Regina Muhlhauser

Eroberungen


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Protokoll enthält jede Menge Ungereimtheiten: Man erfährt zum Beispiel weder, wann und wie es dem Beschuldigten gelang, das erste Opfer, die Tänzerin S.,»erheblich «zu verletzen und zu knebeln, hatte sie sich angeblich doch umgehend losreißen und verbergen können; noch wird geklärt, wie der hinzugekommene Wehrmachtssoldat sich während des zweiten Vergewaltigungsversuches verhielt. Rohdes Bewertung der Beteiligten ist jedoch eindeutig: Die Frauen sind ehrenwert – zwar ängstlich, aber in der Lage, sich zu schützen und die versuchte Vergewaltigung zu verhindern —, der Wehrmachtsangehörige H. dagegen ist ein trunkener» Wüstling«. Rohde selbst begründet diese dichotome Darstellung mit seinem» persönlichen Eindruck«. Indes hatte Alfred H. nicht nur dem Ansehen der Wehrmacht geschadet, sondern mittels der Vortäuschung einer falschen Identität auch die Polizei in Verruf gebracht; das dürfte Rohdes Urteil maßgeblich beeinflusst haben. Der Standartenführer beim SS- und Polizeiführer verdächtigte H., der offensichtlich über gute Kenntnisse der russischen Sprache verfügte, überdies,»Elementen […], mit denen wir z. Zt. im scharfen Kampfe stehen«, gefälschte Personalpapiere beschafft zu haben.[333] Er forderte insofern» die strengste Bestrafung «des Angeklagten. Ob es zu einer Gerichtsverhandlung kam, geht aus den Akten allerdings nicht hervor.

      Mitunter konnten sexuelle Gewalttaten auch mit gezielten politischen Machtdemonstrationen in Zusammenhang stehen. Bernhard Chiari stellt fest, dass deutsche Männer auf» kleine Belohnungen und Vergünstigungen «für die einheimische Bevölkerung verschiedentlich Gewaltausbrüche, auch sexuelle Angriffe, folgen ließen. Er schildert einen Fall in der Nähe von Minsk im Rayon Cerven, wo 1942 auf einer deutschen Propagandaveranstaltung das zukünftige Prämiensystem für die Bauern – nach der» Befreiung Weißrußlands vom Joch des Bolschewismus«– vorgestellt wurde. Am nächsten Tag vergewaltigten 16 deutsche Männer ein 15-jähriges Mädchen auf offener Straße. Die Tat war äußerst brutal, dem Opfer wurden beide Augen ausgestochen.[334] Nur wenige Tage danach befahl eine Gruppe deutscher Männer einigen jungen Frauen, sich auf dem Marktplatz nackt auszuziehen und einen weißrussischen Volkstanz aufzuführen. Als die Frauen sich weigerten, wurden sie erschossen.[335] Auch hier vermittelten die sexuellen Gewaltakte der einheimischen Bevölkerung die Macht der Besatzer.

      Partisanenbekämpfung

      Ab August 1941 machte sich erstmals organisierter Widerstand außerhalb der Roten Armee bemerkbar. Partisanengruppen verübten Anschläge auf deutsche Truppen und deren Infrastruktur im Hinterland, insbesondere im Operationsgebiet der Heeresgruppe Mitte, und überfielen Einheimische, die der Kollaboration verdächtigt wurden. Zunächst waren die Aktionen noch kaum koordiniert, und die meisten Gruppen lösten sich im Winter 1941/42 auf. In den ersten Monaten des Jahres 1942 begann die sowjetische Führung, vor allem der NKWD, jedoch mit dem systematischen Aufbau einer sowjetischen Partisanenbewegung, und ab dem Sommer nahmen die Aktionen ein deutlich größeres Ausmaß an. Mitte 1943 erlangten die Partisanenverbände schließlich zentrale militärische Bedeutung. Sie verursachten erhebliche wirtschaftliche und infrastrukturelle Schäden, brachten ganze Gebiete unter ihre Kontrolle und unterstützten die immer erfolgreichere Rote Armee.[336] Die Aktionen gegen die Deutschen gingen vielfach mit Gewalttaten gegen die einheimische Bevölkerung einher, nicht selten auch mit sexueller Gewalt.[337] Ein großer Teil der Menschen fühlte sich insofern zwischen den deutschen und den sowjetischen Kämpfern eingeschlossen.

