den Federhalter, vor allem auch alte Karten und altes Briefpapier, das wir noch hier haben. Alles muss verbrannt werden! Sieh jedes Schubfach nach. Es darf nichts mehr von all dem Zeug im Haus sein!«
»Aber, Otto, wir sind doch nicht in Verdacht! Das alles hat doch Zeit!«
»Nichts hat Zeit! Tu, was ich dir sage! Alles durchsehen, alles verbrennen!«
Er ging.
Als er wiederkam, war er ruhiger. »Ich habe das Fläschchen in den Friedrichshain geworfen. Hast du alles verbrannt?«
»Ja!«
»Wirklich alles? Alles durchgesehen und verbrannt?«
»Wenn ich es dir doch sage, Otto!«
»Natürlich, ist ja gut, Anna! Aber komisch, wieder ist mir so, als könnte ich den Feind nicht sehen, wo er wirklich sitzt. Als hätte ich was vergessen!«
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sah sie nachdenklich an.
»Beruhige dich, Otto, du hast bestimmt nichts vergessen, nichts. In dieser Wohnung ist nichts mehr.«
»An meinen Fingern habe ich keine Tinte? Verstehst du, ich darf nicht den geringsten Tintenfleck an mir haben, jetzt, wo keine Tinte mehr im Hause ist.«
Sie sahen nach, und wirklich fanden sie noch einen Tintenfleck an seinem rechten Zeigefinger. Sie rieb ihn mit der Hand fort.
»Siehst du, ich sage es ja, man findet immer noch was! Das sind die Feinde, die ich nicht sehen kann. Nun, vielleicht war es dieser Tintenfleck, auf den ich nicht geachtet habe und der mich immer noch quälte!«
»Er ist fort, Otto, nun ist nichts mehr, das dich unruhig machen muss!«
»Gott sei Dank! Versteh, Anna, ich habe keine Angst, aber ich möchte doch nicht, dass wir zu früh entdeckt werden. So lange wie möglich möchte ich noch meine Arbeit tun. Wenn es geht, will ich noch erleben, wie dies alles zusammenbricht. Ja, das möchte ich noch erleben. Ein wenig haben doch auch wir dazu geholfen!«
Und diesmal ist es Anna, die ihm Trost zuspricht: »Ja, du wirst es erleben, wir werden es beide noch erleben. Was ist denn geschehen? Gewiss, wir waren in großer Gefahr, aber … du sagst, das Glück hat sich gegen uns gewendet? Das Glück ist uns treu geblieben, die Gefahr ist vorüber. Wir sind hier.«
»Ja«, sagte Otto Quangel. »Wir sind hier, wir sind frei. Noch sind wir es. Und ich hoffe, wir sind es noch lange, lange …«
42. Der alte Parteigenosse Persicke
Der Schnüffler des Kriminalrats Zott, ein gewisser Klebs, hatte die Jablonskistraße nach dem alten, alleinlebenden Mann abzuklappern, auf dessen Feststellung man bei der Gestapo so großen Wert legte. In der Tasche trug er eine Liste, in der für jedes Haus und möglichst auch für jedes Hinterhaus ein zuverlässiger Parteigenosse genannt war, auch der Name Persicke stand auf dieser Liste.
Legte man in der Prinz-Albrecht-Straße großen Wert auf die Ergreifung des Gesuchten, für den Schnüffler Klebs war es ein bloßes Routinegeschäft. Klein, schlecht bezahlt und schlecht ernährt, mit schiefen Beinen, einer unreinen Haut und kariösen Zähnen erinnerte Klebs an eine Ratte, und er verrichtete seine Geschäfte, wie eine Ratte in Abfalltonnen wühlt. Immer war er bereit, eine Stulle Brot anzunehmen, um was zu trinken oder zu rauchen zu betteln, und seine klägliche, quiekende Stimme bekam bei diesem Betteln etwas leise Pfeifendes, als gehe dem Unseligen der letzte Atem aus.
