verschiedentlich militärische Befehle zur Eindämmung der Alleingänge, in der historischen Gesamtschau zeigt sich aber, dass die Plünderungen weitgehend toleriert wurden.[305] Eine Zeitzeugin aus Tscherkassy beschreibt im Interview mit Wendy Jo Gertjejanssen die Maßlosigkeit, die die Männer dabei an den Tag legten:
Und sie machten, was immer sie wollten. Sie nahmen uns die Hoffnung. Sie kamen ganz schnell rein und fragten nach Eiern und Milch, brüllten, schrien, rannten den Mädchen hinterher, nahmen sich alles. Sie töteten sogar Schweine. Sie aßen. Sie zerstörten alles und aßen Eier, Milch, rannten zwischen den Häusern und brüllten:»Wo sind die Eier und die Milch?«Sie waren schon von anderen genommen worden![306]
Dass Frauen und Mädchen bei solchen Raubzügen schnell selbst zur» Beute «werden konnten, geht auch aus den Berichten und Gerichtsurteilen von Wehrmacht und SS hervor.[307] Ein Fall von erzwungenem oralen Sex ist in diesem Zusammenhang ebenfalls bekannt geworden.[308] Elena Kozhina, die solche Plünderungen als junges Mädchen in Russland erlebt hat, kommentiert ihre Erinnerungen daran mit den Worten,»es ging nicht mehr um die Beschlagnahmung von notwendigen Dingen, sondern nur noch um eine beleidigende Erinnerung daran, dass die Soldaten unbegrenzte Macht innehatten«.[309]
Zu entsprechenden Machtdemonstrationen kam es auch im Zuge der Einquartierung deutscher Soldaten in Privathäusern und Wohnungen. Auf dem Land wurden – trotz eines strikten Verbots[310] – relativ häufig Einzelunterbringungen bei Bauern organisiert. Dies führte dazu, dass die Soldaten für Tage, Wochen oder Monate Tür an Tür oder, wenn es sich etwa um eines der typischen Einraumholzhäuser handelte,[311] sogar im selben Zimmer mit einheimischen Frauen lebten. Mitunter fühlten sie sich in diesen Unterkünften durchaus wohl, notierten in ihren Tagebüchern wiederholt, dass sie abends immer möglichst schnell» nach Hause «wollten.[312] Unter solchen Umständen konnten, wie noch dargestellt werden wird, einvernehmliche Verhältnisse und romantische Beziehungen entstehen, jedoch kam es auch zu sexuellen Übergriffen. Anton Meiser, Jahrgang 1912, war als Infanterist der Wehrmacht zunächst in Frankreich und ab Ende 1943 in Russland stationiert. 1998 veröffentlichte er sein Kriegstagebuch» Die Hölle von Tscherkassy«, das auf zeitgenössischen Tagebucheintragungen beruht, von ihm jedoch für die Publikation erweitert, mit Zwischenüberschriften versehen und in die Form des Erinnerungsberichts gebracht worden ist. Unter der Überschrift» Eine Schandtat «berichtet er von sexueller Gewalt:
Als ich in mein Quartier zurückkam […], stellte ich sofort eine Veränderung bei den Russen fest. […] Es waren gute Leute, sie beteten […] für einen Feind! Umso erstaunter war ich jetzt, als sie mir sichtlich aus dem Wege gingen. Der Vater schaute finster drein. Die Frauen weinten viel. Ich konnte mir keinen Vers darauf machen, vermutete sogar, es könnten vielleicht Partisanen den Vater bearbeitet haben und verpflichten wollen. […] Über Tage hielt ich mich meistens auf der Rechenstelle auf. Als ich abends in dem Hause mich zum Schlafen legte, bestiegen sie ihre Schlafstatt auf dem Backofen. Ich hatte das einzige Bett mit Beschlag belegt. Das Mädchen schlief sonst während der Einquartierung unter dem Backofen auf dem Vorbau. Mein Bett stand gegenüber an der Wand. Alle schliefen in Kleidern. An diesem Abend stieg das Mädchen ebenfalls auf den Backofen. Ihre Angst war unverkennbar. Ich war sehr misstrauisch geworden und hielt unauffällig meine Pistole schussbereit unter der Decke. Ich tat so, als schliefe ich. Da stieg der Vater vorsichtig vom Ofen herab, ging zur Tür und verriegelte dieselbe. Bisher hatten sie die Tür nie verschlossen. Das war in russischen Dörfern nicht üblich. Nun, ich hatte nichts dagegen, so konnte niemand von draußen herein. Schlafen aber konnte ich nicht, weil ich über den Grund grübelte. Plötzlich hörte ich draußen Schritte, sie kamen zur Tür. Ich entsicherte wieder meine Pistole, stand auf und stellte mich hinter die Tür. Auf dem Backofen beteten die Leute jetzt laut. Die Klinke ging herab, aber die Tür nicht auf. Ein Gewehrkolben stieß nun gegen die Tür, und die mir bekannte Stimme des Gefr. Leo ertönte. Er forderte das Mädchen auf, sofort zum Arbeiten zu kommen. Die Frauen weinten jetzt laut auf. Das Mädchen klammerte sich an die Mutter. Leo rief wieder laut und verärgert:»Paninka, roboder, pistro, pistro!