militärischen Einheiten mit solchen Gewalttaten um?[238]
Situationen
Eine Untersuchung der Geschichte sexueller Gewalt während des Krieges und der Besatzung in der ehemaligen Sowjetunion stützt sich zwangsläufig auf Überlieferungen, die von zeitgenössischen Vorstellungen und subjektiven Erfahrungen heterosexueller Gewalt sowie von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen von Schuld und Scham geprägt sind. In vielen Fällen geben die Quellen nur wenige verlässliche Details wieder. Man kann heute in der Regel nicht nachweisen, ob das Beschriebene sich tatsächlich auf diese Weise zugetragen hat. Zudem muss man damit rechnen, dass Betroffene oder Augenzeuginnen und – zeugen Details verschweigen, etwa weil sie ihnen zu intim erscheinen, oder ausschmücken, um die besondere Grausamkeit der Täter zu betonen (womit zumindest im Subtext unterstrichen wird, dass die Opfer den deutschen Männern hilflos ausgeliefert waren und es außerhalb des Möglichen lag, Gegenmaßnahmen zu ergreifen).[239]
Angesichts dieser Problematik geht es in den folgenden Ausführungen weniger um die einzelnen Erzählungen, die lediglich als Beispiele herangezogen werden, sondern ausschlaggebend sind die Fülle und das Ensemble der Quellen: Zu jeder Schilderung gibt es andere, die ähnliche sexuelle Gewalttaten beschreiben. In der Gesamtschau werden auch die geschlechtsspezifischen Besonderheiten in den Erzählweisen deutlich – von Tätern, Opfern, Zuschauerinnen und Zuschauern. Da der Fokus dieser Arbeit darauf liegt, den Umgang mit sexueller Gewalt in den» besetzten Ostgebieten «generell zu beleuchten, werden hier Erzählungen aus unterschiedlichen Territorien nebeneinandergestellt; das jeweilige Kriegsgeschehen vor Ort wird dabei nur in Umrissen nachgezeichnet.
Eroberung
Am 22. Juni 1941 marschierten die deutschen Truppen in die UdSSR ein. Sie drangen rasch vor, und Städte wie Wilna[240] und Kauen[241] (Litauen), Bialystok[242] und Minsk[243] (Weißrussland) oder Riga[244] (Lettland) wurden binnen weniger Tage eingenommen. Auf den Fotografien, die die Soldaten in den ersten Wochen der Besatzung aufnahmen, sind häufig Einheimische, insbesondere Frauen, zu sehen, die die Fremden freundlich und neugierig willkommen heißen.[245] Solche Aufnahmen waren keineswegs gestellt; sie spiegelten die Stimmung einer breiten Mehrheit in den annektierten Westgebieten der Sowjetunion wider, die den Deutschen zwar abwartend, aber durchaus positiv gegenüberstand, galten diese doch als» Befreier von den Bolschewisten«.[246] Antisemitismus war weit verbreitet, zumal große Teile der Gesellschaft die Juden mit dem verhassten kommunistischen System gleichsetzten.[247] Die jüdische Bevölkerung war von Beginn an mit Verfolgungsmaßnahmen und Gewalt konfrontiert. Der Überlebende Jefim Gechtman erlebte die Eroberung in Riga. In seinen Aufzeichnungen, die er noch während des Krieges verfasste, berichtet er auch von sexueller Gewalt:
In dieser ersten Nacht des Besatzungsregimes veranstalteten die Offiziere des Württemberg-Badischen Grenadier-Regiments in der Marinska-Straße Nr. 10 ein Saufgelage. Zu dieser Orgie ließen sie sich einige Dutzend jüdischer Mädchen kommen, zwangen sie, sich völlig zu entkleiden, zu tanzen und zu singen. Viele der Unglücklichen wurden vergewaltigt, danach auf den Hof geführt und erschossen.[248]
Gechtmann schildert eine Situation direkt nach der Einnahme der Stadt. Als Hauptverantwortlichen für die Orgie nennt er einen Hauptmann Bach. Sein Bericht ist eindeutig und bleibt doch ungenau. Man erfährt weder, wer die Jüdinnen auf welche Weise dazu gebracht hat, in das genannte Haus zu kommen, noch, was mit den Frauen geschah, die nicht ermordet wurden. Tatsächlich sind die meisten Aussagen über sexuelle Gewalttaten von solchen Unklarheiten geprägt.[249]
