Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


Скачать книгу

möch­te heu­te ei­gent­lich au­ßer die­ser Kar­te noch einen Brief schrei­ben«, sag­te Quan­gel ver­dros­sen. »Ich habe es mir nun ein­mal so vor­ge­nom­men. Ich schmei­ße nicht gern mein Pro­gramm um.«

      »Bit­te, Otto!«

      »Kannst du nicht al­lein ge­hen, Anna, und de­nen sa­gen, ich habe mein Rei­ßen? Du hast das doch schon ein­mal ge­tan!«

      »Gra­de, weil ich’s schon ein­mal ge­tan habe, möch­te ich’s nicht schon wie­der tun«, bat Anna. »Jetzt, wo er Ge­burts­tag hat …«

      Quan­gel sah in das bit­ten­de Ge­sicht sei­ner Frau. Er woll­te ihr ger­ne den Ge­fal­len tun, aber der Ge­dan­ke, heu­te sei­ne Stu­be zu ver­las­sen, mach­te ihn miss­mu­tig.

      »Wo ich heu­te den Brief schrei­ben woll­te, Anna! Der Brief ist wirk­lich wich­tig. Ich habe mir da was aus­ge­dacht … Er wird be­stimmt eine mäch­ti­ge Wir­kung tun. Und dann, Anna, ich ken­ne jetzt all eure Kin­der­ge­schich­ten, ich weiß sie aus­wen­dig. Es ist so lang­wei­lig bei Heff­kes. Ich hab nichts zu re­den mit ihm, und dei­ne Schwä­ge­rin sitzt auch im­mer bloß ein­ge­fro­ren da­bei. Wir hät­ten das nie mit der Ver­wandt­schaft an­fan­gen sol­len, Ver­wand­te sind ein Gräu­el. Wir bei­de sind voll­kom­men ge­nug!«

      »Nun gut, Otto«, gab sie zum Teil nach, »so wol­len wir es heu­te un­sern letz­ten Be­such sein las­sen. Ich ver­sprech dir, dich nicht wie­der dar­um zu bit­ten. Aber nur heu­te, wo ich den Ku­chen ge­ba­cken habe und Ul­rich Ge­burts­tag fei­ert! Nur die­ses eine Mal noch! Bit­te, Otto!«

      »Heu­te ist es mir gra­de be­son­ders zu­wi­der«, sag­te er.

      Aber von ih­ren fle­hen­den Au­gen über­wun­den, brumm­te er schließ­lich doch: »Na schön, Anna, ich will mir’s über­le­gen. Wenn ich bis Mit­tag zwei Kar­ten schaf­fe …«

      Er schaff­te bis Mit­tag zwei Kar­ten, und so gin­gen Quan­gels denn ge­gen drei Uhr aus der Woh­nung. Sie woll­ten mit der U-Bahn bis Nol­len­dorf­platz fah­ren, aber kurz vor der Bülow­stra­ße schlug Quan­gel sei­ner Frau vor, schon Bülow­stra­ße aus­zu­stei­gen, viel­leicht sei da et­was zu ma­chen.

      Sie wuss­te, er hat­te die zwei Kar­ten in der Ta­sche, sie ver­stand ihn so­fort und nick­te.

      Sie gin­gen ein Stück die Pots­da­mer Stra­ße hin­un­ter, ohne ein pas­sen­des Haus zu fin­den. Dann muss­ten sie rechts in die Win­ter­feldt­stra­ße ein­bie­gen, sonst wä­ren sie zu weit von der Woh­nung des Schwa­gers ab­ge­kom­men. Und wie­der such­ten sie.

      »Das ist kei­ne so gute Ge­gend wie bei uns«, sag­te Quan­gel un­zu­frie­den.

      »Und heu­te ist Sonn­tag«, setz­te sie hin­zu. »Sei bloß vor­sich­tig!«

      »Ich bin schon vor­sich­tig«, er­wi­der­te er. Und: »Da wer­de ich rein­ge­hen!«

      Schon, sie hat­te noch nichts sa­gen kön­nen, war er im Hau­se ver­schwun­den.

      Für Anna be­gan­nen jetzt die Mi­nu­ten des War­tens, die­se im­mer neu qual­vol­len Mi­nu­ten, in de­nen sie Angst um Otto hat­te und doch nichts tun konn­te als war­ten.

      O Gott! dach­te sie, das Haus be­trach­tend, das Haus sieht aber gar nicht gut aus! Wenn es nur glatt­geht! Ich hät­te ihm viel­leicht nicht so zu­re­den sol­len, heu­te hier­her­zu­fah­ren. Er woll­te doch durch­aus nicht, ich hab’s ihm ja an­ge­merkt. Und das war nicht nur we­gen des Brie­fes, den er schrei­ben woll­te. Wenn ihm heu­te was pas­siert, wer­de ich mir ewig Vor­wür­fe ma­chen! Da kommt Otto …

      Aber es war nicht Otto, der aus dem Hau­se kam, es war eine Dame, die an Anna, sie scharf an­se­hend, vor­über­ging.

