Regina Muhlhauser

Eroberungen


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SS-Männer wie Wehrmachtssoldaten diese Verbote ignorierten.

      Gerade die ausweglose Lage in den Ghettos ließ Frauen zur» leichten Beute «für die bewaffneten Männer werden, etwa im Zuge von Durchsuchungsaktionen. Am 25. Juni 1941 marschierte die Einsatzgruppe A in Kauen ein. Es kam – unter massiver Beteiligung der litauischen Bevölkerung – zu mehreren Pogromen, bei denen etwa 7800 jüdische Menschen, vor allem Männer, getötet wurden.[391] Zwei Wochen später befahlen der litauische Bürgermeister und der Militärkommandant den Überlebenden, innerhalb eines Monats nach Vilijampole umzuziehen – einen Stadtteil, in dem bisher etwa 12000 Menschen gelebt hatten. Als das Ghetto am 15. August 1941 mit Stacheldraht abgeriegelt und von litauischen Wachposten umstellt wurde, waren dort knapp 30000 Jüdinnen und Juden registriert.[392] Drei Tage nach der Einschließung begannen Angehörige der deutschen Zivilverwaltung sowie der 3. Kompanie des Reserve-Polizeibataillons 11 mit der systematischen Durchsuchung des Ghettos. Etwa vier Wochen lang tauchten sie täglich in Vilijampole auf. In einem Nachkriegsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen den damaligen Leiter des Ghettos, SS-Obersturmbannführer Helmut Rauca, sagten Zeugen aus, die Suche nach Wertgegenständen sei bei jüdischen Frauen mit» gynäkologischen Untersuchungen «einhergegangen.[393] Auch aus anderen Ghettos wurde von Leibesvisitationen und dem Befingern der Körperöffnungen, insbesondere bei Frauen, berichtet. Die Täter waren sowohl Deutsche als auch einheimische Wachposten und Polizisten.[394] Manche Aufseher, die die Ghettos oder Zwangsarbeitskolonnen bewachten, zwangen Frauen, nackt zu schwimmen, Ball zu spielen, auf Tischen zu tanzen, zu singen oder zu schauspielern. Solche Schilderungen gibt es aus unterschiedlichen Orten.[395] Die Aufseher scheinen sich durch die sexuelle Demütigung von Frauen – und auch Männern – Ablenkung und Stimulanz in ihrem oft ereignislosen Dienstalltag verschafft zu haben.

      In Pinsk[396] (Weißrussland) errichtete die deutsche Verwaltung am 1. Mai 1942 ein Ghetto für die zu diesem Zeitpunkt noch verbliebene jüdische Bevölkerung.[397] Vor der Sowjetischen Gebietskommission zur Untersuchung der Verbrechen von deutsch-faschistischen Aggressoren in Pinsk sagte ein überlebender Rabbiner zu den Verbrechen deutscher Polizisten im Ghetto aus:

      Nacht. Es wird an der Tür geklopft, sie wollen nicht öffnen. Sie schlagen die Tür ein, drei Polizisten dringen in die Wohnung ein. Sie beleuchten alles mit ihren Taschenlampen, sie suchen nach jungen Mädchen. Mutti steht und weint, sie bittet und bettelt, ihre Tochter loszulassen, aber der tierische Bandit zeigt die Pistole, er zielt auf sie. Dann befahl er ihr, zu schweigen, und vergewaltigt vor ihren Augen ihre Tochter. Dann gehen sie weg, schlagen bis aufs Blut und befehlen, niemandem zu erzählen, sonst kommen sie morgen und töten alle … So beginnt eine Serie von Vergewaltigungen. Die jungen Mädchen verstecken sich, aber es gibt nirgends einen Platz, wo man sie nicht findet.[398]

      Hier setzten deutsche Polizisten Vergewaltigung gezielt ein, um Terror zu verbreiten. Die Vergewaltigung eines jungen Mädchens vor den Augen der Mutter vermittelte den Ghettobewohnern die rücksichtslose Grausamkeit der Männer. Jede Frau musste befürchten, ihnen beim nächsten Mal selber zum Opfer zu fallen; trotzdem hatte sie kaum eine Möglichkeit, sich den Gewalttaten zu entziehen. Zum einen waren Verstecke im Ghetto begrenzt, zum anderen waren die Frauen mit der beständigen Drohung konfrontiert, die Deutschen würden Vergeltung üben und die übrigen Bewohnerinnen und Bewohner des Ghettos misshandeln. Im Angesicht der beständigen Todesdrohung konnte die Erfahrung sexueller Gewalt möglicherweise aber auch die herausragende Bedeutung verlieren, die ihr im normalen Alltagsdasein zugeschrieben wurde. Joan Ringelheim stellt fest, dass sexuelle Gewalterfahrungen in der Erinnerung weiblicher Überlebender zumindest nach Kriegsende heruntergespielt und ausgeblendet wurden. Sie argumentiert, jüdische Frauen lebten häufig mit der Vorstellung, ihre Erfahrungen sexueller Gewalt seien im Verhältnis zur Auslöschung der europäischen Jüdinnen und Juden nebensächlich.[399]

