Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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einen Schwa­den Ta­ba­krauch ins Ge­sicht, nahm einen Schluck aus der Fla­sche und frag­te harm­los: »Na, was hast du nu auf dem Her­zen, Per­si­cke? Im­mer raus, al­ter Jun­ge, frei die Brust! Und frisch ge­wa­schen, sonst wirst du er­schos­sen!«

      Der alte Mann zit­ter­te bei den letz­ten Wor­ten. Er hat­te nicht er­fas­sen kön­nen, in wel­chem Zu­sam­men­hang sie ge­spro­chen wa­ren. Nur dass von Er­schie­ßen die Rede war, hat­te er be­grif­fen.

      »Nein, nein!«, mur­mel­te er ängst­lich. »Nicht schie­ßen, nur nicht schie­ßen. Bal­dur kommt, Bal­dur macht al­les wie­der gut!«

      Die Rat­te ließ es erst ein­mal un­er­ör­tert, wer Bal­dur war, der al­les wie­der­gut­ma­chen­de Bal­dur. »Ja, wenn du’s nur wie­der­gut­ma­chen kannst, Per­si­cke!«, sag­te er vor­sich­tig.

      Er warf einen Blick auf das Ge­sicht des an­de­ren, das, wie es ihm schi­en, fins­ter und arg­wöh­nisch auf ihn starr­te. »Aber frei­lich, wenn erst Bal­dur kommt …«, mein­te er ver­söhn­lich.

      Der alte Mann starr­te ihn im­mer wei­ter schwei­gend an. Plötz­lich sag­te er, in ei­nem je­ner lich­ten Mo­men­te, wie sie gra­de dau­ernd Be­trun­ke­ne dann und wann ha­ben, mit gar nicht mehr lal­len­der Zun­ge: »Wer sind Sie ei­gent­lich? Was wol­len Sie von mir? Ich kenn Sie doch gar nicht!«

      Die Rat­te sah den plötz­lich so klar Ge­wor­de­nen vor­sich­tig an. In sol­chen Sta­di­en wur­den die Be­trun­ke­nen oft streit- und prü­gel­süch­tig, und Klebs war bloß ein Männ­chen (und ein Feig­ling dazu), wäh­rend man es dem al­ten Per­si­cke selbst jetzt im schlimms­ten Ver­fall an­sah, dass er sei­nem Füh­rer zwei statt­li­che SS-Män­ner und einen Schü­ler der Na­po­la ge­schenkt hat­te.

      Klebs sag­te ein­len­kend: »Hab’s Ih­nen schon ge­sagt, Herr Per­si­cke. Sie ha­ben’s viel­leicht nicht ganz er­fasst. Mein Name ist Klebs, kom­me von der Par­tei, um ein paar Er­kun­di­gun­gen ein­zu­zie­hen …«

      Die Faust Per­sickes don­ner­te auf den Tisch. Die bei­den Fla­schen ge­rie­ten ins Schwan­ken – rasch ret­te­te sie Klebs.

      »Wie kommst du Hund dazu«, schrie Per­si­cke, »zu sa­gen, ich hät­te was nicht er­fasst? Bist du klü­ger als ich, du Stink­tier? Sagst mir in mei­nem ei­ge­nen Hau­se an mei­nem ei­ge­nen Tisch, ich kann nicht er­fas­sen, was du sagst. Stink­tier, elen­di­ges!«

      »Nein, nein, nein, Herr Per­si­cke!«, säu­sel­te die Rat­te be­ru­hi­gend. »Ich hab’s nicht so ge­meint. Klei­nes Miss­ver­ständ­nis. Al­les in Frie­de und Freund­schaft. Im­mer mit der Ruhe – alte Par­t­ei­ge­nos­sen wie wir!«

      »Wo hast du dei­nen Aus­weis? Wie­so kommst du in mei­ne Bude und zeigst kei­nen Aus­weis? Du weißt, das ist von Par­tei we­gen ver­bo­ten!«

      Aber in die­sem Punkt war Klebs nicht zu schre­cken: die Ge­sta­po hat­te für voll­gül­ti­ge, aus­ge­zeich­ne­te, lücken­lo­se Aus­wei­se ge­sorgt.

      »Da, Herr Per­si­cke, se­hen Sie sich al­les in Ruhe an. Stimmt al­les. Bin be­rech­tigt, Er­kun­di­gun­gen ein­zu­zie­hen, und Sie sol­len mir hel­fen, wenn Sie kön­nen!«

      Der alte Mann sah mit trü­ben Au­gen auf die Aus­wei­se, die ihm vor­ge­hal­ten wur­den – Klebs hü­te­te sich wohl, sie aus der Hand zu ge­ben. Die Schrift ver­schwamm vor sei­nen Au­gen, er tipp­te schwer­fäl­lig mit dem Fin­ger dar­auf: »Sind Sie das?«

      »Aber das se­hen Sie doch, Herr Per­si­cke! Alle sa­gen, das Bild ist mir mäch­tig ähn­lich!« Und ei­tel: »Nur soll ich in Wirk­lich­keit zehn Jah­re jün­ger aus­se­hen. Ich weiß das nicht, ich bin nicht ei­tel. Ich sehe nie in den Spie­gel!«

      »Nimm das Zeugs weg!«, knurr­te der Ex-Bu­di­ker. »Mag jetzt nicht le­sen. Setz dich hin, trink Schnaps, rauch, aber sei ru­hig. Ich muss erst mal nach­den­ken.«

      Die Rat­te Klebs tat, wie ihr be­foh­len, und be­ob­ach­te­te da­bei auf­merk­sam ihr Ge­gen­über, das wie­der in sei­nen Rausch zu ver­sin­ken schi­en.

