Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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mei­nen Vor­schlag doch an­ge­nom­men! Das Ver­nünf­tigs­te, was sie tun konn­ten, trotz­dem ich nicht glau­be, dass selbst die­ser schlaue Tüf­tel­kopf et­was Neu­es aus dem Ma­te­ri­al her­aus­schin­den kann!

      Esche­rich will gra­de den Kri­mi­nal­rat Zott freund­lich-freu­dig be­grü­ßen, schon um ihm zu zei­gen, dass er über die Ab­ga­be des Fal­les kein biss­chen ge­kränkt ist, da fühlt er sich von den bei­den SS-Leu­ten rau zur Sei­te ge­ris­sen, und der mit dem Tot­schlä­ger­ge­sicht schreit: »Mel­de SS-Män­ner Do­bat und Ja­co­by mit ei­nem Häft­ling!«

      Häft­ling – der soll ich wohl sein?, denkt Esche­rich ver­wun­dert.

      Und laut: »Herr Ober­grup­pen­füh­rer, darf ich noch sa­gen, dass …«

      »Mach, dass das Aas die Schnau­ze hält!«, brüllt Prall, der wahr­schein­lich auch was auf den De­ckel ge­kriegt hat, wü­tend.

      Der SS-Mann Do­bat schlägt Esche­rich mit der ge­ball­ten Faust ge­gen den Mund. Der fühlt einen wü­ten­den Schmerz, wi­der­lich war­men Blut­ge­schmack im Mun­de. Dann beugt er sich vorn­über und spuckt ein paar Zäh­ne auf den Tep­pich.

      Und wäh­rend er das al­les tut, ganz me­cha­nisch tut, nicht ein­mal der Schmerz tut rich­tig weh, denkt er: Ich muss das so­fort auf­klä­ren. Na­tür­lich bin ich zu al­lem be­reit. Haus­su­chun­gen durch ganz Ber­lin. Spio­ne in je­dem Haus, wo meh­re­re Rechts­an­wäl­te und Ärz­te woh­nen. Ich tu al­les, was ihr wollt, aber ihr könnt mir hier doch nicht ein­fach in die Fres­se schla­gen, mir, ei­nem al­ten Kri­mi­nal­be­am­ten und In­ha­ber des Kriegs­ver­dienst­kreu­zes!

      In­dem er fie­ber­haft so denkt, ganz me­cha­nisch von den Grif­fen der SS-Män­ner frei­zu­kom­men sucht und da­bei im­mer wie­der zum Spre­chen an­setzt – aber er kann doch we­gen der zer­ris­se­nen Ober­lip­pe und des blu­ten­den Mun­des gar nicht spre­chen –, wäh­rend­dem ist Ober­grup­pen­füh­rer Prall vor ihn ge­sprun­gen, hat ihn mit bei­den Hän­den vor der Brust ge­fasst und ge­schri­en: »Na, ha­ben wir dich end­lich so weit, dich hoch­nä­si­gen Klug­schei­ßer! Bist dir ja im­mer mäch­tig schlau vor­ge­kom­men, wenn du mir dei­ne scheiß­klu­gen Vor­trä­ge hieltst, was? Denkst du viel­leicht, ich hab das nicht ge­merkt, für wie dumm du mich hieltst, und du warst ober­schlau, he? Na, nun ha­ben wir dich, und nun wer­den wir mit dir Schlit­ten fah­ren, das sollst du er­le­ben!«

      Ei­nen Au­gen­blick starr­te Prall, fast be­sin­nungs­los vor Zorn, den blu­ten­den Mann an.

      Er schrie: »Spuckst mir hier den Tep­pich voll, mit dei­nem dre­cki­gen Hun­de­blut, was? Schluckst du das Blut run­ter, du Hund, oder ich schla­ge dir gleich sel­ber eins in die Schnau­ze!«

      Und der Kom­missar Esche­rich – nein, das jäm­mer­li­che, angst­vol­le Männ­lein Esche­rich, das noch vor ei­ner Stun­de ein mäch­ti­ger Kom­missar der Ge­sta­po ge­we­sen war, müh­te sich, To­des­schweiß auf der Stirn, den wi­der­lich war­men Blutstrom hin­un­ter­zu­schlu­cken, nicht den Tep­pich zu be­schmut­zen, sei­nen ei­ge­nen, nein, jetzt den Tep­pich von Herrn Kri­mi­nal­rat Zott …

      Mit gie­ri­gen Au­gen hat­te der Ober­grup­pen­füh­rer die­ses kläg­li­che Be­neh­men des Kom­missars be­ob­ach­tet. Nun wand­te er sich von Esche­rich mit ei­nem är­ger­li­chen »Ach was!« ab und frag­te den Kri­mi­nal­rat: »Brau­chen Sie den Mann noch zu ir­gend­ei­ner Auf­klä­rung, Herr Zott?«

