Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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be­droht, such­ten sie un­be­irrt ih­ren Weg in die fast all­nächt­lich bren­nen­de Stadt zu­rück. Auf­ge­grif­fen, in ihre länd­li­che Ge­mein­de zu­rück­ge­schickt, war­te­ten sie es kaum ab, dass sie wie­der ein biss­chen auf­ge­füt­tert wur­den, und sie lie­fen von Neu­em los.

      Die­ser da mit dem her­aus­for­dern­den Blick, der Frau Evas Früh­stücks­brot aß, war wohl schon lan­ge un­ter­wegs. Die Frau konn­te sich nicht er­in­nern, je eine so zer­lump­te, ver­dreck­te Ge­stalt ge­se­hen zu ha­ben. Im Haar hin­gen ihm Stroh­hal­me, und in den Ohren hät­te man Mohr­rü­ben säen kön­nen.

      »Na, schmeck­t’s?«, frag­te Frau Klu­ge.

      »Klar!«, sag­te er, und schon dies eine Wort ver­riet sei­ne Ber­li­ner Her­kunft.

      Er sah sie an. »Wills­te mir va­haun?«, frag­te er.

      »Nein«, sag­te sie. »Iss nur ru­hig wei­ter. Bei mir geht’s auch mal ohne Früh­stück, und du hast Hun­ger.«

      »Klar!«, sag­te er wie­der nur. Und dann: »Wills­te mir nach­her lau­fen­las­sen?«

      »Vi­el­leicht«, ant­wor­te­te sie. »Aber viel­leicht bist du ein­ver­stan­den, dass ich dich vor­her wa­sche und dei­ne Klei­der ein biss­chen in Ord­nung brin­ge. Vi­el­leicht fin­de ich auch noch eine pas­sen­de hei­le Hose für dich.«

      »Det lass man!«, sag­te er ab­wei­send. »Die ver­scheu­er ick bloß, wenn ick Kohldampf habe. Wat denks­te, wat ick al­les schon ver­scheu­ert habe in dem Jahr, wo ick uff de Wal­ze bin! Min­des­tens fuff­zehn Ho­sen! Und zehn Paar Schu­he!«

      Er sah sie tri­um­phie­rend an.

      »Und warum er­zählst du mir das?«, frag­te sie. »Für dich wäre es doch vor­teil­haf­ter ge­we­sen, du hät­test die Hose ge­nom­men und mir nichts ge­sagt.«

      »Weeß ick nich«, sag­te er ab­wei­send. »Va­leicht weil de mir nich aus­ge­schimpft hast, weil ick dein Früh­stück je­klaut habe. Ick fin­de Schimp­fen blö­de.«

      »Also ein Jahr bist du schon un­ter­wegs?«

      »Det is ’n biss­ken je­prahlt. Den Win­ter über bin ick un­ter­je­kro­chen. Bei so ’nem Knei­pier in ’nem Kaff. Hab die Schwei­ne je­füt­tert und Bier­jlä­ser je­wa­schen, ick hab al­let je­macht. Det war ’ne janz jute Zeit«, sag­te er nach­denk­lich. »’ne ul­ki­ge Kru­ke, der Jast­wirt. Imma be­sof­fen, aber mit mir hat er je­re­det, als wär ick detsel­be wie er, eben­so alt und so. Da ha’ck Schnapstrin­ken und Rau­chen je­lernt. Mags­te ooch Schnaps?«

      Frau Klu­ge ver­schob die Er­ör­te­rung der Fra­ge, ob Schnapstrin­ken für vier­zehn­jäh­ri­ge Jun­gens ge­ra­de rät­lich sei, auf spä­ter.

      »Aber du bist dann da doch wie­der fort­ge­lau­fen? Willst du zu­rück nach Ber­lin?«

      »Nee«, sag­te der Jun­ge. »Bei mei­ne Leu­te jeh ick nich mehr. Die sind mir zu je­wöhn­lich.«

      »Aber dei­ne El­tern wer­den sich Sor­gen um dich ma­chen; sie wis­sen doch gar nicht, wo du steckst!«

      »Die un Sor­jen! Die sind froh, det se mir los sind!«

      »Was ist denn dein Va­ter?«

      »Der? Ach, der is so ’n biss­ken von al­let: Louis un Spit­zel, und klau­en tut der ooch. Wenn a wat zu klau­en findt. Bloß, er is duss­lig, er findt nie wat Rechts.«

      »So«, sag­te Frau Klu­ge, und nach die­sen Er­öff­nun­gen klang ihre Stim­me doch et­was schär­fer. »Und was sagt dei­ne Mut­ter dazu?«

      »Mei­ne Mut­ta? Wat soll die sagn? Die is doch ooch bloß Nut­te!«

      Batsch! Nun hat­te er doch, trotz ih­res Ver­spre­chens, sei­ne Ohr­fei­ge weg.

