewissen Stolz sowie Erleichterung über den günstigen Zeitpunkt und die zügige und professionelle Abwicklung des Einsatzes. Über die Gewalt, zu der es bei der» Säuberung «des Dorfes gekommen sein muss, geht er hinweg und beschränkt sich auf die Feststellung, der Angriff sei» schneidig «erfolgt. Als Besonderheit erwähnt er lediglich die weibliche Beute, wobei er andeutet, es habe sich um Prostituierte im Gefolge der Roten Armee gehandelt. Es ist nicht nachweisbar, ob dies den historischen Gegebenheiten entspricht oder ob die als» Damens «diffamierten Frauen nicht eigentlich Soldatinnen oder Krankenschwestern der Roten Armee waren. In jedem Fall verdeutlicht seine rhetorischen Frage —»warum ziehen sie auch in den Krieg«—, dass er militärische Operationen für eine reine Männersache hielt.

      Dass die Landser sich dieser» Frauen des Feindes «bemächtigen dürften, steht für W. offenkundig außer Frage. Wovon die Soldaten eigentlich» zurückkommen«, thematisiert er nicht weiter. Dazu passt, dass W. die Frauen als Ware darstellt —»leicht beschädigt«, aber» lecker«. Die Vorstellung, dass den Soldaten als Ausgleich für die Härten und Entbehrungen ihres Kriegserlebens eine Belohnung zustünde, durchzieht in der Tat W.s gesamtes Tagebuch: Woche für Woche schreibt er über» leckeres «Essen und» feine «Genussmittel wie Bohnenkaffee, Rotwein und Sekt (die vermutlich von Plünderungszügen stammen) und versucht zu begründen, warum er und seine Männer sich diese jeweils verdient hätten.[275] Frauen, so macht die Diktion der zitierten Tagebuchstelle deutlich, fielen aus seiner Sicht in dieselbe Kategorie.

      Auch die Fotosammlung zu W.s» Tagebuch in Russland «enthält einen Hinweis auf sexuelle Gewalt. Auf einem Bild ist eine – nach Beinform und Oberkörper zu urteilen – weiblichen Leiche zu sehen. Ihre Beine sind nackt, leicht angewinkelt und gespreizt, die lange Hose wickelt sich um ihre Füße. Der Fotograf hat das Bild aus stehender Position von schräg oben aufgenommen, die Leiche nimmt das untere Drittel des Bildes ein. Obwohl W. fast alle Bilder in seiner Sammlung penibel beschriftet hat, steht auf der Rückseite dieses Fotos kein Text. Lediglich Ort und Zeit sind mit Bleistift vermerkt:»30. Juni 1941, bei Jeziornico«.[276] Derartige Motive fotografierten Soldaten während des gesamten» Ostfeldzugs«– nicht nur in den ersten Kriegstagen und nicht nur in bestimmten Gebieten. Obgleich die Phase der eigentlichen militärischen Eroberung damit verlassen wird, sollen die Bilder an dieser Stelle generell diskutiert werden. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Blicke unterschieden, mit denen die Soldaten die Opfer solcher Taten betrachteten.

      Eine Fotografie aus dem Besitz eines deutschen Soldaten zeigt die Leiche der erhängten und verstümmelten sowjetischen Widerstandskämpferin Soja Kosmodemsjenskaja, aufgenommen 1941 in der Nähe von Moskau. Sie liegt auf dem Boden, ihr Kopf ist unnatürlich nach oben gedreht; auf dem Bild sieht man sie nur bis zum Bauch. Ihr Oberkörper ist entblößt, und der Blick des Betrachters wird vor allem auf ihrer Brustwarze gelenkt, die rechts von der Bildmitte zu sehen ist.[277] Eine andere Aufnahme aus Klooga[278] (Estland), datiert auf das Jahr 1942, zeigt laut Bildunterschrift eine» vergewaltigte und ermordete Jüdin«; abgebildet ist eine fast nackte Frauenleiche mit gespreizten Beinen, deren offene Jacke ihren nackten Oberkörper enthüllt. Der Betrachter schaut gewissermaßen von oben auf ihre entblößte Brust; links unten im Bild ist der Schatten des Fotografen zu sehen.[279] Anders als im erstgenannten Beispiel stehen die Leichen der Frauen bei diesen beiden Fotografien im Zentrum des Bildes; die Anordnung scheint auf die Schaulust und den Schauzwang der Fotografen hinzudeuten. Dieter Reifarth und Viktoria Schmidt-Linsenhoff, die zahlreiche Soldatenfotos von Verbrechen in der Sowjetunion analysiert haben, weisen darauf hin, dass Fotografieren eine Steigerung der Schaulust, ein» potenziertes, intensiviertes Sehen «sein kann, und das Fotografieren wie auch das spätere Betrachten der Bilder Erlebnisqualität bekommt.[280] Speziell bei diesen Bildern wird dabei nicht nur das voyeuristische, sondern auch das pornografische Element überdeutlich in Szene gesetzt.

      Ein Beispiel aus dem polnischen Swiahel offenbart eine andere Art des Blicks: Zu sehen ist eine Frauenleiche auf einem Bettgestell, vermutlich in einer Scheune, da Bett und Raum mit Stroh ausgelegt sind. Der Rock der Frau ist hochgeschoben, ihre Beine sind nackt und nach außen gedreht. Der Soldat, der diese Aufnahme 1941 gemacht hat, fotografierte die Frau aus relativ großem Abstand, wodurch das Bild dokumentarischen Charakter bekommt; der Akt des Fotografierens scheint hier anders als bei den zuvor beschriebenen Bildern der Distanznahme zu dienen.