wenn man nur nicht zu behaglich in dem alten Neste säße und wenn einem nur der Tag Ruhe ließe!« wird der Vetter Just die Unterredung mit seinem Weibe über das Manuskriptum des »Doktors in Berlin« fürs erste zu einem behaglichen Ende bringen. – – –
Nun wird es natürlich wieder Leute geben, die nie zufrieden sind, wo es sich um den Schluss einer Geschichte, die man ihnen erzählt, handelt; die alles immer noch genauer und ausführlicher zu wissen wünschen, als der Erzähler es vortragen kann oder – will. Wo es sich um eine Hochzeit handelt, wollen sie die Zahl der Musikanten kennen, wo eine Taufe das Ende ist, soll ihnen nicht ein einziger Gevatter unterschlagen werden, und im vorliegenden Falle (o, ich kenne sie!) möchten sie mit »zur Leiche« gehen, d. h. den guten alten Vater Sixtus mit begraben, und dann ganz genau in Erfahrung bringen, ob Schloss Werden wirklich ebenso vom Erdboden verschwunden sei wie die Nester, die wir aus dem Schlosse einst in die Luft und das grüne Gezweig hingen, oder was eigentlich zuallerletzt der Vetter Just Everstein damit angefangen habe. Ich für mein Teil hätte nun wohl noch mancherlei von Ewald und Irene zu berichten; aber sonderbarerweise würde ich dafür die wenigsten aufmerksamen Ohren finden, denn »das kann sich ja ein jeder leicht denken«.
Und so sage ich nur, dass Irene mir die Instandhaltung eines Kindergrabes auf einem Berliner Kirchhofe anvertraut hat und dass es mir, unberufen, sonst nach Wunsch geht. Was das übrige anbelangt, z. B. auch Jule Grote und Mademoiselle Martin (Schloss Werden nie zu vergessen!), so weiß nur der Vetter Just Everstein das Allergenaueste. Wer also noch eine Frage auf dem Herzen hat, der wende sich an ihn. Von Bodenwerder, wo der Freiherr von Münchhausen geboren wurde, führt der Feldweg nach dem Steinhofe an jenem Steine vorbei, auf welchem er – der Vetter Just – den Kopf in den Händen und die Arme auf die Knie stützend und so in das Blaue hineinstarrend – einst saß und wartete auf menschliche Schicksale.
ENDE
Die unvollendete Erzählung erschien erstmals 1911, ein Jahr nach dem Tode des Autors.
»Überstanden!«
Der das sagte, lag in seinem Bette, und nach dem Licht auf dem Fenstervorhang zu urteilen, musste die Sonne eines neuen Tages bereits ziemlich hoch am Himmel stehen. Es war dem befreienden Seufzerwort ein längeres Zusammsuchen, erst der körperlichen Gliedmaßen, sodann der noch vorhandenen geistigen Fähigkeiten voraufgegangen. Beides nicht, ohne dass es, wie die Kinder sagen: wehe getan hatte.
Das Alter spricht oft der Kindheit ein Wort nach, weil es von Natur kein besseres weiß und, wenn es im Laufe der Jahre danach gesucht haben sollte, keins gefunden hat. Man braucht sich nicht immer an einer Tischecke gestoßen haben, es kann einem auch sein siebenzigster Geburtstag freundschaftlichst, ehrenvoll-feierlichst begangen worden sein.
Man schrieb den vierundzwanzigsten August, an welchem Datum im Jahr neunundsiebenzig nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Herkulanum und Pompeji verschüttet worden waren und an dem im Jahr fünfzehnhundertzweiundsiebenzig der heilige Bartholomäus im himmlischen Ehrensaal in kopfschüttelnder Betrachtung vor dem Glasschrank mit seiner Erdenhaut stand, brummte:
»Hm, hm, hm!«
und sich fragte:
»Hab ich die mir eigentlich dafür von meinen lieben Armeniern abziehen lassen?« –
Am Tage vorher, das heißt nicht vor dem Untergang von Herkulanum und Pompeji oder der Pariser Blutnacht des heiligen Bartholomäus, sondern an einem weder historisch noch ethisch gleichwertigen dreiundzwanzigsten August eines der letzten Jahre des neunzehnten Jahrhunderts hatte vor siebenzig Jahren das Menschenkind, das jetzt aufrecht im Bette saß, das Licht der Welt, wie man euphemistisch sagt, erblickt, und seine gegenwärtige Mitwelt: Verwandtschaft, Freundschaft und Bekanntschaft – Patronen- und Kliententum, schien sich wirklich gefreut zu haben, den Tag unter ihren Erlebnissen mitfeiern zu können. Ein langer Satz, aber dem Geschehnis angemessen! –
Es roch um den erwachenden Jubelgreis nach Kuchen – Geburtstagskuchen, Hochzeitkuchen, Begräbniskuchen – nach dem Kuchen aller Erdenfestlichkeiten! und der Jubelgreis mit den mühsam wieder zusammengesuchten Körper- und Geisteskräften bin
Ich,
nun der Schreiber dieser Blätter.
Auf die Postille gebückt zur Seite des wärmenden Ofens und – immer noch den Kuchengeruch des Lebens in der Nase?…
Siebenzig Jahre nun und – für das Alter immer noch merkwürdig gut auf den Beinen, wie man das ausdrückt! und fünfunddreißig Jahre so ungefähr, seit mein Weib zu dem blauen Himmel auf und in den Sommersonnenschein und den Kinderlärm der Gasse hinein, dem ihr Unfassbaren, Unbegreiflichen gegenüber, wild-böse durch den jungen Schmerz gemacht, unserm Schicksal zuschluchzte:
»Das schöne Wetter, und mein Kind nicht mehr dabei!«…
Seit länger als dreißig Jahren wächst auch das Gras auf dem Hügel, der meine Frau neben dem Kinde deckt. Gute und schlechte Witterung hat, seit die Lieben mich des Weges allein ziehen ließen, nach gewohnter Weise auf Erden gewechselt und – ich habe mich gut »konserviert«. Alle sagen das, und auch mein allergnädigster Landesherr wird, wenn ich ihm demnächst meinen Dank für den huldreichst verliehenen hohen Orden zu Füßen legen werde, vielleicht eine ähnliche freundliche Bemerkung fallenlassen. Jawohl, es war ein sehr schönes Festwetter, und die Kinder spielen, lärmen, jauchzen noch immer in den Gassen: mein Weib und mein Kind nicht mehr dabei; aber wir anderen recht vergnügt bei Tische. Ich jedenfalls noch vorhanden in perfect health and memory – bei guter Gesundheit und klarem Bewusstsein – wie es in einem, nicht bloß den nächsten Erben bekanntgewordenen Testament heißt!
Fünfzehn Jahre bedeuten nach dem Wort des Historikers eine lange Zeit für den Menschen und sein Leben, dreißig eine längere. Was alles kann der Mensch hinter sich lassen und vor sich bringen, bis er vor der Zahl siebenzig und dem berühmten biblischen Wort steht? Mir brauchte kein solcher »Jubeltag« zu kommen, um mir das deutlich zu machen, nur etwas deutlicher konnte es mir dadurch gemacht werden.
Ich stehe weder vor einer verschütteten Erdenwelt noch im Reich der Himmel vor meiner Märtyrer-Ehrenhaut: ich stehe nur noch immer auf meinen Füßen; aber es ist nicht wahr, was einige behaupten, nämlich dass ich das einzig und allein meinem guten Magen zu verdanken habe. Man darf übrigens dergleichen Gerede in einem Dasein, welches wie das unserige recht sehr auf eine gute Verdauung in