Augenzeuginnen und – zeugen aus unterschiedlichen Regionen geben an, dass Frauen sich verkleideten, sich allnächtlich auf einen Dachboden oder in einen Keller begaben oder dauerhaft in Verstecken lebten.[319] Einige Frauen schützten ihre Menstruation, Typhus oder andere Krankheiten vor, um körperlichen Übergriffen zu entgehen.[320] In literarischen Darstellungen taucht das Motiv auf, dass manche Frauen vortraten und sich vergewaltigen ließen, um anderen, in aller Regel sexuell unerfahrenen» Jungfrauen«, Töchtern oder Schwestern, dieses Schicksal zu ersparen.[321] Die Quellen deuten darauf hin, dass die Ängste der Frauen durch Berichte der sowjetischen Medien über die Vergewaltigung und Verschleppung von Frauen noch geschürt wurden.[322]
Wenn Frauen weite Wege auf sich nehmen mussten, um Geld zu verdienen oder Lebensmittel zu organisieren, waren sie ebenfalls besonders gefährdet. Eine Ukrainerin erinnert sich in einem Brief aus dem Jahr 1999 an die Erfahrungen, die sie mit den deutschen Besatzern machte, bevor sie 1942 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland deportiert wurde:
Im Oktober 1941 ging ich in Dnjepropetrovsk mit jungen Leuten, die älter waren als ich, am Rande der Stadt Kartoffeln graben. Auf dem Rückweg gesellten sich deutsche Soldaten zu uns. Wir unterhielten uns fröhlich in der fremden Sprache … Aber o weh, plötzlich wie auf Kommando fingen die jungen Leute (rebjata) an wegzulaufen, aber die harten Hände des Soldaten ließen mir keine Möglichkeit, ihnen zu folgen. Mein Hilfeschrei verhallte ungehört, weil mein Mund zugehalten wurde. Zum ersten Mal fühlte ich mich verraten. […] Die Mama brachte mich im Dorf zu einer alten Frau und fragte nicht einmal, warum ich nachts nach Hause gekommen war und ganz verkratzt war, in zerrissenen Kleidern und in Tränen.[323]
Die Briefschreiberin stellt ihre Naivität und Unerfahrenheit in den Vordergrund. Mit ihrer Betonung der unbeschwerten Unterhaltung in der» fremden Sprache«, in die das Verbrechen unerwartet hereinbrach, unterstreicht sie, dass ihr die Gefahr einer Vergewaltigung nicht gegenwärtig gewesen sei und sie insofern auch keine Vorsichtsmaßnahmen habe ergreifen können. Wie in der Einleitung bereits ausgeführt, mag dies ein Hinweis auf den Rechtfertigungsdruck sein, dem sich viele Frauen nach Kriegsende ausgesetzt sahen, zu beweisen, dass sie die Männer in keiner Weise ermuntert hatten, sondern ohnmächtig und hilflos gewesen waren.
Aufschlussreich ist in der Darstellung der Ukrainerin zudem die Reaktion der Mutter, die keinesfalls überrascht war, ihr keine Fragen stellte, sie aber offenbar umgehend zu einer Behandlung durch» eine alte Frau «brachte – möglicherweise, um einer Schwangerschaft vorzubeugen. Deutlich wird hier, dass sexuelle Gewalt als eine Art offenes Geheimnis behandelt wurde, von dem alle wussten, über das man aber höchstens abstrakt oder indirekt sprach. Tatsächlich führt die Zeitzeugin diese Herangehensweise in gewisser Weise fort, wenn sie die eigentliche Gewalterfahrung ausspart und darauf baut, dass der Leser wissen wird, wovon sie spricht. Vermutlich versuchten viele Frauen, die sexuelle Gewalt am eigenen Leib erfahren hatten, das Geschehene vollständig zu verheimlichen, um nicht in Verruf zu geraten. Für die deutschen Soldaten war dies durchaus von Vorteil: Viele Taten blieben dadurch im Verborgenen.