«Innen ertönte lautes Weinen. Ich öffnete stumm die Tür, blieb aber noch im Verborgenen. Gefr. Leo ging zum Ofen, zog das Mädchen an den Füßen, um es herabzuziehen. Der Vater knirschte mit den Zähnen, wagte aber keine Gegenwehr. Jetzt war mir alles klar und ich donnerte Leo an:»Zurück! Stillgestanden!«Er fuhrt herum und stieß erschrocken aus:»Sie hier?«Ich verlangte sofortige Aufklärung. Er war von zwei Oberwachtmeistern geschickt. Auch gestern hatte er das Mädchen in deren Auftrag geholt. Sie hatten es vergewaltigt.[313]
In der Gesamtschau seines Tagebuchs nutzt Meiser gerade diese Passage, um sich selbst – in Abgrenzung zu seinen Kameraden – als verantwortungsvollen Mann und Soldaten darzustellen. Der Umgang mit sexueller Gewalt fungiert dabei, wie schon im Kontext des Nürnberger Prozesses erläutert, als» Ehrenbeweis«. Die Frau, ihr Vater und die ganze Familie seien» anständig «und ihm fortan auf ewig dankbar gewesen. In Meisers Darstellung war er es auch, der auf einer Bestrafung der Männer bestand – allerdings hätten sie lediglich eine Disziplinarstrafe erhalten, da er seinen Kameraden letztlich nicht dauerhaft habe schaden wollen.
Wie Birgit Beck zeigt, kamen entsprechende Straftaten mitunter aber durchaus vor ein Wehrmachtsgericht. Ende März 1942 fuhr der Kanonier Heinz B. mit mehreren Kameraden in den kleinen Ort Suglitz (Russland), um Heu und Kartoffeln zu organisieren. Die Männer rechneten damit, dass die Aktion mehrere Tage dauern würde, und quartierten sich in der Hütte einer Frau ein, die mit ihrer kleinen Tochter und einer 23-jährigen Russin zusammenlebte, die man aus Moskau evakuiert hatte. Bereits vor der Reise hatte B. vor seinen Kameraden geprahlt, er werde sich eine Frau» beschaffen«. Im Laufe des Aufenthalts bedrohte er die Hausbewohnerinnen mit seiner Waffe und machte sich mehrere Gelegenheiten zunutze, um die junge Moskowiterin zu vergewaltigen. Das Gericht der 339. Infanteriedivision verurteilte B. zu vier Jahren Zuchthaus. Es begründete diese vergleichsweise hohe Strafe damit, dass es sich um ein» stark partisanenverseuchtes Gebiet «gehandelt habe und B. mit seiner Tat dazu beigetragen hätte, die Bewohner aufzuwiegeln und in die Reihen der Widerständler zu treiben – eine Befürchtung, die in den Urteilen der Wehrmachtsgerichte häufiger zum Tragen kam.[314]
In den Städten ordneten die Kommandanturen dagegen an, die Einwohner seien aus ihren Wohnungen und Häusern zu vertreiben, bevor die Deutschen dort einzogen – und zwar nicht nur aufgrund des Platzmangels, sondern vor allem um freundschaftliche und sexuelle Kontakte zwischen deutschen Soldaten und der einheimischen Bevölkerung zu verhindern und Spionage vorzubeugen. Ab Herbst 1941 ließen sie sogar ganze Stadtviertel räumen.[315] Die Bewohnerinnen und Bewohner mussten sich anderswo eine Unterkunft suchen. Für Frauen bedeutete dies oft den Verlust des Raums, der ihnen bis dato als Rückzugsort und Schutz vor sexuellen Angriffen gedient hatte. Sie waren gezwungen, sich neu zu orientieren und andere Verstecke zu finden. Aus Platzmangel und um nicht allein zu sein, lebten viele Frauen mit ihren Kindern in Gruppen zusammen. Wenn deutsche Patrouillen auf solche gemeinschaftlich genutzten Unterkünfte stießen, bot sich ihnen die Gelegenheit, mehrere Frauen zu vergewaltigen, gegebenenfalls sogar wiederholt. Infolge solcher Übergriffe entschieden Frauen sich mitunter, ihren Schlafplatz häufiger zu wechseln.[316]
Verschiedene Berichte zeugen davon, dass deutsche Männer sich insbesondere in den Abendstunden, nach Einbruch der Dunkelheit, nach einheimischen Frauen umsahen. Am 6. Dezember 1941, ein knappes halbes Jahr nach der deutschen Besetzung Rigas, notierte die litauische Augenärztin Dr. Elena Kutorgiene-Buivydaite in ihrem Tagebuch, die Frauen würden sich fürchten,»nach 8 Uhr abends auf die Straße zu gehen, da die Deutschen sie überfallen und verschleppen«.[317] Mitunter drohten die Soldaten den Frauen auch, sie oder ihre Töchter seien» als nächste an der Reihe«.