      Ja, der alte Per­si­cke, der auch einen großen Schluck aus sei­ner Fla­sche ge­nom­men hat­te, war wie­der von sei­ner Klar­heit ver­las­sen, un­wi­der­steh­lich zog es ihn zu­rück in den Stru­del sei­ner Be­trun­ken­heit, und was er Nach­den­ken nann­te, das war ein hilflo­ses Grü­beln, das Su­chen nach et­was, das ihm längst ent­fal­len war. Er wuss­te nicht ein­mal, was er such­te.

      Er war in ei­ner schlim­men Lage, der alte Mann. Erst war der eine Sohn nach Hol­land ge­kom­men, dann der an­de­re nach Po­len. Bal­dur war auf eine Na­po­la ge­schickt wor­den, der ehr­gei­zi­ge Ben­gel hat­te sein ers­tes Ziel er­reicht: er war un­ter die Ers­ten der deut­schen Na­ti­on auf­ge­nom­men wor­den, ein Son­der­schü­ler des Füh­rers selbst! Er lern­te wei­ter, er lern­te be­herr­schen, nicht gra­de sich selbst, aber alle an­de­ren Men­schen, die es nicht so weit ge­bracht hat­ten wie er.

      Der Va­ter war mit Frau und Toch­ter al­lein ge­blie­ben. Er hat­te im­mer schon zu ger­ne ge­trun­ken, der alte Per­si­cke war schon in der ver­krach­ten Bu­di­ke sein bes­ter Gast ge­we­sen. Als die Söh­ne fort wa­ren, als vor al­lem Bal­durs Auf­sicht fehl­te, hat­te Per­si­cke zu trin­ken an­ge­fan­gen, mit Sau­fen war er fort­ge­fah­ren. Der Frau war es zu­erst un­heim­lich ge­wor­den; klein, ängst­lich, wei­ner­lich in die­sem Män­ner­haus­halt, in dem sie nie mehr als ein un­be­zahl­tes und sehr schlecht be­han­del­tes Dienst­mäd­chen ge­we­sen war, hat­te sie die Angst ge­packt, wo­her denn der Mann wohl all das Geld für den vie­len Schnaps nahm. Dazu kam die Angst vor den Dro­hun­gen, den Miss­hand­lun­gen durch den Be­trun­ke­nen – und sie war heim­lich zu Ver­wand­ten ge­flo­hen, den Va­ter der Toch­ter über­las­send.

      Die Toch­ter, ein wüs­tes Ding, durch den BDM ge­gan­gen, so­gar Füh­re­rin im BDM ge­we­sen, hat­te nicht die ge­rings­te Nei­gung ge­habt, dem Al­ten sei­nen Dreck nach­zuräu­men und sich da­für noch schlecht be­han­deln zu las­sen. Sie ver­schaff­te sich durch ihre Ver­bin­dun­gen eine Stel­lung als Auf­se­he­rin im Frau­en-KZ Ra­vens­brück und zog es vor, dort alte Frau­en, die nie in ih­rem Le­ben kör­per­li­che Ar­beit ge­leis­tet hat­ten, mit schar­fen Schä­fer­hun­den und schwip­per Reit­peit­sche da­hin zu brin­gen, dass sie mehr Ar­beit ta­ten, als ihr Kör­per leis­ten konn­te.

      Der al­lein ge­blie­be­ne Va­ter ver­sank im­mer mehr. Auf sei­nem Büro hat­te er sich krank­mel­den las­sen, nie­mand sorg­te für sein Es­sen, er leb­te fast nur noch von Al­ko­hol. In den ers­ten Ta­gen hat­te er sich auf sei­ne Mar­ken we­nigs­tens noch ab und zu Brot ge­holt, aber die Mar­ken wa­ren ihm ab­han­den­ge­kom­men, oder man hat­te sie ihm auch ge­stoh­len, seit Ta­gen hat­te Per­si­cke nicht mehr ge­ges­sen.

      In der ver­gan­ge­nen Nacht war er sehr krank ge­we­sen, das wuss­te er noch. Er wuss­te nicht mehr, dass er ge­tobt hat­te, Ge­schirr zer­schla­gen, Schrän­ke um­ge­stürzt, dass er in grau­en­vol­ler Angst über­all Ver­fol­ger ge­se­hen hat­te. Quan­gels und der alte Kam­mer­ge­richts­rat Fromm hat­ten an sei­ner Tür ge­stan­den und hat­ten ge­klin­gelt und ge­klin­gelt. Aber er hat­te sich nicht ge­rührt, er hat­te sich ge­hü­tet, sei­nen Ver­fol­gern auf­zu­ma­chen. Dort drau­ßen stan­den nur die Bo­ten der Par­tei, die von ihm die Abrech­nung über sei­ne Kas­se ha­ben woll­ten, und es fehl­ten doch über drei­tau­send Mark (es konn­ten auch sechs­tau­send sein, selbst in sei­nen lich­tes­ten Mo­men­ten konn­te er das so ge­nau nicht sa­gen).

      Der alte