Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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schon zwei Je­lieb­te je­habt.«

      Ei­nen Au­gen­blick schau­der­te ihr. Aber dann sag­te sie mu­tig: »Glaubst du denn, so ein In­ge­nieur oder Tech­ni­ker hat je aus­ge­lernt? Die müs­sen doch im­mer wei­ter­ler­nen, auf der Hoch­schu­le oder in Abend­kur­sen.«

      »Weeß ick doch! Weeß ick doch al­let! Det steht ja an de Lit­fass­säu­len! Abend­kur­se für fort­ge­schrit­te­ne Elek­tro­tech­ni­ker« – plötz­lich sprach er ein ganz feh­ler­frei­es Deutsch –, »die Grund­la­gen der Elek­tro­tech­nik.«

      »Na also!«, rief Frau Eva. »Und du denkst, du bist zu alt für so was! Du willst nichts mehr ler­nen? Du willst dein Leb­tag ein Pen­ner blei­ben, der den Win­ter über Glä­ser wäscht und Holz hackt? Das wird ja ein net­tes Le­ben wer­den, viel Spaß wird dir das nicht ma­chen!«

      Er hat­te die Au­gen jetzt wie­der weit ge­öff­net und sah sie for­schend, aber auch miss­trau­isch an.

      »Du willst wohl, det ick bei mei­ne Leu­te zu­rück­ma­che und in Ber­lin zur Schu­le jeh? Oder wills­te mir in Für­sor­ge ste­cken?«

      »Nichts von bei­den. Ich will se­hen, dass du bei mir blei­ben kannst. Und dann will ich dich sel­ber un­ter­rich­ten, und ein Freund von mir.«

      Er blieb miss­trau­isch. »Un wat va­di­enst du denn bei det Je­schäft? Ick wür­de dir doch ’ne Mas­se kos­ten, mit Es­sen un Klei­der un Schul­bü­cher und so wei­ter.«

      »Ich weiß nicht, ob du das ver­ste­hen wirst, Kuno. Ich habe mal einen Mann und zwei Jun­gens ge­habt, die habe ich ver­lo­ren. Und nun bin ich ganz al­lein, nur den einen Freund habe ich noch!«

      »Da kanns­te doch noch ’n Kind krie­jen!«

      Sie wur­de rot, sie, die al­tern­de Frau, er­rö­te­te un­ter dem Blick des vier­zehn­jäh­ri­gen Jun­gen.

      »Nein, ich kann kei­ne Kin­der mehr krie­gen«, sag­te sie und sah ihn fest an. »Aber es wür­de mir Freu­de ma­chen, wenn du noch et­was wür­dest, ein Au­to­in­ge­nieur oder ein Flug­zeug­kon­struk­teur. Das wür­de mir Freu­de ma­chen, dass ich aus so ei­nem Jun­gen, wie du bist, noch et­was ge­macht habe.«

      »Du denkst woll, ick bin een janz je­mee­net Aas?«

      »Das weißt du doch selbst, dass jetzt nicht viel mit dir los ist, Kuno!«

      »Da has­te recht. Det muss wahr sind!«

      »Und du hast kei­ne Lust, was an­de­res zu wer­den?«

      »Lust schon, aba …«

      »Aber was? Möch­test du nicht zu mir kom­men?«

      »Möch­ten schon, aba …«

      »Was ist das noch für ein Aber?«

      »Ick denk imma, du krichst mir schnell üba, und fort­schi­cken lass ick mir nich jer­ne, ick jeh lie­ba von al­lee­ne.«

      »Du kannst je­den Tag von mir fort­ge­hen, ich wer­de dich nie hal­ten.«

      »Is det ein Wort?«

      »Das ist ein Wort, ich ver­spre­che es dir, Kuno. Bei mir bist du ganz frei.«

      »Aba, wenn ick bei dir bin, denn muss ick rich­tich je­mel­det wern, und denn wis­sen’s ooch mei­ne Ol­len, wo ick bin. Die las­sen mir nich ee­nen Tach bei dir.«

      »Wenn das so aus­sieht bei euch zu Haus, wie du er­zählt hast, wird dich kei­ner zwin­gen zu­rück­zu­ge­hen. Vi­el­leicht wer­den mir dann die Rech­te über­tra­gen, und du bist ganz mein Jun­ge …«

      Ei­nen Au­gen­blick sa­hen sich die bei­den an. Sie mein­te, in die­sem blau­en gleich­gül­ti­gen Blick einen fer­nen Glanz zu ent­de­cken. Aber dann sag­te er – und leg­te den Kopf auf den Arm, schloss die Au­gen: »Na, denn schön. Denn will ick ma ’n biss­ken schla­fen. Jeh du man wie­der bei dei­ne Kar­tof­feln!«

      »Aber, Kuno« rief sie. »Du musst mir doch we­nigs­tens eine Ant­wort auf mei­ne Fra­ge ge­ben!«

      »Muss ick?«, frag­te er sehr schläf­rig. »Keen Mensch muss müs­sen.«

      Sie sah ein Weil­chen zwei­felnd auf ihn her­ab. Dann ging sie mit ei­nem leich­ten Lä­cheln wie­der an ihre Ar­beit.

