aber eher darauf hin, dass die Männer ihre Überschreitung der» rassischen Grenzen «in der Regel nicht verheimlichen mussten. Hier zeigt sich vielmehr ein Moment der Komplizenschaft, das den Zusammenhalt der Einheiten stärken, aber auch Konkurrenz erzeugen konnte. Es steht zu vermuten, dass die Haltung der ranghöheren Soldaten wesentlich mit dafür verantwortlich war, wie sich eine Einheit zu sexuellen Gewalttaten verhielt.
In bestimmten Situationen verbanden Jüdinnen das Erdulden sexueller Gewalt mit der Hoffnung, ihre Überlebenschancen auf diese Weise zu erhöhen – beispielsweise durch den Erhalt zusätzlicher Nahrungsmittel. Einige Quellen deuten darauf hin, dass manche jüdischen Frauen in verzweifelter Lage von sich aus anboten, den Deutschen sexuell zu Diensten zu sein, um sich und ihre Angehörigen zu retten.[407] Die polnische Überlebende Felicia Berland Hyatt erinnert sich beispielsweise, dass ihre Mutter ihr 1942 riet, in einer ausweglosen Situation alles zu tun, um am Leben zu bleiben.[408]
Die Erinnerungen eines ehemaligen österreichischen Wehrmachtssoldaten aus dem Jahr 1995 suggerieren dem gegenüber, jüdische Frauen hätten ihren Körper aus freien Stücken verkauft, um» ein paar Mark «zu verdienen. Im Interview mit der Filmemacherin Ruth Beckermann behauptet er zunächst,»von der jüdischen Bevölkerung wussten wir nichts. Wir haben nichts gesehen von der jüdischen Bevölkerung«. Als sie ihn daraufhin nach der Existenz von Ghettos fragt, antwortet er:
Judengettos? Ja, ich sah welche auf dem Durchmarsch. Das waren richtige Judenstrecken, bei deren Anblick mich das Grauen packte.
Waren das Gettos, die es schon vorher gab?
Nein, nein, nein! Das waren kleine Städte und Ortschaften. Auf der einen Seite der Straße waren die Häuser der Juden, die man durch den Namen oder Schilder erkannte, gegenüber waren die Häuser der Bauern.
Und warum war das so schrecklich?
Einmal kamen kleine Judenbuben aus den Häusern und sprachen uns an:»Du da! Komm, fick, fick. «Seine Schwester hätte sich gerne für ein paar Mark vögeln lassen, doch wir haben das nicht gemacht. Wir waren doch irgendwie gegen Juden eingestellt. Es gab auch in Österreich einen latenten Antisemitismus. Vielleicht besonders in Österreich, auch vor 1938. Dieser Antisemitismus wurde durch solche Ereignisse verstärkt.[409]
Das Vorbeigehen an den» Judenstrecken «erscheint in der Erzählung des ehemaligen Soldaten vor allem als» Grauen«, weil ihm Sex angeboten wurde. Dabei werden die» kleinen Judenbuben «als Helfershelfer ihrer Schwester gezeichnet, die geglaubt habe, sich vom Feind» vögeln «lassen zu können. Dass er und seine Kameraden ihrem Angebot nicht nachgekommen seien, führt der Erzähler auf den» latenten Antisemitismus «in Österreich zurück, demzufolge auch er» irgendwie gegen die Juden «gewesen sei. Der verbreitete Hass gegenüber Jüdinnen und Juden wird hier als Bedingung und Beweis für seine sexuelle Abstinenz herangzogen. Er behauptet sogar,»Ereignisse wie diese «hätten den Antisemitismus noch geschürt.[410] In der Tat verweist seine Erzählung auf gängige antisemitische Klischees über» den Juden «als Mädchenhändler und Drahtzieher der Prostitution.[411]
Einige Angehörige von Sicherheitspolizei und SD gingen dagegen sogar längerfristige Kontakte zu jüdischen Frauen ein.[412] Im deutschen Teil des jüdischen Ghettos in Riga hatte der Oberwachtmeister der Schutzpolizei Neumann eine» Freundin«, die er regelmäßig im Garten hinter dem Haus Berliner Straße 17 besuchte. Auch andere Angehörige der Dienststelle KdS Lettland trafen sich mit» jüdischen Freundinnen«.[413] Tatsächlich entwickelten manche Frauen in dieser Situation totaler Abhängigkeit und Todesangst offenbar sogar romantische Gefühle für ihren deutschen» Freund«.[414] Die Männer zögerten indes in vielen Fällen nicht, sich der Frauen zu» entledigen«, um sich selbst zu schützen – zumal, wenn sie SS- und Polizeieinheiten angehörten. Kurt Christmann, der spätere Chef des Sonderkommandos 10a, unterhielt ein Verhältnis zu einer Jüdin, deren Eltern zuvor durch sein Sonderkommando ermordet worden waren. Beim Rückzug des Kommandos verschwand die Frau. Im Prozess 1971 folgerte die Staatsanwaltschaft München, dass Christmann oder seine Leute sie erschossen hätten, weil sie eine Zeugin für den Verstoß gegen die» Rassegesetze «war.