Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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habe mich Schmidt ge­nannt, ver­stehst du, vie­le Leu­te hei­ßen ja wirk­lich Schmidt.«

      »Ja, und ich habe dich vor ihm ›Herr Berndt‹ an­ge­re­det«, rief Anna er­schro­cken. »Das muss dem doch auf­ge­fal­len sein.«

      Quan­gel blieb be­trof­fen ste­hen. »Wahr­haf­tig«, sag­te er, »dar­an habe ich noch gar nicht ge­dacht! Aber es scheint ihm doch nicht auf­ge­fal­len zu sein. Die Stra­ße ist leer. Kei­ner geht hin­ter uns her. In der Von-Ei­nem-Stra­ße wird er na­tür­lich um­sonst su­chen, aber dann sit­zen wir längst bei Heff­kes.«

      Anna blieb ste­hen. »Weißt du, Otto«, sag­te sie, »jetzt bin ich es, die sagt: Ge­hen wir lie­ber heu­te nicht zu Ul­rich. Jetzt habe ich das Ge­fühl, es ist heu­te ein schlech­ter Tag. Lass uns nach Haus fah­ren. Die Kar­ten brin­ge ich mor­gen fort.«

      Aber er schüt­tel­te lä­chelnd den Kopf. »Nein, nein, Anna, wo wir ein­mal so weit sind, wol­len wir den Be­such auch hin­ter uns brin­gen. Wir ha­ben doch aus­ge­macht, es soll un­ser letz­ter sein. Und au­ßer­dem möch­te ich nicht gra­de jetzt auf den Nol­len­dorf­platz ge­hen. Wo­mög­lich tref­fen wir wie­der den Arzt.«

      »Dann gib mir we­nigs­tens die Kar­ten! Ich mag nicht, dass du jetzt mit die­sen Kar­ten in der Ta­sche her­um­läufst!«

      Nach an­fäng­li­chem Wi­der­stre­ben hän­dig­te er ihr die bei­den Post­kar­ten aus.

      »Es ist wirk­lich kein gu­ter Sonn­tag, Otto …«

      39. Die dritte Warnung

      Aber dann bei den Heff­kes ver­ga­ßen sie ganz ihre schlim­men Vorah­nun­gen. Es zeig­te sich, dass sie dort wirk­lich er­war­tet wor­den wa­ren. Auch die dunkle, schweig­sa­me Schwä­ge­rin hat­te Ku­chen ge­ba­cken, und nach­dem die bei­den Ku­chen zum Mucke­fuck ge­ges­sen wa­ren, brach­te Ul­rich Heff­ke eine Fla­sche Schnaps zum Vor­schein, die ihm die Kol­le­gen im Be­trieb ge­schenkt hat­ten.

      Sie tran­ken lang­sam und mit Ge­nuss in klei­nen Glä­sern das ih­nen al­len un­ge­wohn­te Ge­tränk, und es be­wirk­te, dass sie leb­haf­ter als sonst wur­den, ge­sprä­chi­ger. Schließ­lich – nun war die Fla­sche schon leer – fing der klei­ne Bu­ckel mit den sanf­ten Au­gen an zu sin­gen. Er sang Kir­chen­lie­der, Cho­rä­le: »Es kos­tet viel, ein Christ zu sein« und »Zeuch ein zu dei­nen To­ren, sei mei­nes Her­zens Gast« – durch alle drei­zehn Stro­phen.

      Er sang sie in ei­nem ganz ho­hen Fal­sett, es klang klar und fromm, und so­gar Otto Quan­gel fühl­te sich in sei­ne Kin­der­ta­ge zu­rück­ver­setzt, als sol­che Lie­der ihm noch et­was be­deu­tet hat­ten, da er schlicht gläu­big ge­we­sen war. Da­mals war das Le­ben noch ein­fach ge­we­sen, er hat­te nicht nur an Gott ge­glaubt, son­dern auch an die Men­schen. Er hat­te ge­glaubt, dass Sprü­che wie »Lie­be dei­ne Fein­de« und »Ge­seg­net sei­en die Fried­fer­ti­gen«, dass sol­che Sprü­che auf der Erde Gül­tig­keit be­sa­ßen. Es war sehr an­ders seit­dem ge­wor­den und be­stimmt nicht bes­ser. An Gott konn­te nie­mand mehr glau­ben; es war un­mög­lich, dass ein gü­ti­ger Gott sol­che Schan­de, wie sie heu­te auf der Welt war, zuließ, und was die Men­schen an­ging, die­se Schwei­ne …

      Der buck­li­ge Ul­rich Heff­ke sang ganz hoch und rein: »Du bist ein Mensch, das weißt du wohl, was strebst du denn nach Din­gen …«

      Aber zum Abendes­sen zu blei­ben, lehn­ten Quan­gels schlicht­weg ab. Ja, es sei sehr schön ge­we­sen, aber nun müss­ten sie un­be­dingt nach Haus. Otto habe noch et­was zu er­le­di­gen. Und es gehe ja schon nicht we­gen der Le­bens­mit­tel­kar­ten, sie wüss­ten doch auch, wie das wäre. Al­len Ver­si­che­run­gen der Heff­kes zum Trotz, ein­mal gehe das schon, man feie­re ja nicht je­den Sonn­tag Ge­burts­tag und es sei wirk­lich al­les vor­be­rei­tet, sie soll­ten nur selbst in die Kü­che se­hen – all die­sen Ver­si­che­run­gen zum Trotz blie­ben die Quan­gels da­bei, sie müss­ten ge­hen.