      In manchen Lagern entwickelten die Aufseher im Bewusstsein ihrer totalen Verfügungsgewalt über ihre Gefangenen einen besonderen Sadismus, wie ein Fall aus dem Arbeits- und Konzentrationslager Kolditschewo (Weißrussland) zeigt. Der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) hatte das Lager im Dezember 1941 knapp 20 Kilometer nördlich von Baranowitschi errichtet. Interniert wurden sowohl Jüdinnen und Juden aus Ortschaften im Umkreis und dem Ghetto in Baranowitschi als auch polnische und weißrussische Kriegsgefangene. Eine Besonderheit in Kolditschewo gegenüber anderen Lagern bestand darin, dass das Wachpersonal – abgesehen von wenigen SS-Offizieren zur Überwachung – aus etwa 100 weißrussischen Kollaborateuren bestand, die weitgehend selbständig operieren durften.[400] In den Ermittlungsakten der weißrussischen Staatsanwaltschaft findet sich die Zeugenaussage des ehemaligen Unterführers K., der nach Kriegsende aussagte, er habe in einer Nacht im Speisesaal des Lagers Geräusche gehört. Er fand dort einige Wachmänner vor, die männliche und weibliche Gefangene zum Geschlechtsverkehr miteinander zwangen. Sie prügelten mit Stöcken auf sie ein, töteten sie schließlich. K., der ihr Vorgesetzter war, ließ die Leichen aus dem Fenster werfen und am nächsten Tag in einem Massengrab verscharren. Der Vorfall zog keinerlei Konsequenzen nach sich.[401] Deutlich wird hier, dass sexuelle Gewalttaten auch dazu dienen konnten, das totale Machtempfinden der Täter zu bestätigen. Die Aufseher versuchten, einen Zugriff auf die Libidinösität der männlichen Gefangenen zu erzwingen, um die weiblichen Gefangenen zu vergewaltigen.[402]

      Ein anderes Beispiel aus Kolditschewo, das Bernhard Chiari zitiert, zeigt, wie deutsche SS-Offiziere und einheimische Wachmänner sich während der Exekution von Häftlingen gemeinsam voyeuristisch ergötzten. Sollten weibliche Häftlinge erschossen werden, boten die Deutschen den einheimischen Polizisten an, die Aktion zu beobachten. Die Frauen mussten sich vor der Erschießung auskleiden und obszöne Bemerkungen über sich ergehen lassen. Den Zeugenaussagen zufolge genossen einige der weißrussischen Aufseher das Schauspiel. Im Falle von jungen Frauen hätten manche aber auch versucht, ihre Vorgesetzten von einer Freilassung zu überzeugen.[403] Die Tatsache, dass die Deutschen die einheimischen Aufseher nur bei der Erschießung von Frauen hinzuzogen, deutet darauf hin, dass es hier gezielt um männliche Vergemeinschaftung ging, die über das Quälen und Töten von Frauen vollzogen wurde.

      Einige Erzählungen lassen darauf schließen, dass sich auch Angehörige der Militärverwaltung ermächtigt fühlten, jüdische Frauen aus den Ghettos herauszugreifen. Im August 1941 übergab die Wehrmacht die Region um die Stadt Slonim[404] (Weißrussland) der Zivilverwaltung. Zum Gebietskommissar wurde Gerhard Erren ernannt, ein Sportlehrer aus Oberschlesien, der auf der Ordensburg Krössinsee nationalsozialistische Schulungen geleitet hatte. In den 1960er und 1970er Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Erren. In seiner Vernehmung sagte er aus:

      Der Ortskommandant von Slonim hatte eine Clique um sich, mit der er soff und Karten spielte. Auch gehörte der Südtiroler B. dazu. Dieser hat uns manches davon erzählt, so auch, daß er immer Judenmädchen beschaffen musste, wenn der Ortskommandant betrunken war.[405]

      Alkoholexzesse, Kartenspiele und sexuelle Stimulanz stellten feste Faktoren in der Konstruktion soldatischer Männlichkeit dar und prägten die (erwünschte oder tatsächliche)»Freizeitgestaltung «in der Truppe. Aus den Tagebüchern von Soldaten wird deutlich, dass zu Saufabenden und Kartenspiel oft auch sexuelle Prahlereien und obszöne Witze gehörten.[406] Dabei konnte die Idee entstehen, die Fantasien in die Tat umzusetzen, wie im Falle des eingangs zitierten Willi Peter Reese. Errens Aussage verdeutlicht, dass diese» Freizeitgestaltung «keineswegs frei von militärischen Hierarchien war. Manche Vorgesetzte beauftragten ihre Untergebenen, die» Beschaffung «von Frauen zu übernehmen. Dabei gingen sie zwar