den beschriebenen Posen vorgefunden wurden oder im Nachhinein – möglicherweise sogar für das Foto – arrangiert worden sind, lässt sich nicht feststellen. Aber auch in mündlichen Berichten ehemaliger Soldaten und in Aussagen von Einheimischen wird die Zurschaustellung halbnackter oder nackter Frauenleichen in verdrehter Position zum Thema gemacht.[282] Wendy Lower schildert in ihrer Studie zur deutschen Vernichtungspolitik in der Ukraine einen Fall aus Shitomir,[283] wo Angehörige von SS und Polizei eine Ukrainerin zunächst vergewaltigten, dann ermordeten und an einer Straßenecke aus dem Auto warfen.[284] Im Interview mit Wendy Jo Gertjejanssen gibt ein Zeitzeuge aus der Provinz Tscherkassy[285] (Ukraine) an, im Februar 1944 die halbnackte Leiche einer Frau am Straßenrand gesehen zu haben. Sie habe in einer Blutlache gelegen und mehrere Schusswunden aufgewiesen. Er geht davon aus, dass sie vergewaltigt und danach ermordet wurde.[286]
Einige Erzählungen und Gerüchte lassen vermuten, dass es auch Fälle gab, in denen die Soldaten den Körper einer Frau erst nach ihrer Ermordung sexuell missbrauchten.[287] Verschiedentlich sind Frauen außerdem verstümmelt worden. Einige Zeitzeuginnen und – zeugen berichten von Frauenkörpern mit abgeschnittenen Brüsten oder aufgeschlitztem Bauch.[288] Vereinzelt heißt es, deutsche Männer in Uniform hätten eine Frau nackt an ein Brett genagelt oder aufgehängt.[289] Zwei Zeitzeugen erinnern sich an Frauenleichen, deren Vagina mit einer Flasche zugestopft war.[290] Auch die Leichen von Männern wurden mitunter genital verstümmelt. Das Entstellen männlicher Leichen wurde mit Beginn des Krieges sogar auf beiden Seiten zum Thema der militärischen Propaganda,[291] und viele deutsche Soldaten schrieben darüber in Tagebüchern und Briefen.[292] Während diese Praxis von den Zeitzeugen in erster Linie als Angriff auf die nationale und militärische Stärke gewertet wurde, zielte das öffentliche Zurschaustellen nackter oder halbnackter Frauenkörper real und symbolisch auf die Zerstörung der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen – denn wie bereits erläutert, galten Frauen als Hüterinnen der nächsten Generation und der Kultur.[293]
In solchen Fällen offenbart sich zudem eine Feindseligkeit gegenüber Frauen, die so weit reichte, dass diese auch nach ihrem Tod noch gedemütigt und bestraft wurden. Rolf Pohl vertritt die These, dass das Gefühl sexueller Erregung und Entäußerung den vorherrschenden soldatischen Selbstentwurf, dem zufolge der Einzelne seinen Körper vollkommen unter Kontrolle hat, als wahnhafte Illusion entlarvt. Dabei entstehe, ähnlich wie im oben bereits erörterten Fall von Sala Pawlowicz, ein» Hass auf das eigene (sexuelle) Begehren […], für das die Frau verantwortlich gemacht und deshalb bestraft wird«.[294] Tatsächlich kann man Zeugenaussagen von Kriegsvergewaltigern aus anderen Kriegen die Überraschung und Scham der Männer darüber entnehmen, dass ihre Gewaltausübung mit sexuellen Lusterfahrungen einherging. Gaby Zipfel hat davon ausgehend die These aufgestellt, dass Vergewaltigungsopfer vielleicht deswegen so häufig ermordet werden, weil die Täter sich ihnen auf diese Weise offenbart haben.[295]
Überdies wird am Beispiel der nackten oder halbnackten weiblichen Leichen besonders deutlich, dass sexuelle Gewalt sich nicht nur gegen die Opfer richtete. Die entblößten Frauenkörper sollten gesehen werden, sie waren ein Beweis für das Vorkommen sexueller Gewalt und für die Ohnmacht der Opfer. Während des Krieges in der Sowjetunion vermittelten sie unterschiedliche Botschaften an verschiedene Gruppen: Erstens führten sie denen, die die Taten beobachteten, die eigene Macht- und Schutzlosigkeit vor Augen.[296] Zweitens griffen die Frauenkörper als Beweis der Taten das Selbstverständnis der einheimischen Bevölkerung an (insbesondere das der Männer, die nicht in der Lage gewesen waren,»ihre «Frauen zu schützen). Und drittens demonstrierten sie den Mittätern aus dem Männerbund Wehrmacht/SS die entschlossene Aggressivität ihrer Kameraden.
