Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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ist nur er­füllt von dem Ge­dan­ken, dass der Tä­ter et­was mit der Stra­ßen­bahn zu tun hat. Er ist so stolz auf die­se Ent­de­ckung. Er wäre maß­los ent­täuscht, wenn sie ihm jetzt den Quan­gel als Tä­ter her­ein­bräch­ten, die­sen Werk­meis­ter aus ei­ner Mö­bel­fa­brik. Es wäre ihm ganz egal, dass der Tä­ter nun end­lich ge­fasst ist, son­dern es wür­de ihn nur schmer­zen, dass sei­ne schö­ne Theo­rie falsch ist.

      Und dar­um, als ein oder zwei Tage spä­ter die Such­ak­ti­on so­wohl in den Häu­sern wie auf den Stra­ßen­bahn­hö­fen in vol­lem Gan­ge ist, als da der Re­vier­vor­ste­her dem Kri­mi­nal­rat mit­teilt, sie ha­ben viel­leicht den Tä­ter, dar­um fragt er nur nach dem Be­ruf. Er hört Tisch­ler, und der Mann ist für ihn er­le­digt. Stra­ßen­bah­ner muss er sein!

      An­ge­hängt und er­le­digt! So voll­kom­men er­le­digt, dass der Kri­mi­nal­rat sich nicht ein­mal klar­macht, dass die­ses Re­vier am Nol­len­dorf­platz liegt, dass es Sonn­tag ge­gen Abend ist und dass am Nol­len­dorf­platz gra­de wie­der ein­mal eine Kar­te fäl­lig ist! Nicht ein­mal die Num­mer des Re­viers merkt sich der Kri­mi­nal­rat. Die­se Idio­ten, ma­chen nichts als Dumm­hei­ten – er­le­digt!

      Mei­ne Leu­te wer­den mir schon Be­scheid brin­gen, mor­gen, spä­tes­tens über­mor­gen. Was die Schu­po macht, das ist doch meist Mist, das sind eben kei­ne Kri­mi­na­lis­ten!

      Und so kom­men die schon ge­fass­ten Quan­gels wie­der frei …

      1 Ber­li­ner Ver­kehrs­be­trie­be <<<

      41. Otto Quangel wird unsicher

      Die bei­den Quan­gels sind an die­sem Sonn­tag­abend ohne ein Wort nach Haus ge­fah­ren, ohne ein Wort ha­ben sie zu Abend ge­ges­sen. Frau Anna, die, als es dar­auf an­kam, so mu­tig und ent­schlos­sen ge­we­sen war, hat­te in der Kü­che rasch ei­ni­ge heim­li­che Trä­nen ge­weint, von de­nen Otto nichts wis­sen durf­te. Jetzt, hin­ter­her, da al­les aus­ge­stan­den war, ha­ben Schre­cken und Angst sie er­fasst. Bei­na­he wäre es schief­ge­gan­gen, um ein Klei­nes, und es wäre zu Ende mit ih­nen bei­den ge­we­sen. Wenn die­ser Mil­lek nicht so ein be­kann­ter Que­ru­lant ge­we­sen wäre. Wenn sie die Kar­te nicht hät­te los­wer­den kön­nen. Wenn der Vor­ste­her im Re­vier ein an­de­rer Mann ge­we­sen wäre – man sah es ihm ja an, dass er die­sen De­nun­zi­an­ten nicht aus­ste­hen konn­te! Ja, ein­mal ist es noch wie­der gut­ge­gan­gen, aber nie, nie darf sich Otto wie­der in eine sol­che Ge­fahr be­ge­ben.

      Sie kommt in die Stu­be, wo ihr Mann rast­los auf und ab geht. Sie bren­nen kein Licht, aber er hat die Ver­dunk­lung hoch­ge­zo­gen, es ist Mond­schein.

      Otto geht auf und ab, im­mer noch wort­los.

      »Otto!«

      »Ja?«

      Er bleibt mit ei­nem Ruck ste­hen und sieht zu der Frau hin­über, die sich in die So­fae­cke ge­setzt hat, kaum sicht­bar in dem fah­len, schwa­chen Mond­licht, das in die Stu­be si­ckert.

      »Otto, ich glau­be, jetzt ma­chen wir am bes­ten erst ein­mal eine Pau­se. Im Au­gen­blick ha­ben wir kein Glück.«

      »Geht nicht«, ant­wor­tet er. »Geht nicht, Anna. Das wür­de auf­fal­len, wenn plötz­lich kei­ne Kar­ten mehr kom­men. Jetzt gra­de, wo sie uns bei­na­he er­wi­scht ha­ben, wür­de es be­son­ders auf­fal­len. So dumm sind die auch nicht – die wür­den mer­ken, dass da ein Zu­sam­men­hang be­steht zwi­schen uns und den Kar­ten, die plötz­lich nicht mehr kom­men. Wir müs­sen schon wei­ter­ma­chen, ob wir wol­len oder nicht.«

      Er setz­te hart hin­zu: »Und ich will!«

      Sie seufz­te schwer. Sie hat­te nicht den Mut, ihm laut bei­zu­stim­men, ob­wohl sie ein­sah, er hat­te recht. Dies war kein Weg, auf dem man ein­hal­ten konn­te, wenn man woll­te. Es gab kein Zu­rück, kei­ne Ruhe. Man muss­te im­mer wei­ter.