      Sie hack­te, aber jetzt hack­te sie ganz ge­dan­ken­los. Zwei Mal er­tapp­te sie sich da­bei, dass sie eine Kar­tof­fel um­ge­legt hat­te. Pass doch auf, Eva!, sag­te sie dann är­ger­lich zu sich selbst.

      Aber viel bes­ser pass­te sie dar­um doch nicht auf. Son­dern sie dach­te dar­an, dass es viel­leicht bes­ser sei, wenn es mit die­sem ver­kom­me­nen Jun­gen und ihr nichts wür­de. Wie viel Lie­be und Ar­beit hat­te sie in den Kar­le­mann ge­steckt, der ein un­ver­dor­be­nes Kind ge­we­sen war – und was war aus Lie­be und Ar­beit ge­wor­den? Und sie woll­te einen vier­zehn­jäh­ri­gen Ben­gel, der das gan­ze Le­ben und alle Men­schen ver­ach­te­te, noch ein­mal völ­lig um­än­dern? Was hat­te sie sich da ein­ge­bil­det? Au­ßer­dem wür­de Kien­schä­per nie da­mit ein­ver­stan­den sein …

      Sie sah sich nach dem Schlä­fer um. Aber der Schlä­fer war nicht mehr da, al­lein la­gen ihre Sa­chen im Schat­ten des Wald­ran­des.

      Also gut!, dach­te sie bei sich. Er hat mir schon jede Ent­schei­dung ab­ge­nom­men. Aus­ge­ris­sen! Umso bes­ser!

      Und sie hack­te zor­nig drauf­los.

      Aber einen Au­gen­blick spä­ter ent­deck­te sie Kuno-Die­ter auf dem an­de­ren Ende des Kar­tof­felackers, wie er flei­ßig Un­kraut aus­riss und die Bün­del am Feld­rand auf­schich­te­te. Sie stieg über die Fur­chen fort zu ihm hin.

      »Schon aus­ge­schla­fen?«, frag­te sie.

      »Kann nich schla­fen«, sag­te er. »Mir has­te den Kopp duss­lig je­redt. Muss nach­den­ken.«

      »Denn tu das man! Aber denk nicht, dass du mei­net­we­gen ar­bei­ten musst.«

      »Dei­net­we­gen!« So viel Ver­ach­tung, wie er in die­ses eine Wort leg­te, war gar nicht aus­zu­den­ken. »Ick reiß Un­kraut aus, weil sich’s da­bei bes­ser nach­denkt und weil’s mir eben Spaß macht. Wahr­haf­tig! We­jen dir! Für die paar Sech­ser­stul­len meens­te?«

      Wie­der ging Frau Eva Klu­ge mit ei­nem stil­len Lä­cheln an ihre Ar­beit zu­rück. Und er tat es doch ih­ret­we­gen, wenn er es auch nicht ein­mal vor sich selbst wahr­ha­ben woll­te. Jetzt hat­te sie kei­nen Zwei­fel mehr, dass er mit­tags mit ihr ge­hen wür­de, und da­vor ver­lo­ren alle mah­nen­den und war­nen­den Stim­men, die in ihr laut ge­wor­den wa­ren, an Ge­wicht.

      Frü­her als sonst mach­te sie Schluss mit der Ar­beit. Sie ging wie­der zu dem Jun­gen zu­rück und sag­te zu ihm: »Ich mach jetzt Mit­tag. Wenn du willst, Kuno, kannst du mit mir kom­men.«

      Er riss noch ein paar Un­kräu­ter aus und sah dann auf das ge­säu­ber­te Stück. »’ne janz schö­ne Ecke ha’ck je­schafft«, sag­te er be­frie­digt. »Na­tür­lich ha’ck nur det jro­be Un­kraut je­nomm, for det klee­ne muss­te noch mal mit de Ha­cke lang­jehn, det schafft denn aba mehr.«

      »Na­tür­lich«, sag­te sie. »Nimm du nur das gro­be Un­kraut weg, mit dem klei­nen will ich schon fer­tig wer­den.«

      Er sah sie wie­der von der Sei­te an, und sie merk­te, dass die­se blau­en Au­gen auch schel­misch bli­cken konn­ten.

      »Det soll woll ’ne An­spie­lung sind?«, er­kun­dig­te er sich.

      »Wie