Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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die Kar­te im Post­kas­ten. Otto Quan­gel, der von die­ser ei­li­gen, geis­tes­ge­gen­wär­ti­gen Ak­ti­on sei­ner Frau noch nichts wuss­te, dach­te: Die Anna ist aber tüch­tig. Wo sie bloß mit der Kar­te ge­blie­ben ist? Ich war doch im­mer an ih­rer Sei­te! Auch Quan­gels Pa­pie­re be­stä­tig­ten sei­ne sämt­li­chen An­ga­ben.

      Da­ge­gen hat­te man in der Ta­sche des Mil­lek eine fer­ti­ge, an das Re­vier ge­rich­te­te An­zei­ge ge­fun­den ge­gen eine ge­wis­se Frau von Tres­sow, Maa­ßen­stra­ße 17 wohn­haft, die ih­ren bis­si­gen Hund trotz Lei­nen­zwangs frei her­um­lau­fen las­se. Schon zwei Mal habe der Hund den Ober­post­se­kre­tär bös­ar­tig an­ge­knurrt. Er fürch­te für sei­ne Ho­sen, die jetzt im Krie­ge un­er­setz­bar sei­en.

      »Sie ha­ben Sor­gen, Mann!«, sag­te der Vor­ste­her. »Jetzt, im drit­ten Kriegs­jahr! Den­ken Sie, wir ha­ben nichts an­de­res zu tun? Wa­rum ge­hen Sie nicht ein­mal selbst an die Dame her­an und bit­ten sie höf­lich, den Hund an die Lei­ne zu neh­men?«

      »So was tu ich nicht, Herr Vor­ste­her! Eine Dame in der Nacht auf der Stra­ße an­spre­chen – nein! Nach­her wer­de ich von ihr we­gen Un­sitt­lich­keit an­ge­zeigt!«

      »Also, Wacht­meis­ter, brin­gen Sie die drei erst mal nach vor­ne. Ich möch­te jetzt te­le­fo­nie­ren.«

      »Bin ich etwa auch ver­haf­tet?«, rief der Ober­post­se­kre­tär Mil­lek zor­nig. »Ich habe Ih­nen eine wich­ti­ge An­zei­ge ge­macht, und Sie ver­haf­ten mich! Ich wer­de eine An­zei­ge ma­chen!«

      »Hat denn ein Mensch ein Wort von Ver­haf­ten ge­sagt? Wacht­meis­ter, neh­men Sie die drei mit nach vor­ne!«

      »Sie ha­ben mir die Ta­schen wie bei ei­nem Ver­bre­cher aus­lee­ren las­sen!«, schrie der Ober­post­se­kre­tär wie­der. Da schlug die Tür hin­ter ihm zu.

      Der Vor­ste­her nahm das Te­le­fon, wähl­te und mel­de­te sich. »Ich möch­te den Kom­missar Esche­rich spre­chen«, sag­te er. »We­gen der Post­kar­ten­ge­schich­te.«

      »Kom­missar Esche­rich ist aus, ex, per­du!«, rief eine fre­che Stim­me in sein Ohr. »Kri­mi­nal­rat Zott be­ar­bei­tet jetzt die­sen Fall!«

      »Dann ge­ben Sie mir Herrn Kri­mi­nal­rat Zott – falls er heu­te am Sonn­tagnach­mit­tag er­reich­bar ist.«

      »Ach, der doch im­mer! Ich gebe Ih­nen den Kri­mi­nal­rat!«

      »Hier Zott!«

      »Hier Re­vier­vor­ste­her Kraus. Herr Kri­mi­nal­rat, bei uns ist eben ein Mann ein­ge­lie­fert wor­den, der mit die­ser Post­kar­ten­af­fä­re zu tun ha­ben soll – Sie sind im Bil­de?«

      »Weiß schon! Der Fall Kla­bau­ter­mann. Was ist der Mann von Be­ruf?«

      »Tisch­ler. Werk­meis­ter in ei­ner Mö­bel­fa­brik!«

      »Dann ha­ben Sie den Fal­schen er­wi­scht! Der Rich­ti­ge ist bei der Stra­ßen­bahn! Las­sen Sie den Mann lau­fen, Vor­ste­her! Schluss!«

      So ka­men Quan­gels wie­der auf frei­en Fuß, sehr zu ih­rer ei­ge­nen Über­ra­schung, denn mit ein paar gründ­li­chen Ver­hö­ren und ei­ner Haus­su­chung hat­ten sie doch ge­rech­net.

      40. Der Herr Kriminalrat Zott

      Der Herr Kri­mi­nal­rat Zott, mit Spitz­bart und Spitz­bauch, ein Männ­chen wie aus ei­ner Ge­schich­te des Ernst Theo­dor Ama­de­us Hoff­mann, ein Ge­schöpf, wie zu­sam­men­ge­baut aus Pa­pier, Ak­ten­staub, Tin­te und viel Scharf­sinn, war in frü­he­ren Zei­ten eine recht lä­cher­li­che Fi­gur un­ter den Kri­mi­na­lis­ten Ber­lins ge­we­sen. Er ver­schmäh­te die üb­li­chen Metho­den, er mach­te fast nie eine Ver­neh­mung, und der An­blick ei­nes Er­mor­de­ten mach­te ihn krank.

