Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Stim­mung nach Haus zu­rück­ge­kehrt. Selbst­ver­ständ­lich hat­ten sie ihm nicht das Ge­rings­te nach­wei­sen kön­nen, das wäre ja auch ge­lacht; aber die­se elf Wo­chen hät­te er sich er­spa­ren kön­nen, wenn Otti nicht so ein Aas ge­we­sen wäre! Und wie ein Aas be­han­del­te er sie nun auch, sie, die mit ih­ren Freun­den kein schlech­tes Le­ben in sei­ner Woh­nung ge­führt hat­te (de­ren Mie­te sie re­gel­mä­ßig be­zahl­te), wäh­rend er hat­te Taue zup­fen und vor Angst halb wahn­sin­nig wer­den müs­sen.

      Von da an ha­gel­te es Schlä­ge in der Bark­hau­sen’­schen Woh­nung. Bei dem ge­rings­ten Mucks schlug der Mann zu, ganz gleich, was er in der Hand hat­te, er schmiss es ihr in die Fres­se, dem Aas, dem ver­damm­ten, das ihn so ins Un­glück ge­bracht hat­te.

      Aber auch Otti setz­te sich zur Wehr. Nie war Es­sen für ihn da, nie Geld, nie was zu rau­chen. Sie schrie un­ter sei­nen Schlä­gen, dass die Haus­be­woh­ner zu­sam­men­lie­fen, und alle nah­men sie Par­tei ge­gen Bark­hau­sen, wo sie doch ge­nau wuss­ten, sie war nichts als eine ge­mei­ne Nut­te. Und dann ei­nes Ta­ges, als er ihr bü­schel­wei­se die Haa­re vom Kopf ge­ris­sen hat­te, tat sie das All­er­ge­meins­te: sie ver­schwand auf Nim­mer­wie­der­se­hen aus der Woh­nung und ließ ihn sit­zen mit den rest­li­chen vier Gö­ren, von de­nen bei kei­nem sei­ne Va­ter­schaft si­cher war. Ver­dammt noch mal, Bark­hau­sen hat­te rich­tig auf Ar­beit ge­hen müs­sen, sonst wä­ren sie alle ver­hun­gert, und die zehn­jäh­ri­ge Pau­la führ­te nun die Wirt­schaft.

      Ein be­schei­de­nes Jahr, ein wahr­haft be­schis­se­nes Jahr war das ge­we­sen! Und dazu die­ser im­mer wei­ter­boh­ren­de Hass auf die Per­sickes, de­nen er nichts aus­wi­schen konn­te noch durf­te, die ohn­mäch­ti­ge Wut und Ei­fer­sucht, als im Hau­se be­kannt wur­de, der Bal­dur käme auf eine Na­po­la, und schließ­lich das klei­ne, dün­ne Wie­der­auf­glim­men von Hoff­nung, als er den Suff des al­ten Per­si­cke be­ob­ach­te­te – viel­leicht – viel­leicht doch …

      Und nun saß er in der Woh­nung der Per­sickes, da auf dem Tisch­chen un­ter dem Fens­ter stand der Ra­dio­ap­pa­rat, den Bal­dur der al­ten Ro­sen­thal ge­klaut hat­te. Bark­hau­sen war nahe am Ziel, und nun kam es nur noch dar­auf an, wie er die­se Wan­ze da un­ver­däch­tig weg­krieg­te …

      Bark­hau­sens Au­gen leuch­ten auf, wenn er dar­an denkt, wie Bal­dur to­ben wür­de, wenn er den Bark­hau­sen da am Tisch sit­zen sähe. Die­ser schlaue Fuchs, der Bal­dur, aber im­mer noch nicht schlau ge­nug. Ge­duld ist manch­mal mehr wert als Schlau­heit. Und plötz­lich fällt Bark­hau­sen ein, wie es der Bal­dur mit ihm und dem Enno Klu­ge ei­gent­lich hat­te trei­ben wol­len, da­mals als sie in die Woh­nung der Ro­sen­thal ein­ge­bro­chen wa­ren, das heißt, ein rich­ti­ger Ein­bruch war es ja gar nicht ge­we­sen, son­dern eine be­stell­te Sa­che …

      Bark­hau­sen schiebt die Un­ter­lip­pe vor, er be­trach­tet sein wäh­rend des lan­gen Schwei­gens sehr zap­pe­lig ge­wor­de­nes Ge­gen­über nach­denk­lich und sagt: »Na, dann zei­gen Sie mir mal, was Sie in den Kof­fern ha­ben!«

      »Hö­ren Sie mal«, die Rat­te ver­sucht sich zu wi­der­set­zen, »ich glau­be, das ist ein biss­chen viel ver­langt. Wenn mir mein Freund, der Herr Per­si­cke, er­laubt hat – das über­schrei­tet doch Ihre Rech­te als Haus­ver­wal­ter …«

      »Ach, quas­seln Sie nicht!«, sagt Bark­hau­sen. »Ent­we­der zei­gen Sie mir hier, was Sie in den Kof­fern ha­ben, oder wir bei­de ge­hen ge­mein­sam zur Po­li­zei.«

      »Ich brau­che es nicht«, stellt die Rat­te quie­kend fest, »aber ich zei­ge es Ih­nen frei­wil­lig. Mit der Po­li­zei hat man im­mer bloß Sche­re­rei­en, und wo jetzt mein Par­t­ei­ge­nos­se Per­si­cke so krank ge­wor­den ist, kann es viel­leicht noch Tage dau­ern, bis er mei­ne An­ga­ben be­stä­tigt.«

      »Los! Los! Auf­ma­chen!«, sagt Bark­hau­sen plötz­lich wild und hat nun doch einen Schluck aus der Fla­sche ge­nom­men.