      »Schämst du dich denn gar nicht, so von dei­ner Mut­ter zu re­den? Pfui Dei­bel!«

      Der Ben­gel rieb sich, ohne die Mie­ne zu ver­zie­hen, die Ba­cke.

      »Die hat je­ses­sen«, stell­te er fest. »Von die Sor­te möch­te ick nich mehr.«

      »Du sollst nicht so von dei­ner Mut­ter spre­chen! Ver­stehst du?«, sag­te sie zor­nig.

      »Wa­rum denn nich?«, frag­te er und lehn­te sich zu­rück. Er blin­zel­te, jetzt völ­lig ge­sät­tigt, be­hag­lich auf sei­ne Gast­ge­be­rin. »Wa­rum denn nich! Wo se doch mal ’ne Nut­te is. Sie sag­t’s doch sel­ber. ›Wenn ick nich uff ’n Strich gin­ge‹, hat se oft je­sacht, ›müss­tet ihr alle va­hun­gern!‹ Wa sind nem­lich fümf Je­schwis­ter, aba alle mit ’n an­de­ren Vata. Mei­ner soll ’n Rit­ta­jut in Pom­mern habn. Ick wollt ’n ei­jent­lich su­chen jehn un ihn ma be­kie­ken. Muss ’ne ul­ki­ge Pflau­me sein, Kuno-Die­ter heiß­ta mit Vor­na­men. Es kann nich ville mit so ’n duss­li­gen Vor­na­men jebn, fin­den müsst ick ihn ei­jent­lich …«

      »Kuno-Die­ter«, sag­te Frau Klu­ge. »Du heißt also auch Kuno-Die­ter?«

      »Sach man lie­ber Kuno, den Die­ter kanns­te dir an ’n Hut ste­cken!«

      »Also, Kuno, sag mal, in wel­che Ge­mein­de bist du denn eva­ku­iert? Wie heißt das Dorf, wo­hin du mit der Bahn ge­fah­ren bist?«

      »Ick bin doch nich eva­ku­iert! Ick bin doch von mei­ne Ol­len je­türmt!«

      Er lag jetzt auf der Sei­te, die schmut­zi­ge Ba­cke ruh­te auf dem eben­so schmut­zi­gen Un­ter­arm. Er blin­zel­te sie trä­ge an, völ­lig be­reit zu ei­nem klei­nen Quatsch. »Ick will dir er­zäh­len, wie al­let je­kom­men is. Also, wat mein so­je­nann­ter Vata is, der hat mich da­mals, det is schon über ’n Jahr her, um fuff­zig Emm be­schis­sen, und dazu hat a mir noch va­kloppt. Na, da ha’ck mir ’n paar Freun­de je­holt, det heeßt, Freun­de wa­ren’s ei­jent­lich ooch nich, so Halb­star­ke, weeß­te, un denn sind wa alle über Va­tan her und ha­ben nu ma ihn vat­rimmt. Det war den Mann janz je­sund, hat a doch mal je­lernt, det det nich imma so jeht: die Jro­ßen uff de Klee­nen! Und denn ham wa ihn noch sein Jeld aus die Ta­sche je­klaut. Ick weeß nich, wie viels je­we­sen ist, die Jro­ßen von uns ham’s je­teilt. Ick hab bloß zwan­zich Emm je­kricht, und denn ham se mir je­sacht: Hau du bloß ab, dein Olla schlächt dir tot oder steckt dir in Für­sor­ge. Mach uff ’t Land bei de Bau­ern. Und da bin ick denn uff ’t Land bei de Bau­ern je­macht. Un een janz schö­net Le­ben ha’ck seit­dem je­führt, det kann ick wohl be­haup­ten!«

      Er schwieg und sah sie wie­der an.

      Sie sah still auf ihn hin­un­ter, sie dach­te an Kar­le­mann. Die­ser war nur noch drei Jah­re spä­ter auch ein Kar­le­mann, ohne Lie­be, ohne Glau­ben, ohne Stre­ben, nur auf sich selbst be­dacht.

      Sie frag­te: »Und was, denkst du, soll ein­mal aus dir wer­den, Kuno?« Und sie setz­te hin­zu: »Du willst wohl spä­ter mal zu der SA oder zu der SS?«

      Lang ge­dehnt: »Bei die Brü­der? So blau! Die sind ja noch schlim­ma wie Vata! Imma bloß schimp­fen un kom­man­die­ren! Nee, dan­ke für Back­obst, det is nischt für mich!«

      »Aber viel­leicht wür­de es dir Spaß ma­chen, wenn du erst an­de­re kom­man­die­ren kannst?«

      »Wie­so denn det? Nee, ich bin for so wat nich. Weeß­te – wie heiß­te ei­jent­lich?«

      »Eva – Eva Klu­ge.«

      »Weeß­te, Eva, wat mir rich­tig Spaß ma­chen wür­de, det wäre Auto. Von’t Auto möcht ick jer­ne al­let wis­sen, woso der Mo­tor funk­tio­niert