      Am liebs­ten saß er über den Ak­ten der an­de­ren, ver­glich, schlug nach, mach­te sei­ten­lan­ge Ex­zerp­te – und sein Ste­cken­pferd war es, sich über al­les Ta­bel­len an­zu­le­gen, end­lo­se, mi­nu­ti­ös durch­dach­te Ta­bel­len, aus de­nen er sei­ne scharf­sin­ni­gen Schlüs­se zog. Da Kri­mi­nal­rat Zott mit sei­ner Metho­de, nur sei­nen Kopf ar­bei­ten zu las­sen, ei­ni­ge über­ra­schen­de Er­fol­ge er­zielt hat­te in Fäl­len, die ganz ohne Hoff­nung schie­nen, hat­te man sich dar­an ge­wöhnt, ihm alle aus­sichts­lo­sen Sa­chen zu­zu­schan­zen – wenn Zott nichts her­aus­hol­te, fand kei­ner was.

      An sich war also der Vor­schlag Kom­missar Esche­richs, den Fall Kla­bau­ter­mann an den Kri­mi­nal­rat Zott ab­zu­ge­ben, gar nicht so un­ge­wöhn­lich ge­we­sen. Nur hät­te Esche­rich die­sen Vor­schlag eben von sei­nen Vor­ge­setz­ten aus­ge­hen las­sen müs­sen, von ihm ge­macht, war er ein­fach eine Frech­heit, nein, Feig­heit vor dem Fein­de, Fah­nen­flucht …

      Kri­mi­nal­rat Zott hat­te sich drei Tage lang mit den Ak­ten Kla­bau­ter­mann ein­ge­schlos­sen und dann erst den Ober­grup­pen­füh­rer um eine Un­ter­re­dung ge­be­ten. Der Ober­grup­pen­füh­rer, be­gie­rig, die­sen Fall end­lich er­le­digt zu se­hen, war gleich zu Zott ge­kom­men.

      »Nun, Herr Kri­mi­nal­rat, was ha­ben Sie ol­ler Sher­lock Hol­mes denn nun wie­der aus­ge­schnüf­felt? Ich bin über­zeugt, Sie ha­ben den Mann schon beim Wi­ckel. Die­ser Esel von Esche­rich …«

      Und nun folg­te eine lan­ge Schimpf­ka­no­na­de auf den Esche­rich, der al­les ver­bockt hat­te. Der Kri­mi­nal­rat Zott hör­te sie, ohne eine Mie­ne zu ver­zie­hen, an, nicht ein­mal durch Ni­cken oder Kopf­schüt­teln tat er sei­ne ei­ge­ne Mei­nung kund.

      Als das Feu­er end­lich ver­raucht war, sag­te Zott: »Herr Ober­grup­pen­füh­rer, da ha­ben wir also die­sen Kar­ten­schrei­ber, einen ein­fa­chen, ziem­lich un­ge­bil­de­ten Mann, der in sei­nem Le­ben nicht viel ge­schrie­ben hat und dem es auch ziem­lich schwer­fällt, sich schrift­lich aus­zu­drücken. Er muss Jung­ge­sel­le oder Wit­wer sein und ganz al­lein in sei­ner Woh­nung le­ben, sonst hät­te ihn in die­sen zwei Jah­ren schon längst ein­mal sei­ne Frau oder Wir­tin beim Schrei­ben er­tappt, und es wäre et­was laut ge­wor­den. Dass nie et­was über sei­ne Per­son laut ge­wor­den ist, trotz­dem, wie an­zu­neh­men, in der Ge­gend nörd­lich vom Alex­an­der­platz viel über die­se Kar­ten ge­schwatzt wird, das be­weist, dass ihn nie je­mand beim Schrei­ben ge­se­hen hat. Er muss ab­so­lut al­lein le­ben. Er muss ein äl­te­rer Mann sein – ei­nem jün­ge­ren wäre die­ses Schrei­ben ohne sicht­ba­re Wir­kung längst über ge­wor­den, und er hät­te längst was an­de­res an­ge­fan­gen. Auch be­sitzt er kei­nen Ra­dio­ap­pa­rat …«

      »Schön, schön, Herr Kri­mi­nal­rat!«, un­ter­brach ihn der Ober­grup­pen­füh­rer Prall un­ge­dul­dig. »Das al­les hat mir ge­nau mit den glei­chen Wor­ten schon längst die­ser Idi­ot, der Esche­rich, er­zählt. Was ich brau­che, sind neue Aus­wer­tun­gen, Er­geb­nis­se, die mir die In­haft­nah­me die­ses Bur­schen er­mög­li­chen. Ich sehe, Sie ha­ben da eine Ta­bel­le. Was ist mit die­ser Ta­bel­le?«

      »Ich habe da eine Ta­bel­le«, ant­wor­te­te der Kri­mi­nal­rat und ließ sich nicht an­mer­ken, wie schwer Prall ihn eben ge­kränkt hat­te, als er alle scharf­sin­ni­gen De­duk­tio­nen Zotts als schon von Esche­rich vor­ge­tra­gen be­zeich­net hat­te, »ich habe da alle Fund­zei­ten der Kar­ten auf­ge­zeich­net. Es han­delt sich bis heu­te um zwei­hun­dert­drei­und­drei­ßig Kar­ten und acht Brie­fe. Wenn wir uns die­se Fund­zei­ten ge­nau­er