      Die Rat­te Klebs sieht ihn an, plötz­lich kommt ein hä­mi­sches Lä­cheln in das Ge­sicht des Spit­zels. »Los! Los! Auf­ma­chen!« Durch die­sen Ruf hat Bark­hau­sen sei­ne Gier ver­ra­ten. Er hat auch ver­ra­ten, dass er nicht der Haus­ver­wal­ter ist, und wenn er es doch sein soll­te, so ist er ein Haus­ver­wal­ter, der die Ab­sicht hat, un­ge­treu zu sein.

      »Na, Kum­pel?«, sagt die Rat­te plötz­lich in ei­nem ganz an­de­ren Ton. »Wol­len wir nicht hal­be-hal­be ma­chen?«

      Und ein Faust­schlag schickt ihn zu Bo­den. Der Si­cher­heit hal­ber gibt Bark­hau­sen dem Klebs noch zwei, drei Schlä­ge mit ei­nem Stuhl­bein nach. So, der wird nicht muck­sen die nächs­te Stun­de!

      Und dann fängt Bark­hau­sen an ein­zu­pa­cken, um­zu­pa­cken. Wie­der wech­selt die ehe­mals Ro­sent­hal’­sche Wä­sche den Be­sit­zer. Bark­hau­sen ar­bei­tet rasch und völ­lig ru­hig. Dies­mal soll kei­ner zwi­schen ihn und den Er­folg tre­ten. Lie­ber macht er alle hin, und wenn er die Kohl­rü­be da­für her­ge­ben muss! Er lässt sich nicht noch ein­mal nep­pen.

      Und es war dann, eine Vier­tel­stun­de spä­ter, doch nur ein ganz kur­z­er Kampf mit den bei­den Schu­pos, als Bark­hau­sen aus der Woh­nung trat. Ein biss­chen Ge­tram­pel und Ge­zer­re nur, dann war Bark­hau­sen ge­bän­digt und ge­fes­selt.

      »So!«, sag­te der klei­ne Herr Kam­mer­ge­richts­rat a.D. Fromm zu­frie­den. »Und da­mit, glau­be ich, ist es mit Ih­rer Wirk­sam­keit in die­sem Hau­se für im­mer vor­bei, Herr Bark­hau­sen. Ich wer­de nicht ver­ges­sen, Ihre Kin­der der Für­sor­ge zu über­ge­ben. Aber das in­ter­es­siert Sie wohl we­ni­ger. So, mei­ne Her­ren, und nun müs­sen wir noch in die Woh­nung. Ich will hof­fen, Herr Bark­hau­sen, dass Sie mit dem klei­nen Herrn, der vor Ih­nen die Trep­pe hin­auf­ging, nichts gar zu Schlim­mes an­ge­stellt ha­ben. Und dann wer­den wir ja wohl auch noch den Herrn Per­si­cke fin­den, Herr Wacht­meis­ter, letz­te Nacht hat­te der einen An­fall von De­li­ri­um tre­mens.«

      44. Zwischenspiel: Ein Idyll auf dem Lande

      Die Ex-Brief­trä­ge­rin Eva Klu­ge ar­bei­tet auf dem Kar­tof­fela­cker, ge­nau wie sie es ein­mal ge­träumt hat. Es ist ein schö­ner, für die Ar­beit ziem­lich hei­ßer Früh­som­mer­tag, der Him­mel ist strah­lend blau, und es ist, be­son­ders hier in der ge­schütz­ten Ecke nahe am Wal­de, fast wind­still. Wäh­rend des Ha­ckens hat Frau Eva ein Klei­dungs­stück nach dem an­de­ren ab­ge­legt; nun trägt sie nur noch Blu­se und Rock. Ihre kräf­ti­gen, nack­ten Bei­ne wie ihr Ge­sicht, wie ihre Arme sind gol­dig­braun.

      Ihre Ha­cke trifft Mel­de, He­de­rich, Dis­teln, Que­cken – sie kommt nur lang­sam vor­wärts, der Acker ist sehr ver­un­krau­tet. Oft trifft ihre Ha­cke auch einen Stein, dann klingt es sil­bern sin­gend – das hört sich gut an. Nun ge­rät Frau Eva nahe dem Wald­rand in ein Nest des ro­ten Wei­de­rich – die­se Sen­ke ist feucht, die Kar­tof­feln küm­mern, aber der rote Wei­de­rich tri­um­phiert. Ei­gent­lich hat sie jetzt früh­stücken wol­len, und nach dem Stand der Son­ne zu ur­tei­len, wäre es auch Zeit da­für, aber nun will sie doch lie­ber erst die­se Wei­de­rich­pest ver­nich­ten, ehe sie pau­siert. Sie hackt an­ge­strengt, ihre Lip­pen sind fest ge­schlos­sen. Sie hat es hier auf dem Lan­de ge­lernt, das Un­kraut zu ver­ach­ten, die­ses Un­ge­zie­fer, er­bar­mungs­los hackt sie dar­auf los.

      Aber wenn Frau Evas Mund auch fest ge­schlos­sen ist, ihr Auge blickt klar und ru­hig. Der Blick hat nicht mehr den stren­gen, stets ver­sorg­ten Aus­druck wie vor