      Und sie gin­gen auch wirk­lich, ob­wohl die Heff­kes ent­schie­den ge­kränkt wa­ren.

      Auf der Stra­ße sag­te Anna: »Hast du ge­se­hen, der Ul­rich ist ein­ge­schnappt und sei­ne Frau auch …«

      »Lass sie ru­hig ein­ge­schnappt sein! Dies war ja so­wie­so un­ser letz­ter Be­such!«

      »Aber es war dies­mal sehr nett, das fin­dest du doch auch, Otto?«

      »Si­cher. Be­stimmt. Der Schnaps hat viel dazu ge­tan …«

      »Und Ul­rich hat so schön ge­sun­gen – fan­dest du es nicht auch schön?«

      »Ja, sehr schön. Ein ko­mi­scher Pe­ter. Ich bin si­cher, er be­tet je­den Abend im Bett noch zum lie­ben Gott.«

      »Lass ihn doch, Otto! Sol­che From­men ha­ben es heut­zu­ta­ge leich­ter. Sie ha­ben doch einen, an den sie sich mit ih­ren Sor­gen wen­den kön­nen. Und sie glau­ben, dass all die­ses Mor­den einen Sinn hat.«

      »Dan­ke!«, sag­te Quan­gel plötz­lich böse. »Sinn! Das ist doch al­les Un­sinn! Weil die an den Him­mel glau­ben, wol­len sie auf der Erde nichts än­dern. Im­mer nur krie­chen und sich drücken! Im Him­mel wird ja al­les wie­der gut. Gott weiß ja, warum es ge­schieht. Am Jüngs­ten Tag wer­den wir das al­les schon er­fah­ren! Nein, dan­ke.«

      Quan­gel hat­te has­tig und sehr böse ge­spro­chen. Der un­ge­wohn­te Al­ko­hol tat sei­ne Wir­kung in ihm. Plötz­lich blieb Quan­gel ste­hen. »Das ist das Haus!«, sag­te er plötz­lich. »Da will ich rein! Gib mir eine Kar­te, Anna!«

      »O nein, Otto. Tu das nicht! Wir hat­ten doch ab­ge­macht, heu­te woll­ten wir nichts mehr tun. Es ist doch ein schlech­ter Tag heu­te!«

      »Nicht mehr, jetzt nicht mehr. Gib die Kar­te, Anna!«

      Sie gab sie ihm zö­gernd. »Wenn es nur nicht schief­geht, Otto. Ich habe sol­che Angst …«

      Aber er ach­te­te nicht auf ihre Wor­te, er war schon ge­gan­gen.

      Sie war­te­te. Aber dies­mal brauch­te sie sich nicht lan­ge zu ängs­ti­gen, Otto kam schnell wie­der.

      »So«, sag­te er und hak­te sie un­ter. »Das wäre er­le­digt. Siehst du, wie ein­fach das ging? Man soll auf die­se Vorah­nun­gen nichts ge­ben.«

      »Gott­lob!«, sag­te Anna.

      Aber sie hat­ten kaum die paar Schrit­te zum Nol­len­dorf­platz hin ge­macht, da stürz­te ein Herr auf sie zu. In der Hand hielt er die Quan­gel’­sche Kar­te.

      »Sie! Sie!«, schrie er wahn­sin­nig auf­ge­regt. »Sie ha­ben da eben die­se Kar­te bei mir auf den Flur ge­legt! Ich hab Sie ge­nau ge­sehn! Genau ge­sehn! Po­li­zei! Hal­lo! Schutz­mann!«

      Und er schrie im­mer lau­ter. Die Men­schen lie­fen um sie zu­sam­men, ein Schu­po kam ei­lig über den Damm.

      Es war kein Zwei­fel: Das Spiel stand plötz­lich ge­gen die Quan­gels. Nach­dem der Werk­meis­ter über zwei Jah­re lang er­folg­reich ge­ar­bei­tet hat­te, war plötz­lich das Glück ge­gen ihn. Ein Mis­ser­folg nach dem an­de­ren. Hie­rin be­hielt der ehe­ma­li­ge Kom­missar Esche­rich recht: man kann nicht im­mer mit Glück spie­len, man muss auch das Un­glück ein­kal­ku­lie­ren. Das hat­te Otto Quan­gel ver­ges­sen. Er hat­te nie an all die klei­nen, wid­ri­gen Zu­fäl­le ge­dacht, die das Le­ben stets be­reithält, die man nicht vor­aus­se­hen kann und mit de­nen man doch rech­nen muss.

      In die­sem Fall war der Zu­fall in der Ge­stalt ei­nes klei­nen, rach­süch­ti­gen