      Nach ei­ner Wei­le Nach­den­kens sag­te sie: »Dann lass mich von jetzt an die Kar­ten fort­brin­gen, Otto. Du hast jetzt kein Glück da­mit.«

      Grol­lend sag­te er: »Ich kann nichts da­für, wenn solch ein An­ge­ber drei Stun­den hin­ter dem Guck­loch sitzt. Ich habe mich über­all ge­nau um­ge­se­hen, ich war vor­sich­tig!«

      »Ich habe nicht ge­sagt, Otto, dass du un­vor­sich­tig warst. Ich hab ge­sagt, du hast jetzt kein Glück. Da­für kannst du nichts.«

      Wie­der lenkt er ab. »Wo bist du ei­gent­lich mit der zwei­ten Kar­te ge­blie­ben? Am Lei­be ver­steckt?«

      »Das ging nicht, weil doch im­mer Leu­te da­bei wa­ren. Nein, Otto, ich habe sie in einen Brief­kas­ten am Nol­len­dorf­platz ge­steckt, gleich in der ers­ten Auf­re­gung.«

      »Brief­kas­ten? Sehr gut. Hast du gut ge­macht, Anna. Wir wer­den in den nächs­ten Wo­chen über­all, wo wir gra­de sind, Kar­ten in die Brief­käs­ten ste­cken, da­mit die­se eine nicht so auf­fällt. Brief­käs­ten sind gar nicht so schlecht, auch bei der Post wer­den nicht nur Na­zis sein. Und das Ri­si­ko ist auch ge­rin­ger.«

      »Bit­te, Otto, lass mich die Kar­ten von nun an ver­tei­len«, bat sie noch ein­mal.

      »Du musst nicht glau­ben, Mut­ter, dass ich einen Feh­ler ge­macht habe, den du hät­test ver­mei­den kön­nen. Das sind die Zu­fäl­le, vor de­nen ich mich im­mer ge­fürch­tet habe, ge­gen die es kei­ne Vor­sicht gibt, weil man sie nicht vor­aus­se­hen kann. Was kann ich ge­gen einen Spi­on tun, der drei Stun­den hin­ter ei­nem Guck­loch sitzt? Und du kannst plötz­lich krank wer­den, du fällst nur hin und brichst dir ein Bein – gleich su­chen sie dei­ne Ta­schen nach und fin­den solch eine Kar­te! Nein, Anna, ge­gen die Zu­fäl­le gibt es kei­nen Schutz!«

      »Es wür­de mich so sehr be­ru­hi­gen, wenn du mir die Ver­tei­lung über­las­sen wür­dest!«, fing sie wie­der an.

      »Ich sage nicht nein, Anna. Ich will dir die Wahr­heit ge­ste­hen, plötz­lich füh­le ich mich un­si­cher. Es ist mir, als könn­te ich stets nur auf einen Fleck star­ren, auf dem der Geg­ner nicht sitzt. Und als sä­ßen Fein­de über­all in mei­ner Nähe, und ich kann sie nicht se­hen.«

      »Du bist ner­vös ge­wor­den, Otto. Das geht schon zu lan­ge. Wenn man nur ein paar Wo­chen da­mit auf­hö­ren könn­te! Aber du hast recht, das geht nicht. Aber von jetzt an wer­de ich die Kar­ten weg­brin­gen.«

      »Ich sage nicht nein. Tu’s! Ich habe kei­ne Angst, aber du hast recht, ich bin jetzt ner­vös. Das ma­chen die­se Zu­fäl­le, mit de­nen ich nie ge­rech­net habe. Ich habe ge­glaubt, es ge­nügt, wenn man sei­ne Sa­che nur or­dent­lich macht. Aber es ist nichts da­mit, man muss auch Glück ha­ben, Anna. Wir ha­ben lan­ge Glück ge­habt, jetzt scheint es ein biss­chen an­ders zu kom­men …«

      »Es ist ja noch ein­mal gut­ge­gan­gen«, sag­te sie be­ru­hi­gend. »Es ist nichts ge­sche­hen.«

      »Aber sie ha­ben un­se­re Adres­se, je­der­zeit kön­nen sie auf uns zu­rück­grei­fen! Die­se ver­damm­te Ver­wandt­schaft, ich habe im­mer ge­sagt, sie taugt nichts.«

      »Sei jetzt nicht un­ge­recht, Otto. Was kann Ul­rich Heff­ke da­für?«

      »Na­tür­lich kann er nichts da­für! Wer hat was an­de­res ge­sagt? Aber wenn er nicht wäre, hät­ten wir dort kei­nen Be­such ge­macht. Es taugt nichts, sich an Men­schen zu hän­gen, Anna. Das macht al­les nur schwe­rer. Nun sind wir in Ver­dacht.«