[415] Klaus-Michael Mallmann stellt den Fall des Kriminaloberassistenten Walter Thormeyer dar, der beim KdS Krakau tätig war. Der Leiter der KdS-Außenstelle Mielic hatte Thormeyer wegen sexueller Beziehungen zu seiner jüdischen V-Frau denunziert. Daraufhin erschoss dieser die Frau und behauptete, sie habe sich als unzuverlässig erwiesen. Er ging straffrei aus.[416] Die Ukrainerin Anna Iwaniwna geht davon aus, dass die Frauen vor allem dann umgehend exekutiert wurden, wenn sie schwanger gewesen seien.[417]
Solches Verhalten empfanden auch manche Soldaten als grausam. Josef F., der im Dezember 1941 als Angehöriger der 46. Infanteriedivision in Kertsch[418] (Ukraine) stationiert war, schilderte 1965 in einer Vernehmung folgenden Vorfall:
Als ich eines Tages wieder einmal Tischdecken für Leutnant S. von dem Hauptsturmführer Finger holen sollte, habe ich Finger in seiner Unterkunft zunächst nicht antreffen können. Ich war in der SS-Unterkunft, einer früheren Schule oder einem öffentl.[ichen] Gebäude, in Kertsch. Von einem langen Gang aus gingen viele Türen in die einzelnen Zimmer. Ich bin also in den ersten Stock gegangen und habe eines der ersten Zimmer betreten. Als ich die Zimmertür öffnete, sah ich, dass ein SS-Mann auf dem Bett lag und ein junges hübsches Mädchen bei sich hatte. Da mir dieser SS-Mann nicht sagen konnte, wo Finger war, bin ich in ein zweites Zimmer gegangen. Auch in diesem Zimmer traf ich wieder ein junges Mädchen bei einem SS-Mann an. Da ich auch von diesem keine entsprechende Auskunft erhielt, bin ich noch in ein drittes Zimmer gegangen. In diesem dritten Zimmer lag ein SS-Mann ohne Waffenrock, jedoch mit der Hose bekleidet auf dem Bett. Neben ihm, d. h. auf der Bettkante, saß wiederum ein junges sehr hübsches Mädchen, und ich sah, wie dieses den SS-Mann am Kinn streichelte. Ich hörte auch, wie das Mädchen sagte:»Gel’t Franz, Du erschießt mich nicht!«Das Mädchen war noch sehr jung und sprach völlig akzentfreies Deutsch. […] In diesem Zimmer habe ich dann auf den Hauptsturmführer Finger gewartet. […] Ich habe den SS-Mann gefragt, ob dieses Mädchen, von dem ich annahm, dass es eine Jüdin war, denn die Russen waren weitaus nicht so hübsch, denn wirklich erschossen würde. Der SS-Mann sagte mir, dass die Juden alle erschossen würden, da gäbe es keine Ausnahmen. Ich fragte ihn weiter, was dann mit diesen Mädchen, die ich hier auf diesen Zimmern gesehen hatte, geschehen würde. Der SS-Mann sagte sinngemäß, dass das bitter sei. Manchmal hätten sie ja die Gelegenheit, diese Mädchen einem anderen Schießkommando zu übergeben, meistens aber sei hierzu keine Zeit mehr und sie müssten es selbst machen. Ich war davon so erschüttert, dass es mir zeitlebens im Gedächtnis geblieben ist. Erst waren diese bildhübschen Mädchen die Gespielinnen der SS-Leute, und dann wurden sie von ihnen ermordet.[419]
Folgt man Josef F., stand es für den SS-Mann von vornherein außer Frage, dass auch die Frauen, mit denen er sexuell verkehrt hatte, getötet werden mussten. Lediglich die Tatsache, dass er die Exekution von Fall zu Fall eigenhändig durchführen musste, löste eine Empfindung in ihm aus. Er schien die Tötung einer Frau, der er sich im sexuellen Kontakt preisgegeben hatte, als größere Belastung für sich zu empfinden als andere Exekutionen. Die Schilderung legt nahe, dass er deswegen vor allem Mitleid mit sich selbst empfand.
Es gibt verschiedene Belege dafür, dass die Ermordung von Jüdinnen nach sexuellen Gewalttaten kein Einzelfall war. Yaffa Eliach schildert eine Begebenheit aus Ejszyszki (Litauen), wo die Deutschen im September 1941 von einem einheimischen Polen eine Liste mit den Namen aller unverheirateten Jüdinnen des Ortes erhielten. Sie befahlen ihnen, sich zu versammeln, trieben sie in den nahe gelegenen Wald, vergewaltigten und erschossen sie.[420] Frauen, denen in solchen Situationen