      Hat die mich eben arg­wöh­nisch an­ge­se­hen? Es kam mir bei­nah so vor. Ist was im Hau­se pas­siert? Otto ist schon so lan­ge drin, si­cher zehn Mi­nu­ten! Ach was, das weiß ich doch von vie­len Ma­len: Wenn man so war­tend vor ei­nem Hau­se steht, kommt ei­nem die Zeit im­mer end­los vor. Gott­lob, da ist Otto wirk­lich!

      Sie woll­te auf ihn zu­ge­hen – und sie blieb ste­hen.

      Denn Otto war nicht al­lein aus dem Hau­se ge­kom­men, son­dern er war be­glei­tet von ei­nem sehr großen Herrn, der einen schwar­zen Man­tel mit Samt­kra­gen trug und des­sen eine Ge­sichts­hälf­te von ei­nem rie­si­gen, großen Feu­er­mal mit wuls­ti­gen Nar­ben ent­stellt war. In der Hand trug die­ser Herr eine di­cke schwar­ze Ak­ten­ta­sche. Ohne ein Wort mit­ein­an­der zu spre­chen, gin­gen die bei­den an Anna, der das Herz vor Schreck ste­hen­ge­blie­ben war, vor­über, in der Rich­tung auf den Win­ter­feldt­platz zu. Sie folg­te ih­nen mit fast ver­sa­gen­den Fü­ßen.

      Was ist da schon wie­der pas­siert?, frag­te sie sich angst­voll. Was ist das für ein Herr, der mit Otto geht? Kann das ei­ner von der Ge­sta­po sein? Er sieht schreck­lich aus mit die­sem Feu­er­mal! Sie spre­chen kein Wort mit­ein­an­der – o Gott, hät­te ich Otto nur nicht zu­ge­re­det. Er tat, als kenn­te er mich nicht, es muss also Ge­fahr sein! Die­se un­se­li­ge Kar­te!

      Plötz­lich hielt es Anna nicht mehr aus. Sie er­trug die qual­vol­le Un­ge­wiss­heit nicht län­ger. Mit ei­ner bei ihr ganz sel­te­nen Ent­schlos­sen­heit über­hol­te sie die bei­den Her­ren und blieb ste­hen. »Herr Berndt!«, rief sie und reich­te Otto die Hand. »Das ist gut, dass ich Sie tref­fe! Sie müs­sen so­fort zu uns kom­men. Wir ha­ben einen Rohr­bruch in der Was­ser­lei­tung, die gan­ze Kü­che schwimmt schon …« Sie brach ab, sie fand, der Herr mit dem Feu­er­mal sah sie sehr son­der­bar an, so spöt­tisch, so ver­ächt­lich.

      Aber Otto sag­te: »Ich kom­me dann gleich zu Ih­nen. Ich will nur den Herrn Dok­tor zu mei­ner Frau brin­gen.«

      »Ich kann auch al­lein vor­an­ge­hen«, sag­te der Mann mit dem Feu­er­mal. »Von-Ei­nem-Stra­ße 17, sag­ten Sie? Schön. Ich hof­fe, Sie kom­men bald nach.«

      »In ei­ner Vier­tel­stun­de, Herr Dok­tor, spä­tes­tens in ei­ner Vier­tel­stun­de bin ich auch da. Ich wer­de erst mal nur den Haup­t­hahn ab­stel­len.«

      Und zehn Schrit­te wei­ter press­te er den Arm An­nas mit ei­ner ganz un­ge­wohn­ten Zärt­lich­keit ge­gen sei­ne Brust. »Das hast du groß­ar­tig ge­macht, Anna! Ich wuss­te doch nicht, wie ich den Kerl los­wer­den soll­te! Wie bist du denn auf die Idee ge­kom­men?«

      »Wer war das? Ein Arzt? Ich dach­te, es wäre ei­ner von der Ge­sta­po, und konn­te die Un­ge­wiss­heit nicht län­ger er­tra­gen. Geh lang­sa­mer, Otto, mir zit­tern jetzt alle Glie­der. Vor­hin habe ich nicht ge­zit­tert, aber jetzt! Was ist denn ge­sche­hen? Weiß er was?«

      »Nichts. Sei ganz ru­hig. Er weiß gar nichts. Nichts ist ge­sche­hen, Anna. Aber seit heu­te früh, seit du mir ge­sagt hast, wir soll­ten zu dei­nem Bru­der ge­hen, bin ich ein schlech­tes Ge­fühl nicht los­ge­wor­den. Ich hab ge­dacht, es sei we­gen des Brie­fes, den ich mir doch ein­mal vor­ge­nom­men hat­te. Und we­gen der Lan­gen­wei­le bei den Heff­kes. Aber jetzt weiß ich, es war, weil ich im­mer das Ge­fühl hat­te, heu­te pas­siert noch was. Heu­te gehe ich lie­ber nicht aus dem Bau …«

      »Es ist also doch was pas­siert, Otto?«

      »Nein, gar nichts. Ich sag­te dir doch schon, dass nichts pas­siert ist, Anna. Ich kom­me also die Trep­pe hoch und will gra­de mei­ne Kar­te ab­le­gen, habe sie in der Hand, da kommt die­ser Mann aus sei­ner Woh­nung ge­rannt. Ich sage dir, Anna, er lief so, er hät­te mich fast über den Hau­fen ge­rannt. Ich hat­te kei­ne Zeit, die Kar­te wie­der weg­zu­ste­cken. ›Was