Regina Muhlhauser

Eroberungen


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eigen-sinnig«(Alf Lüdtke) aneigneten.[372] In einer Atmosphäre, in der ein Angehöriger von Wehrmacht, SS oder Polizei nie sicher wissen konnte, ob ihm eine bewaffnete oder eine unbewaffnete Frau entgegentrat, entwickelten die Männer eine spezifische Paranoia und Feindseligkeit gegenüber weiblichen Angehörigen der Roten Armee und der Partisaneneinheiten.[373]

      In diesem Klima konnte die sogenannte Partisanenbekämpfung für deutsche Männer zum Vorwand für sexuelle Gewalt gegen einheimische Frauen werden. Birgit Beck schildert den Fall eines Angehörigen des 9. Panzer-Grenadier-Regiments 4. Der Obergefreite hatte die 22 Jahre alte Russin Ekaterina G. im Sommer 1943 in der Nähe seines Quartiers beobachtet und aufgefordert, ihm ihre Papiere zu zeigen. Als sie sich weigerte, beschuldigte er sie der Partisanentätigkeit, zwang sie mit vorgehaltener Waffe, sich auszuziehen, und versuchte, sie zu vergewaltigen. Da sie Widerstand leistete, zog er seine Waffe und schoss auf sie – was das Gericht in der späteren Verhandlung dazu bewog, ihn aufgrund von» Gemeinheit «und» besonderer Gewalt «zu drei Jahren Gefängnis zu verurteilen.[374]

      Wolfgang Curilla dokumentiert einen Fall aus dem Reserve-Polizeibataillon 65. Das Bataillon war im September 1939 aus aktiven Polizeioffizieren und Polizeiunterführern sowie aus Polizeireservisten aufgestellt worden. Mit dem Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion hatte es den Einsatzbefehl erhalten, das rückwärtige Heeresgebiet Mitte zu sichern sowie von versprengten sowjetischen Soldaten und Einheiten zu» säubern«. Zu diesem Zweck führte es auch Exekutionen durch. Mitte Januar 1942 wurden die drei Kampfkompanien des Bataillons an die Front versetzt, wobei der Chef der 1. Kompanie, Hauptmann der Schutzpolizei W. G., die Führung übernahm. Bei dem bis Mai 1942 dauernden Fronteinsatz im Raum Cholm[375] (Russland) kam es zu einem erbitterten Kampf mit der Roten Armee, der es zeitweise gelang, die deutschen Truppen einzukesseln. Während dieser Blockade wurde im Keller des» Roten Hauses«, wo sich der Bataillonsgefechtsstand befand, eine etwa 18 Jahre alte Frau gefangen gehalten. Eines Tages führte W. G. im Beisein mehrerer Bataillonsangehöriger eine Art Schauprozess gegen sie durch. Er warf ihr vor, mit den Partisanen zu sympathisieren und gesagt zu haben,»viele deutsche Mütter werden weinen [weil ihre Söhne auf dem Feld sterben; R. M.]«. Danach stellte er sie auf einen Stuhl, schlug sie und zog ihr die Unterwäsche aus. Er griff mit der Bemerkung in ihre Vagina, dass Spioninnen dort Nachrichten zu verbergen pflegten. Schließlich forderte er die anwesenden Bataillonsangehörigen auf, ihre Stahlhelme aufzusetzen, und verkündete:»Im Namen des Führers verurteile ich dich zum Tod durch den Strang. «Er befahl Polizeiwachtmeister R., die Frau im Türrahmen zu erhängen. R. weigerte sich zunächst, führte den Befehl dann aber doch aus. Da die Frau nicht sofort starb, hängte W. G. sich an ihre Beine, um den Tod herbeizuführen. Die ehemaligen Bataillonsangehörigen distanzierten sich Anfang der 1970er Jahre, im Zuge von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, vom sadistischen Vorgehen ihres Bataillonsführers; es sei widerlich und gesetzwidrig gewesen.[376]

      Im Zuge der Partisanenbekämpfung brannten die deutschen Truppen nicht selten ganze Dörfer nieder, von denen sie behaupteten, sie hätten die Partisanen unterstützt. In manchen Fällen wurden alle Einwohnerinnen und Einwohner im Vorfeld exekutiert. Am 22. Januar 1944 erreichte eine Wehrmachtseinheit den kleinen Ort Bajki nordöstlich von Brest-Litowsk. Sie befahl der Bevölkerung, sich auf dem Marktplatz zu sammeln, nahm die Wertsachen an sich und kontrollierte die Ausweise. Danach pferchte sie alle Bewohnerinnen und Bewohner in drei Scheunen, während einige Männer am Dorfrand Gruben ausheben mussten. Die Exekution der Dorfbewohner erfolgte in Gruppen: Die Männer wurden jeweils zu viert aus der Scheune geholt und an die Grube geführt, die Frauen – von denen man weniger Widerstand fürchtete – jeweils zu sieben bis acht Personen. Der Augenzeuge Nikolai Stepanowitsch Schabonja, dem es gelang, sich in der Nähe zu verstecken, sagte nach Kriegsende aus, er habe gesehen, wie die Aufseher einzelne Frauen aus diesen Gruppen herausholten und in ein Gebäude in der Nähe der Leichengrube führten. Dort seien die Frauen vergewaltigt und danach im Haus erschossen worden.[377]

