Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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der hun­dert Mal mit Trä­nen in den Au­gen ver­si­chert hat, wie leid es ihm tue, dass er nicht an die Front dür­fe, son­dern nach dem Be­fehl des Füh­rers auf sei­nem länd­li­chen Pos­ten aus­har­ren müs­se – der »rich­ti­ge« Leh­rer Schwoch also ist nun doch trotz al­ler ärzt­li­chen At­tes­te zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen wor­den. Das ist nun fast ein hal­b­es Jahr her. Aber der Weg zur Front muss für die­sen Kampf­be­geis­ter­ten schwie­rig sein: vor­läu­fig sitzt der Leh­rer Schwoch noch im­mer als Schrei­ber auf ei­ner Zahl­meis­ter­stu­be. Öf­ter fährt Frau Schwoch mit Speck und Schin­ken zu ih­rem Mann, aber der Mann isst wohl nicht al­lei­ne die­se köst­li­chen Fet­tig­kei­ten: Es habe ge­klappt, jetzt wür­de ihr gu­ter Wal­ter Un­ter­of­fi­zier, hat Frau Schwoch nach ih­rer letz­ten Speck­rei­se ver­kün­det. Un­ter­of­fi­zier – wo doch nach ei­nem Be­fehl des Füh­rers Be­för­de­run­gen nur bei der kämp­fen­den Trup­pe er­fol­gen durf­ten. Aber für glü­hen­de Par­t­ei­ge­nos­sen mit Schin­ken und Speck gel­ten sol­che Führ­er­be­feh­le na­tür­lich nicht.

      Nun, Frau Eva Klu­ge ist das gleich­gül­tig. Sie weiß jetzt ge­nau, wie das al­les ist, seit sie aus der Par­tei aus­ge­tre­ten ist. Ja­wohl, sie war in Ber­lin; als sie wie­der die nö­ti­ge in­ne­re Ruhe ge­won­nen hat­te, fuhr sie nach Ber­lin und stell­te sich dem Par­t­ei­ge­richt und dem Post­amt. Es wa­ren kei­ne an­ge­neh­men Tage ge­we­sen, bei Wei­tem nicht, sie war an­ge­brüllt, be­droht und wäh­rend ih­rer fünf­tä­gi­gen Haft auch ein­mal ver­prü­gelt wor­den, das KZ war ihr nahe ge­we­sen – aber schließ­lich hat­te man sie lau­fen­las­sen. Staats­fein­din – nun, sie wür­de es ja ei­nes Ta­ges noch er­le­ben, was sie da­von hat­te.

      Eva Klu­ge hat­te ih­ren Haus­stand auf­ge­löst. Vie­les hat­te sie ver­kau­fen müs­sen, denn im Dorf hat­te man ihr nur eine Stu­be be­wil­ligt, aber sie wohn­te jetzt für sich al­lein. Sie ar­bei­te­te auch nicht mehr bloß für den Schwa­ger, der ihr am liebs­ten nur die Kost und nie Geld ge­ge­ben hät­te, sie sprang über­all bei den Bau­ern ein. Sie mach­te nicht nur Feld- und Ho­f­ar­beit, son­dern be­tä­tig­te sich auch als Kran­ken­pfle­ge­rin, als Nä­he­rin, als Gärt­ne­rin, als Schaf­sche­re­rin. Sie hat­te ge­schick­te Hän­de, ei­gent­lich war es nie so, als wenn sie et­was Neu­es lern­te, son­dern als er­in­ne­re sie sich nur ei­ner lan­ge nicht aus­ge­üb­ten Ar­beit. Die steck­te ihr im Blut, die Land­ar­beit.

      Aber die­ses gan­ze klei­ne, nun fried­vol­le Le­ben, das sie sich da in all dem Zu­sam­men­bruch auf­ge­rich­tet hat­te, be­kam erst sein rech­tes Licht und sei­ne Freu­de durch den stell­ver­tre­ten­den Leh­rer Kien­schä­per. Kien­schä­per war ein lan­ger, im­mer et­was vorn­über­ge­beugt ge­hen­der Mann aus­gangs der Fünf­zi­ger, mit wei­ßen, flat­tern­den Haa­ren und ei­nem sehr brau­nen Ge­sicht, in dem jun­ge blaue Au­gen lä­chel­ten. So wie Kien­schä­per die Kin­der des klei­nen Dor­fes mit die­sen lä­cheln­den blau­en Au­gen bän­dig­te und sie aus der za­cki­gen Er­zie­hung sei­nes Vor­gän­gers in et­was mensch­li­che­re Ge­fil­de führ­te, so wie er, mit ei­ner Baum­sche­re be­waff­net, durch die Bau­ern­gär­ten ging und die wild­wach­sen­den Obst­bäu­me von Was­ser­schos­sen und to­tem Holz be­frei­te, Krebs­wun­den aus­schnitt und mit Kar­bo­li­ne­um ver­strich – so hat­te er auch die Wun­den Evas ge­heilt, Bit­ter­keit auf­ge­löst, ihr Frie­den ge­bracht.