Bei den Persickes öffnete ihm der Alte. Er sah wüst aus, das graue Haar in Zotteln, das Gesicht gedunsen, die Augen rot, und der ganze Mann schwankend und rollend wie ein Schiff im schweren Sturm.
»Wat willste denn?«
»Nur ’ne kleine Erkundigung einziehen, für die Partei.«
Es war diesen Schnüfflern nämlich strengstens verboten, sich bei ihren Erkundigungen auf die Gestapo zu berufen. Diese ganze Nachfrage sollte wie eine bedeutungslose Erkundigung nach einem Parteimitglied aussehen.
Aber auf den alten Persicke wirkte selbst diese harmlose Auskunft »Erkundigung für die Partei« wie ein Schlag auf den Magen. Er stöhnte und lehnte sich gegen den Türpfosten. In sein blödes, von Alkoholdünsten umnebeltes Hirn kehrte für einen Augenblick etwas Besinnung zurück und – mit der Besinnung – Angst.
Dann raffte er sich auf und sagte: »Komm rein!«
Die Ratte folgte schweigend. Sie beobachtete den alten Mann mit spitzen, flinken Augen. Nichts entging ihr.
In der Stube sah es wüst aus. Umgestürzte Stühle, umgefallene Flaschen, vor deren Hälsen Schnaps stinkend am Boden verdunstete. Eine zusammengeknüllte Schlafdecke auf der Erde. Ein heruntergerissenes Tischtuch. Unter dem Spiegel, der von einem Schlag ein Spinnennetz von Sprüngen aufwies, ein Haufen Glasscherben. Eine zugezogene Gardine und eine herabgerissene Gardine. Und überall Zigarettenstummel, Zigarettenstummel, halb angerissene Packungen mit Rauchwaren.
In den Diebsfingern des Schnüfflers Klebs zuckte es. Am liebsten hätte er jetzt gerafft und gegrapscht: Schnaps, Rauchwaren, Kippen, auch die Taschenuhr dort aus der Weste, die über einem Stuhl hing. Aber er war jetzt nur ein Bote der Gestapo oder der Partei. So setzte er sich brav auf ein Stühlchen und piepste fröhlich: »Ach, hier gibt’s zu trinken und zu rauchen! Du hast’s gut, Persicke!«
Der Alte sah ihn mit einem schweren, trüben Blick an. Dann schob er dem Besucher mit einem Ruck eine halbvolle Flasche Schnaps über den Tisch – Klebs konnte sie grade noch fassen, ehe sie kippte.
»Such dir was zu rauchen!«, murmelte Persicke und sah sich in der Stube um. »Hier muss irgendwas zu rauchen rumliegen.« Und er setzte mit schwerer Zunge hinzu: »Aber Feuer habe ich keines!«
»Mach dir keine Sorgen, Persicke!«, pfiff Klebs beruhigend. »Ich finde schon, was ich brauche. Du wirst ja in der Küche Gas haben und einen Gasanzünder.«
Er tat so, als kennten sie sich schon seit langem. Als seien sie die ältesten Freunde. Ganz selbstverständlich schlich er auf seinen schiefen Beinen in die Küche – dort sah es mit zertrümmertem Geschirr und umgestürzten Möbeln noch schlimmer aus als in der Stube –, fand wirklich den Gasanzünder in all dem Durcheinander und machte sich Feuer.
Er hatte sich gleich drei angebrochene Zigarettenpackungen eingesteckt. Eine davon hatte zwar in Schnaps gebadet, aber das konnte man trocknen. Auf dem Rückweg sah Klebs noch in die beiden anderen Stuben, alles sah völlig verwüstet und verkommen aus. Wie Klebs gleich vermutet hatte, war der alte Mann allein in der Wohnung. Der Schnüffler rieb sich zufrieden die Hände, wobei seine gelbschwarzen