      Es war ein un­ge­schrie­be­nes Ge­setz, dass all die al­ten, zum Dienst bei der Ge­sta­po kom­man­dier­ten Kri­mi­na­lis­ten auf Ge­deih und Ver­derb zu­sam­men­hiel­ten, wie ja auch die SS un­ter­ein­an­der zu­sam­men­hielt – oft ge­gen die Kri­mi­nal­be­am­ten. Nie wäre es Esche­rich ein­ge­fal­len, einen auch noch so schuld­be­la­de­nen Kol­le­gen der SS aus­zu­lie­fern; er hät­te sich eher be­müht, vor de­nen auch die größ­te Schand­tat zu ver­ste­cken. Und nun muss­te er er­le­ben, wie der Kri­mi­nal­rat nach ei­nem kur­z­en Blick auf Esche­rich kalt sag­te: »Den Mann? Zu ei­ner Auf­klä­rung? Dan­ke, Herr Ober­grup­pen­füh­rer. Ich klä­re mich lie­ber selbst auf!«

      »Ab­füh­ren den Mann«, schrie der Ober­grup­pen­füh­rer. »Und macht ihm ein biss­chen Bei­ne, Kerls!«

      Und im Eil­tem­po wur­de zwi­schen den bei­den SS-Män­nern der Esche­rich den Gang ent­lang­ge­ris­sen, den­sel­ben Gang, den er vor rund ei­nem Jahr den Bark­hau­sen mit ei­nem Tritt hin­ab­ge­schickt hat­te, la­chend über den treff­li­chen Witz. Und über die­sel­ben Stein­trep­pen wur­de er hin­un­ter­ge­wor­fen, auf der­sel­ben Stel­le blieb er blu­tend lie­gen, auf der Bark­hau­sen blu­tend ge­le­gen hat­te. Wur­de mit Trit­ten hoch­ge­jagt, die Kel­ler­trep­pe zum Bun­ker hin­un­ter­ge­wor­fen …

      Je­des Glied schmerz­te ihn, und dann kam es, Schlag auf Schlag: raus aus dem Zi­vil, rein in die Ze­brakluft, die scham­los of­fe­ne Ver­tei­lung sei­nes Be­sit­zes un­ter die SS-Män­ner. Und im­mer­zu Hie­be, Püf­fe, Dro­hun­gen …

      Oh, ja­wohl, der Kom­missar Esche­rich hat­te das al­les oft in den letz­ten Jah­ren ge­se­hen, und er hat­te nichts Ver­wun­der­li­ches oder Ver­werf­li­ches dar­in ge­fun­den, denn so ge­sch­ah es ja Ver­bre­chern. Es ge­sch­ah so mit Recht. Aber dass er, der Kri­mi­nal­kom­missar Esche­rich, jetzt zu die­sen recht­lo­sen Ver­bre­chern zäh­len soll­te, das woll­te ihm nicht in den Kopf. Er hat­te nichts ver­bro­chen. Er hat­te nur den Vor­schlag ge­macht, eine Sa­che ab­ge­ben zu dür­fen, in der auch sei­ne sämt­li­chen Vor­ge­setz­ten nicht einen brauch­ba­ren Vor­schlag hat­ten ma­chen kön­nen. Es wür­de sich auf­klä­ren, sie muss­ten ihn wie­der ho­len! Sie ka­men ja ein­fach nicht ohne ihn aus! Und bis da­hin muss­te er Hal­tung be­wah­ren, er durf­te kei­ne Furcht zei­gen, nicht ein­mal sei­ne Schmer­zen durf­te er sich mer­ken las­sen.

      Sie brach­ten gra­de noch einen in den Bun­ker. Ei­nen klei­nen Ta­schen­dieb, wie man gleich hör­te, der das Un­glück ge­habt hat­te, die Dame ei­nes ho­hen SA-Füh­rers be­klau­en zu wol­len, und der da­bei er­wi­scht wor­den war.

      Jetzt brach­ten sie ihn her, sie hat­ten ihn wohl schon un­ter­wegs in der Ma­che ge­habt, ein wim­mern­des Ge­schöpf, das nach sei­nem Kot stank und das im­mer wie­der, auf den Kni­en rut­schend, die Bei­ne der SS-Män­ner um­schlang: sie möch­ten ihm doch um der hei­li­gen Ma­ria wil­len nichts tun! Sie möch­ten doch Gna­de an ihm üben – der lie­be Herr Je­sus wür­de es ih­nen ver­gel­ten!

      Die SS-Män­ner mach­ten sich den Scherz, den Klei­nen, der ihre Bei­ne um­klam­mert hielt, im schöns­ten Bet­teln mit den Kni­en ins Ge­sicht zu sto­ßen. Dann wälz­te sich der klei­ne Ta­schen­dieb schrei­end auf der Erde – bis er wie­der in die har­ten Ge­sich­ter späh­te, in ei­nem den Schim­mer von Gna­de zu ent­de­cken glaub­te und von neu­em mit sei­nen An­ru­fun­gen be­gann …

      Und mit die­sem Ge­würm, mit die­sem kot­stin­ken­den Feig­ling, wur­de der all­mäch­ti­ge Kom­missar Esche­rich in eine Zel­le ge­sperrt.

      38. Die zweite Warnung

      An ei­nem Sonn­tag­mor­gen sag­te Frau Anna et­was zag­haft: »Ich glau­be, Otto, wir müs­sen mal wie­der nach mei­nem Bru­der Ul­rich se­hen. Du weißt, wir sind dran. Wir ha­ben uns acht Wo­chen nicht mehr bei Heff­kes se­hen las­sen.«

      Otto Quan­gel sah von sei­ner Schrei­be­rei hoch. »Schön, Anna«, sag­te er. »Dann also nächs­ten Sonn­tag. Ist’s recht?«