      Nicht gra­de, dass er viel dar­über ge­spro­chen hät­te, Kien­schä­per war kein großer Red­ner. Aber wenn er mit ihr auf sei­nem Bie­nen­stand war und von dem Le­ben der Bie­nen er­zähl­te, die er lei­den­schaft­lich lieb­te, wenn er mit ihr abends durch die Fel­der ging und ihr zeig­te, wie lie­der­lich die­ser Acker be­stellt war und mit wie we­nig Ar­beit er wie­der er­trag­rei­cher zu ma­chen wäre, wenn Kien­schä­per ei­ner Kuh beim Kal­ben half, einen um­ge­fal­le­nen Zaun, ohne ge­be­ten zu sein, wie­der auf­rich­te­te, wenn er an der Or­gel saß und sach­te nur für sie und sich spiel­te, wenn al­les hin­ter sei­nen Schrit­ten ge­ord­net und fried­lich er­schi­en – so tat das für Evas Be­frie­dung mehr als alle trös­ten­den Wor­te. Ein sich nei­gen­des Le­ben in ei­ner Zeit vol­ler Hass, Trä­nen und Blut, aber frie­de­voll, Frie­den at­mend.

      Die Leh­rers­frau Schwoch, die noch na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher war als ihr kriegs­be­geis­ter­ter Mann, hass­te na­tür­lich so­fort die­sen Kien­schä­per und tat ihm al­les zum Tort, was ih­rem ge­häs­si­gen Hirn nur ein­fiel. Sie hat­te den Stell­ver­tre­ter ih­res Man­nes zu be­hau­sen und zu be­kö­s­ti­gen, aber sie tat es mit solch ge­nau­er Be­rech­nung, dass Kien­schä­per vor dem Schul­an­fang nie ein Früh­stück be­kam, dass sein Es­sen stets an­ge­brannt war, sei­ne Stu­be aber nie ge­säu­bert.

      Doch ge­gen sei­ne hei­te­re Ge­las­sen­heit war sie macht­los. Sie konn­te sich er­hit­zen, stür­men, gei­fern, Übles von ihm re­den, an der Tür des Klas­sen­zim­mers lau­schen und dann beim Schul­rat De­nun­zia­tio­nen vor­brin­gen – un­ver­än­dert sprach er mit ihr wie mit ei­nem un­ge­zo­ge­nen Kind, das sei­ne Un­ar­ten ei­nes Ta­ges schon von selbst ein­se­hen wird. Und schließ­lich gab sich Kien­schä­per bei Frau Eva Klu­ge in Kost, zog ins Dorf, und die fet­te, zor­ni­ge Schwoch konn­te ih­ren Krieg nur noch aus der Fer­ne ge­gen ihn füh­ren.

      Wann Frau Eva Klu­ge und der weiß­haa­ri­ge Leh­rer Kien­schä­per zu­erst da­von ge­spro­chen hat­ten, dass sie ei­gent­lich hei­ra­ten könn­ten, wuss­ten bei­de nicht. Vi­el­leicht hat­ten sie auch nie da­von ge­spro­chen. Es hat­te sich ganz von selbst er­ge­ben. Sie hat­ten es auch nicht ei­lig da­mit – ei­nes Ta­ges, ir­gend­wann, wür­de es so weit sein. Zwei al­tern­de Leu­te, die kei­nen ein­sa­men Fei­er­abend ha­ben woll­ten. Nein, kei­ne Kin­der mehr, nie wie­der Kin­der – da­vor schau­der­te Frau Eva. Aber Ka­me­rad­schaft, ver­ste­hen­de Lie­be und vor al­lem Ver­trau­en. Sie, die in ih­rer gan­zen ers­ten Ehe nie hat­te ver­trau­en dür­fen, sie, die im­mer hat­te füh­ren müs­sen, sie will sich jetzt die letz­te Le­bens­stre­cke ver­trau­ens­voll füh­ren las­sen. Als es ganz dun­kel war, da, als sie völ­lig ver­zagt war, da trat noch ein­mal die Son­ne durch die Wol­ken.

      Der rote Wei­de­rich liegt am Bo­den, fürs Ers­te ist er ein­mal aus­ge­rot­tet. Ge­wiss, er wird nach­wach­sen, das ist so ein Un­kraut, das muss man beim Pflü­gen aus der lo­cke­ren Erde sam­meln, je­des un­ter­ir­di­sche Wur­zel­stück­chen treibt im­mer wie­der neu aus. Aber Frau Eva kennt jetzt die­se Stel­le, sie wird sie nicht ver­ges­sen, sie wird so lan­ge hier­her­ge­hen, bis der Wei­de­rich völ­lig aus­ge­rot­tet ist.

      Ei­gent­lich könn­te sie jetzt früh­stücken, es wäre Zeit da­für, ihr Ma­gen sagt es auch. Aber als sie zu den im Schat­ten des Wald­ran­des hin­ge­leg­ten Bro­ten und ih­rer Kaf­fee­fla­sche hin­blickt, sieht sie, dass sie nicht früh­stücken wird, heu­te nicht, ihr Ma­gen hat still zu sein. Denn da ist schon ei­ner am Werk, ein viel­leicht vier­zehn­jäh­ri­ger Jun­ge, un­glaub­lich ab­ge­ris­sen und ver­dreckt, und er schlingt an ih­ren Bro­ten, als sei er dem Ver­hun­gern nahe ge­we­sen.

      So sehr ist die­ser Jun­ge mit sei­ner Sät­ti­gung be­schäf­tigt, dass er gar nicht dar­auf ach­tet, wie die Ha­cke im Un­kraut­a­cker still ge­wor­den ist. Er fährt erst zu­sam­men, als die Frau di­rekt vor ihm steht, und starrt sie mit großen blau­en Au­gen un­ter sei­nem ver­filz­ten Schopf blon­der Haa­re an. Ob­wohl er nun beim Steh­len er­wi­scht und die Flucht nicht mehr nö­tig ist, blickt der Ben­gel nicht angst­voll oder schuld­be­wusst, son­dern sein Auge sieht eher her­aus­for­dernd drein.

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