Die Transporte, mit denen» Ostarbeiterinnen «in Richtung Deutschland gebracht wurden, eröffneten deutschen Männern ebenfalls Möglichkeiten, Frauen sexuell zu belästigen und zu vergewaltigen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen stand zunächst der lokale Arbeitseinsatz der einheimischen Bevölkerung im Vordergrund. Ab dem Frühjahr 1942 begann jedoch die umfassende Registrierung von Arbeitskräften für den Einsatz im Reich – zunächst auf mehr oder weniger freiwilliger Basis, aber schon bald durch Zwangsrekrutierung. Das galt vor allem für die Landjugend in der Ukraine. Vor ihrem Abtransport mussten die Frauen und Männer die Prozedur der» Entlausung«über sich ergehen lassen. Sie hatten sich in Sammelduschräumen mit speziellen Chemikalien zu waschen und von Ärzten untersuchen zu lassen. Den Frauen wurden dabei häufig auch die Haare abgeschnitten. Der Leiter des Facharbeiterlagers in Charkow beklagte im Herbst 1942, dass sich in den Duschräumen der sogenannten Entlausungsanstalten regelmäßig Männer» herumtrieben – sogar mit Einseifung Dienst taten! – und […] in den Frauenduschräumen fotografierten«.[324] Auf den Transporten selbst, so berichtet ein Zeitzeuge, suchten sich manche Soldaten während der Fahrt eine Frau aus, die sie mit in ihren Waggon nahmen.[325] Entsprechende Berichte verbreiteten sich schnell, und insbesondere Frauen versuchten, sich dem Arbeitsdienst dadurch zu entziehen, dass sie einen einheimischen Kollaborateur heirateten oder behaupteten, sie seien schwanger.[326] Das RMbO bemühte sich, der Angst der Frauen vor sexueller Gewalt ab April 1942 durch eine umfangreiche Propagandakampagne entgegenzuwirken.[327]
Während ein großer Teil der sexuellen Gewaltakte offenbar Gelegenheitstaten waren, gab es auch Fälle, in denen deutsche Männer ihr Vorgehen planten und gezielte Täuschungsmanöver einsetzten, um Frauen beispielsweise zum Mitkommen zu bewegen.[328] Einige haben dabei offenbar wiederholt nach dem gleichen Muster gehandelt.[329] SS-Standartenführer Rohde, tätig beim SS- und Polizeiführer in Brest-Litowsk[330] (Weißrussland), nahm am 4. Juli 1942 die Aussage von Axannder S., Tänzerin beim örtlichen Stadttheater, auf. Sie behauptete, ein deutscher Polizist habe versucht, sie und andere Frauen zu vergewaltigen. Er befragte weitere Zeuginnen, stellte Nachforschungen an und ermittelte den Täter, den Wehrmachtssoldaten Adolf H., der die Taten» unumwunden «gestand und sich damit entschuldigte, dass er unter Alkoholeinfluss gestanden habe.[331] Der zuständige Feldgendarm nahm Adolf H. fest. In seinem abschließenden Bericht schildert Rohde den Tathergang. In der betreffenden Nacht hatte ein Uniformierter sich gegenüber Axannder S. als Polizist vorgestellt, ihre Papiere kontrolliert und sie – obwohl diese in Ordnung waren – aufgefordert, ihn zu begleiten. Da er aber nicht den Weg zur Ortskommandantur eingeschlagen hatte, unternahm sie einen Fluchtversuch:
Im gleichen Augenblick versuchte derselbe, sie zu vergewaltigen, indem er ihr den Mantel völlig zerriß und auch Teile des Kleides beschädigte. Da die S. schon infolge ihres Berufs außerordentlich wendig ist, konnte sie sich entreißen und flüchtete in einen Vorgarten eines in der Nähe stehenden Hauses. In diesem konnte sie sich so geschickt verborgen halten, dass es dem Beschuldigten nicht gelang, sie zu finden. […] Da die S. außerordentlich verängstigt war, blieb sie dennoch vor dem Strauch zunächst sitzen und musste nach ca. 20 Minuten feststellen, dass er nunmehr in feldgrauer Uniform erneut erschien […]. In seiner Begleitung befand sich ein weiterer Wehrmachtsangehöriger. […] Da diese Frauen durch die Hilferufe der Tänzerin bereits wach geworden waren, standen sie, nichts Gutes ahnend, in ihrer Haustür. Der Täter des ersten Verbrechens begehrte nun hier Einlass und gab sich auch wieder als Polizei aus. Da die beiden Frauen die Situation nicht sofort übersahen, wurden sie zurückgedrängt, während die alte Mutter ins Nebenzimmer flüchtete, zog sich Irene Sch. in ihr Schlafzimmer zurück. Der Beschuldigte folgte ihr und riss ihr angeblich sofort das Zeug vom Körper. Es kam zu einem Handgemenge auf dem Bett der Irene Sch., bei dem die I. Sch. erheblich verletzt an der linken Hand, linke Schulter und an beiden Beinen wurde, da sich der Beschuldigte wie ein Wüstling benahm. Zu einem Geschlechtsakt ist es nicht gekommen, da die Sch. von außerordentlich kräftiger Natur ist. Als die Mutter Leokardia ihrer Tochter zur Hilfe kommen wollte und ins Schlafzimmer lief, fiel der Wüstling über sie her und schlug sie auf das rechte Auge, so dass dieses blutunterlaufen und völlig geschlossen ist. Des weiteren verletzte er die Frau an der Brust erheblich. Ohne etwas mitgehen zu lassen und ohne zum Erfolg zu kommen, hat der Wüstling dann wieder das Haus verlassen. […] Nicht unerwähnt darf bleiben, dass der gleiche Beschuldigte 8 Tage zuvor in der gleichen Wohnung war und bereits versuchte, Geschlechtsverkehr auszuüben. Er gab sich auch hier als Pol.-Beamter aus, verlangte des weiteren Wodka, konnte aber sein Ziel nicht erreichen. […]
Es darf des weiteren nicht unerwähnten bleiben, dass die Tänzerin S. von H. erheblich verletzt wurde an beiden