Auch aus dem Bericht eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten wissen wir, dass manche Männer die unübersichtliche Situation in den ersten Tagen nach der Einnahme einer Stadt nutzten, um in Privathäuser einzudringen und Frauen, auch Jüdinnen, zu vergewaltigen. Eltern oder Nachbarn, die versuchten, den Frauen zu Hilfe zu kommen, liefen wie die Vergewaltigungsopfer Gefahr, sofort umgebracht zu werden.[250] Die» sexuelle Eroberung «der Frauen des Feindes stellte offenbar eine Form der Belohnung für den militärischen Erfolg dar. Ruth Seifert hat darauf hingewiesen, dass es in der historischen Gesamtschau zu den ungeschriebenen Gesetzen des Krieges gehört, dem Sieger in den kurzen entregelten Phasen unmittelbar nach Kämpfen Gewalt gegen Frauen zuzubilligen. Diese Verbrechen werden von den Militärbehörden üblicherweise unter Androhung hoher Strafen verboten, aber in der Realität zumeist nur in Ausnahmefällen angeklagt und im Ganzen vertuscht, verschwiegen und verleugnet.[251]
Auch für die deutschen Soldaten existierten entsprechende Verbote, wie im Verlauf dieses Kapitels noch gezeigt werden wird. Am strengsten untersagt waren sexuelle Kontakte mit Jüdinnen, stellten sie doch einen Verstoß gegen die» Rassegesetze «dar.[252] Gleichwohl hielten sich die Männer offenbar nicht strikt daran, gibt es doch zahllose Berichte über sexuelle Erniedrigungen und Vergewaltigungen von Frauen, die im Sinne der NS-Rassenideologie als Jüdinnen verachtet wurden. Für die Frontdivisionen, die als Erste in immer neue Gebiete vordrangen und oft nur wenige Tage in einer Region blieben, war häufig nicht erkennbar, ob es sich bei den Frauen, die ihnen begegneten, um Jüdinnen handelte.[253] Sobald die Kampfhandlungen im Wesentlichen vorüber waren, setzte die Wehrmacht jedoch eine Militärverwaltung ein, die die Bevölkerung registrierte, worunter auch die Erfassung und Kennzeichnung der jüdischen Einwohnerschaft fiel.[254] Aber auch danach kam es weiterhin zu Vergewaltigungen jüdischer Frauen. Oft scheinen Wehrmachts- und SS-Angehörige davon ausgegangen zu sein, dass das Verbot des Geschlechtsverkehrs mit Jüdinnen – zwecks Vermeidung von» Rassenschande«– im» Osten «weniger ernst genommen werde als innerhalb der Reichsgrenzen.
Einige Zeuginnen und Zeugen berichten auch, deutsche Soldaten hätten gerade junge jüdische Frauen sexuell gequält und ihnen gewissermaßen vorgehalten, dass der intime Kontakt mit ihnen verboten war; oder sie hätten sie mit dem Hinweis, sie seien zu schön, getötet.[255] Ein besonders detailreicher Bericht stammt von Sala Pawlowicz, die ihre Erinnerungen 1964 unter dem Titel» I will survive «veröffentlicht hat. Es handelt sich um eine der wenigen Schilderungen, in denen eine Frau ihr eigenes Erleben sexueller Gewalt sehr ausführlich darstellt; daher soll sie hier wiedergegeben werden, auch wenn sich das Geschilderte bereits Ende 1939 in Polen zutrug. Im Alter von 15 Jahren erlebte Sala Pawlowicz die deutsche Besetzung von Lask.[256] Schon zu Beginn der militärischen Besetzung wurde sie gemeinsam mit anderen Jugendlichen zur Arbeit für die Deutschen verpflichtet. Eines Tages bemerkte sie, dass der Polizist, der ihre Gruppe bewachte – ein sogenannter Volksdeutscher —, sie beobachtete. Schließlich fragte er sie, ob sie jüdisch sei, und sie bejahte. Als sie am selben Abend auf der Polizeistation darauf wartete, nach Hause gehen zu dürfen, sprach ebendieser Bewacher sie wieder an:
«Du! Du mit den roten Haaren!«, rief er und zeigte auf mich.»Komm hierher, der Rest von euch Versagern, verschwindet, bevor ich anfange zu kotzen! Bewegt euch!«Ich wollte mich mit den anderen auf den Weg machen.»Du! Verdammt, du da, komm hierher!«Irgendwie drehte ich mich um und stieg die Stufen hoch.»Abschaum!«Er ließ seine Reitpeitsche über meinen Rücken sausen und stieß mich in den Raum hinein. Dort unterhielten sich andere Deutsche. Der Offizier ließ mich in der Mitte des Raumes stehen und sprach eine Minute mit ihnen. Sie lachten und zeigten mit obszönen Gesten auf mich. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, in meinem Kopf drehte sich alles. Ich hatte ein oder zwei der Mädchen gesehen, über die sie sich hergemacht hatten. Mir wurde übel, und ich versuchte, nicht darüber nachzudenken,