      «Endlösung«

      Der Krieg gegen die Sowjetunion war von Anfang an untrennbar mit dem Massenmord an den sowjetischen Jüdinnen und Juden verbunden. Bereits zu Beginn des sogenannten Unternehmens Barbarossa erschossen SS- und Polizeieinheiten im Gefolge der Wehrmacht regelhaft jüdische Männer im wehrfähigen Alter.[378] Die Befehle für die Einsatzgruppen aus SS und Polizei wurden in den folgenden Wochen und Monaten sukzessive erweitert und immer mehr Juden und auch Jüdinnen wurden zu Opfern der Erschießungsaktionen hinter der Front, bis schließlich im Laufe des August 1941 unterschiedslos auch Frauen und Kinder getötet wurden.[379] Der erste Massenmord bis dato beispiellosen Ausmaßes wurde Ende August in Kamenetz-Podolsk[380] (Ukraine) verübt, wo der Stab des Höheren SS- und Polizeiführers Friedrich Jeckeln und ein Polizeibataillon – in Anwesenheit mehrerer Wehrmachtsoffiziere – über 23000 Jüdinnen und Juden ermordeten. Ende September kam es in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew[381] zu dem Massaker, das in der Sowjetunion zum herausragenden Symbol für alle Massenverbrechen unter deutscher Besatzung geworden ist: Am 29. und 30. September ermordeten die deutschen Truppen etwa 34000 Menschen.[382]

      Im gesamten Besatzungsgebiet wurde die jüdische Bevölkerung von den deutschen Militärbehörden registriert, enteignet, der Kennzeichnungspflicht unterworfen und zur Zwangsarbeit verpflichtet.[383] In manchen Regionen vertrieb man Jüdinnen und Juden vom Land und aus kleineren Orten in die nächstgelegenen größeren Städte. Um die jüdische Bevölkerung dort besser kontrollieren zu können, errichteten Militär- und Zivilverwaltung Hunderte von Ghettos, in denen die Ernährungssituation katastrophal und die hygienischen Bedingungen miserabel waren.[384] Hunger, Krankheit, qualvolle Enge und Tod prägten das Leben der Jüdinnen und Juden hier wie in den Arbeits- und Konzentrationslagern, die zum Teil innerhalb, zum Teil außerhalb der Ghettos entstanden.

      Nachdem die» Endlösung der Judenfrage «auf der Wannseekonferenz in Berlin am 20. Januar 1942 regierungsintern bekannt gegeben und in den Details, inklusive der Geheimhaltungsbefehle, geregelt worden war, begannen SS und Polizei, mancherorts auch die Wehrmacht, mit der systematischen Räumung und Auslöschung der Ghettos. Sie trieben die Bewohnerinnen und Bewohner zusammen, brachten sie an Orte, an denen jüdische Zwangsarbeiter zuvor Gruben ausgehoben hatten, und töteten sie in einem standardisierten Erschießungsverfahren.[385] Die Zusammenarbeit von militärischen Kommandobehörden, Verwaltung, SS und Polizei funktionierte bei solchen Operationen über weite Strecken reibungslos. Vielerorts konnten die Deutschen außerdem auf die Unterstützung einheimischer Kollaborateure zurückgreifen. Auch vor diesem, hier notwendigerweise äußerst kursorisch umrissenen Hintergrund[386] kam es zu sexuellen Gewalttaten.

      Das» Rassenschande«-Verbot, das den deutschen Soldaten und SS-Männern sexuelle Kontakte zu Jüdinnen strengstens untersagte, stellte für die Männer offensichtlich kaum einen Hinderungsgrund dar. Zwar erwartete die SS als» Sippe der rassischen Elite «von ihren Männern, dass sie dem sogenannten Blutschutzgesetz Folge leisteten,[387] und Himmler als Reichsführer-SS hatte in einem Befehl vom April 1941 erneut daran erinnert, dass» jede geschlechtliche Verbindung mit Frauen und Mädchen einer andersrassigen Bevölkerung «strikt verboten sei.[388] Auch in der Wehrmacht waren antisemitische Propaganda und Gesetzeslage – insbesondere das» Rassenschande«-Verbot – ein zentrales Element der politischen Schulung.[389] Im Juni 1942 veröffentlichte das OKH außerdem ein Merkblatt mit Verhaltensmaßregeln für deutsche Soldaten, in dem es hieß,»Geschlechtsverkehr mit Jüdinnen verstößt gegen das Rassegesetzt [sic] und zieht gerichtliche