      Die Wehrmacht stufte die Partisanenverbände anfangs nicht als ernsthafte Gefahr, sondern vor allem als kurzfristiges Problem für die Nachschubversorgung ein. Deutsche Soldaten waren zudem für den Kampf gegen Untergrundgruppen weder ausgebildet noch ausgerüstet. Erst im Frühjahr und Sommer 1942, nach ersten Großunternehmen gegen» Partisanen«, die mitunter in unterschiedslosem Massenmord an der Zivilbevölkerung mündeten, befasste sich das OKH intensiv mit dem weiteren Vorgehen im Partisanenkrieg. Die Besatzungskräfte sollten die Bevölkerung strikt trennen: in diejenigen, die den Deutschen zugeneigt waren, und diejenigen, die die Partisanen unterstützten. Eine solche Unterscheidung erwies sich jedoch als unmöglich, weshalb die Zivilbevölkerung insgesamt unter Verdacht geriet. In einigen Städten ordneten die Kommandanturen gar die Internierung aller erwachsenen Männer an.[338] Generell gingen die deutsche Sicherheitspolizei und die Militärstellen davon aus, der Widerstand sei kommunistisch motiviert; ganz im Sinne des antisemitischen Stereotyps vom Juden als» Strippenzieher «gingen sie jedoch immer wieder von Juden als» Hintermännern «der Organisation aus.[339] Einem OKW-Befehl vom Dezember 1942 zufolge waren die Soldaten gehalten, Partisanen und diejenigen, die in Verdacht standen, Partisanen zu unterstützen, im Anschluss an ihre Vernehmung sofort zu erschießen oder an die Sicherheitspolizei zu übergeben. Partisanenaktionen gegen die Deutschen sollten zudem mit kollektiven Vergeltungsmaßnahmen gegen die ortsansässige Bevölkerung beantwortet werden. Die Truppe war» berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt«.[340]

      Bei der» Durchkämmung «von Dörfern auf der Suche nach» zersetzenden Elementen«– Juden und Kommunisten – drangen deutsche Soldaten in die privaten Unterkünfte der Bevölkerung ein. In einer Reihe von Erinnerungsberichten heißt es, Angehörige von Sicherheitsdienst und Wehrmacht hätten beim Betreten eines Hauses mitunter sowohl Männer als auch Frauen gezwungen, den Oberkörper zu entblößen.[341] Ob solche Übergriffe von den Betroffenen als sexuell demütigend oder verletzend wahrgenommen wurden, war geschlechtsspezifisch und subjektiv. Männer waren es zwar oft gewohnt, sich mit bloßem Oberkörper zu zeigen, sexuelle Scham mochte sich aber beispielsweise einstellen, wenn jemand ein körperliches Gebrechen hatte oder streng religiös lebte. Für Frauen war bereits das Ausziehen ihres Hemds vor den Augen anderer so unüblich, dass dies als Angriff auf ihre sexuelle Integrität empfunden werden konnte. Gerade junge Frauen, die sich noch nie einem Mann nackt gezeigt hatten, erlebten dies möglicherweise als besonders beschämend. In jedem Fall stand Nacktheit vor den Augen des bewaffneten Feindes, zumal wenn sie in den eigenen vier Wänden erzwungen wurde, für eine Entwürdigung und besondere Schutzlosigkeit.[342]

      In vielen Fällen berührten die Eindringlinge insbesondere die Frauen auch mit ihren Waffen, während sie sexualisierte und obszöne Kommentare über ihre Figur oder die Größe und Festigkeit der Brüste abgaben. Mitunter wurden Leibesvisitationen durchgeführt, wobei man die Körperöffnungen durchsuchte, um verborgene Wertgegenstände oder Botschaften aufzuspüren.[343] Männer mussten oft auch ihre Hose und Unterwäsche herunterlassen, um ihre Genitalien inspizieren zu lassen. War ein Mann beschnitten, galt er als Jude. Die Quellen lassen vermuten, dass die Soldaten die Männer ebenfalls mit Waffen oder Stöcken berührten und beispielsweise den Penis ihrer Opfer damit hochhielten, um ihn genauer zu begutachten. Auch dies konnte mit Kommentaren über die Größe des Geschlechts oder den Körper des Mannes einhergehen.[344]

      Eine besondere Facette der Partisanenbekämpfung stellte der Umgang mit waffentragenden Frauen dar. Schätzungen zufolge gab es in den Partisaneneinheiten und der Roten Armee zusammen rund eine Million Frauen, von denen etwa die Hälfte bewaffnet war.[345] Der Weißrussische Stab der Partisanenbewegung gab den Anteil der Frauen in weißrussischen Einheiten 1946 mit 7,83 Prozent an.[346] Mochten deutsche Soldaten den gegnerischen Kämpfern von Fall zu Fall auch Respekt entgegenbringen, für Frauen in Waffen galt das in der Regel nicht.[347] Generell bedeuteten waffentragende Frauen für das maskuline soldatische Selbstverständnis eine besondere Irritation und Provokation. Zeugenaussagen, Tagebücher, Briefe und Fotografien deutscher Soldaten offenbaren, dass die kämpfende Frau in den Augen vieler einerseits widernatürlich, grausam und gefährlich,