Kriegsalltag[297]
Bei ihrem Vormarsch in Richtung Osten trafen die deutschen Truppen auf eine Gesellschaft, die sich in ihrer Zusammensetzung seit dem 22. Juni 1941 gravierend verändert hatte. Das galt vor allem für die Einwohnerschaft der Städte. Nachdem die sowjetische Führung wie die Bevölkerung von dem deutschen Einmarsch zunächst offenbar überrascht worden waren, begann man bald, Evakuierungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Zunächst sollten hohe Funktionäre aus Partei, Staat, NKWD und Armee, danach Facharbeiter mit ihren Familien und Betrieben – beides Personenkreise, die überwiegend in den Städten lebten – und anschließend Kinder unter 15 Jahren in Sicherheit gebracht werden. Weitere Evakuierungen lagen im Ermessen der regionalen Verwaltungen. In den grenznahen Westgebieten, die noch im Juni von den Deutschen erobert wurden, hatten nur etwa 10 Prozent der Stadtbewohner fliehen oder organisierte Transporte erreichen können. Zur Verlegung ganzer Bevölkerungsgruppen kam es erst im Laufe des Juli. In den Gebieten weiter östlich, in denen den sowjetischen Behörden mehr Zeit blieb, nahmen die Evakuierungs- und Fluchtbewegungen ein weitaus größeres Ausmaß an. In Charkow[298] (Ukraine) oder Bobrujsk[299] (Weißrussland) waren die Bevölkerungszahlen bis zum Winter 1941/42 beispielsweise auf rund die Hälfte zurückgegangen, in Gomel auf ein Drittel. Weiter nördlich in Nowgorod[300] (Russland) und Pleskau blieb sogar nur jeder Achte zurück. Auf dem Land indes, wo die Mehrheit der Menschen lebte, fiel der Rückgang der Bevölkerung mit rund 15 Prozent weniger drastisch aus. Auch hier wurden Funktionseliten aus Staat und Partei evakuiert, im Wesentlichen ist die verminderte Bevölkerungszahl auf dem Land jedoch auf die Einberufung junger Männer zur Roten Armee zurückzuführen.[301] Insbesondere in den bedrohten oder umkämpften Regionen war die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit also der sowjetischen Führungsschicht und eines Großteils der Männer zwischen 18 und 35 Jahren beraubt. Die Bevölkerung, die unter deutsche Verwaltung geriet, bestand nun hauptsächlich aus Frauen, Kindern und älteren Menschen.[302]
Zu Beginn des Krieges hatten die deutschen Besatzer durchaus die Gelegenheit, eine in weiten Teilen des Besatzungsgebietes sowjetkritische bis – feindliche Gesellschaft für sich zu gewinnen – zumal der Umstand, dass die vielerorts verhasste politische Führungsschicht im Zuge der Evakuierungen verschwunden war, ein politisches Vakuum hinterlassen hatte. So heterogen die Verhältnisse in den verschiedenen sowjetischen Gebieten auch waren, so hatten weite Teile der Bevölkerung doch sowohl unter der Zwangskollektivierung als auch unter den massiven politischen Verfolgungsmaßnahmen der 1930er Jahre gelitten. Die Hungerkatastrophe der Jahre 1931 bis 1934 im Süden der Sowjetunion, die insbesondere in der Ukraine verheerende Folgen gehabt und zur Auslöschung ganzer Dörfer geführt hatte, war vielen ebenfalls noch lebhaft im Gedächtnis.[303] Die Erwartungen, die sie beim Einmarsch der Deutschen im Hinblick auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse gehegt haben mögen, machten diese jedoch rasch zunichte. Zwar dürften die direkten, persönlichen Erfahrungen, die die Einheimischen mit den Deutschen machten, je nach Zeitpunkt, Region, Religion und» rassischer «Zuschreibung, aber auch abhängig von der Zusammensetzung und Diszipliniertheit der jeweiligen militärischen Einheiten, unterschiedlich gewesen sein. Zerstörungen und Plünderungen gab es jedoch überall. Zum einen sahen die deutschen Kriegspläne die wirtschaftliche Ausplünderung der Sowjetunion von Anfang an vor, um die Versorgung der Wehrmacht und der» Volksgemeinschaft «sicherzustellen.[304] Zum anderen fielen die Soldaten, wie unter anderen Omer Bartov und Christian Gerlach gezeigt haben, bereits kurz nach dem Einmarsch über die militärisch angeordneten Requirierungsmaßnahmen hinaus