Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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noch et­was wuss­te, Per­si­cke war nicht nüch­tern ge­wor­den. Am Mor­gen war es ihm schlimm ge­gan­gen, er hat­te so sehr an al­len Glie­dern ge­zit­tert, dass er kaum noch den Fla­schen­hals an den Mund brin­gen konn­te. Aber je mehr Schnaps er trank, umso ge­rin­ger wur­de das Zit­tern, die Angst, die ihn noch im­mer ruck­wei­se über­fiel. Nur noch das dunkle Ge­fühl, er habe et­was ver­ges­sen, das ihm un­be­dingt ein­fal­len müs­se, quäl­te ihn noch.

      Und nun saß ihm die Rat­te ge­gen­über, ge­dul­dig, lis­tig, gie­rig. Die Rat­te hat­te es nicht ei­lig, sie hat­te ihre Ge­le­gen­heit ge­se­hen und war ent­schlos­sen, sie zu nüt­zen. Die Rat­te Klebs hat­te es nicht ei­lig mit ih­rem Be­richt an den Herrn Kri­mi­nal­rat Zott. Dem konn­te man noch im­mer was vor­soh­len, warum man noch nicht wei­ter­ge­kom­men war. Dies war eine ein­zig­ar­ti­ge Ge­le­gen­heit, die man sich nicht ent­ge­hen las­sen konn­te.

      Er ließ sie sich wirk­lich nicht ent­ge­hen, der Klebs! Der alte Per­si­cke ver­sank im­mer tiefer in sei­ne Be­trun­ken­heit, und wenn er auch nur noch müh­sam lal­len konn­te, auch eine gel­all­te Aus­kunft ist et­was wert.

      Nach ei­ner Stun­de wuss­te Klebs al­les, was zu wis­sen not­tat, von den Ver­un­treu­un­gen des Al­ten; er wuss­te auch, wo die Schnaps­fla­schen la­gen und die Rauch­wa­ren – da steck­te der Rest des Gel­des schon in sei­ner Ta­sche.

      Jetzt ist die Rat­te längst der bes­te Freund des Al­ten. Sie hat ihn in sein Bett ge­packt; und wenn Per­si­cke brüllt, läuft Klebs zu ihm und gibt ihm so viel Schnaps zu trin­ken, dass er wie­der mit Brül­len auf­hört. Da­zwi­schen packt die Rat­te ei­lig in zwei Kof­fer, was ihr mit­neh­mens­wert er­scheint. Die schö­ne Da­mast­wä­sche der to­ten Ro­sen­thal wech­selt schon wie­der den Be­sit­zer, wie­der­um nicht völ­lig le­gal.

      Dann gibt Klebs dem Al­ten noch ein­mal tüch­tig zu trin­ken, nun nimmt er die Kof­fer und schleicht aus der Woh­nung.

      Als er die Fl­ur­tür öff­net, tritt dicht vor ihn ein großer, kno­chi­ger Mann mit ei­nem fins­te­ren Ge­sicht und sagt: »Was ma­chen Sie denn hier in der Woh­nung von Per­sickes? Was schlep­pen Sie denn hier raus? Sie sind doch ohne Kof­fer ge­kom­men! He, wird’s bald? Oder wol­len Sie lie­ber mit mir auf die Po­li­zei kom­men?«

      »Bit­te, tre­ten Sie doch nä­her«, pfeift die Rat­te de­mü­tig. »Ich bin ein al­ter Freund und Par­t­ei­ge­nos­se des Herrn Per­si­cke. Er wird es Ih­nen be­stä­ti­gen. Sie sind der Haus­ver­wal­ter, nicht wahr? Herr Haus­ver­wal­ter, mein Freund Per­si­cke ist näm­lich sehr krank …«

      43. Barkhausen zum dritten Mal geprellt

      Die bei­den Her­ren hat­ten in dem ver­wüs­te­ten Wohn­zim­mer Platz ge­nom­men; jetzt saß der »Haus­ver­wal­ter« auf dem Platz der Rat­te, und Klebs saß auf dem Stuhl Per­sickes. Nein, der alte Per­si­cke hat­te nicht ein­mal eine Aus­kunft ge­ben kön­nen, aber die Si­cher­heit, mit der sich Klebs in der Woh­nung be­weg­te, die Ruhe, in der er mit Per­si­cke sprach und ihm zu trin­ken gab, hat­te den »Haus­ver­wal­ter« doch zu ei­ni­ger Vor­sicht ge­mahnt.

      Jetzt zog Klebs wie­der sei­ne ab­ge­grif­fe­ne Brief­ta­sche aus ei­nem Kunst­stoff, der ein­mal schwarz ge­we­sen war und nun an den Kan­ten rostrot schim­mer­te, her­vor. Er sag­te: »Wenn ich dem Herrn Haus­ver­wal­ter viel­leicht mei­ne Pa­pie­re zei­gen darf? Es ist al­les in Ord­nung, ich bin von der Par­tei be­auf­tragt …«

      Aber sein Ge­gen­über wies die Pa­pie­re zu­rück, er lehn­te auch den Schnaps ab, nur eine Zi­ga­ret­te nahm er. Nein, jetzt trank er kei­nen Schnaps, er er­in­ner­te sich zu gut, wie da­mals bei der Ro­sen­thal oben der Enno ihm ein glän­zen­des Ge­schäft mit Ko­gnak­trin­ken ver­mas­selt hat­te. Das soll­te ihm nicht noch ein­mal pas­sie­ren. Bark­hau­sen, denn nie­mand an­ders als Bark­hau­sen ist es, der dort als »Haus­ver­wal­ter« sitzt, denkt nach, wie er sei­nem Ge­gen­über bei­kom­men kann. Er hat die­sen Bru­der so­fort durch­schaut: ob der nun tat­säch­lich ein Be­kann­ter vom al­ten Per­si­cke ist oder nicht, ob er im Auf­trag der Par­tei hier sitzt oder nicht – ganz egal: der Kerl hat klau­en wol­len! Was er in den Kof­fern hat­te, war ge­klau­te Ware – sonst wäre er nicht so er­schro­cken ge­we­sen bei Bark­hau­sens An­blick, sonst wäre er jetzt nicht so ängst­lich und be­tu­lich. Nie­mand, der was Rech­tes vor­hat, kriecht so vor ei­nem an­de­ren, das weiß Bark­hau­sen aus ei­gens­ter Er­fah­rung.

      »Vi­el­leicht jetzt ein Schnäps­chen ge­fäl­lig, Herr Haus­ver­wal­ter?«

      »Nein!« Bark­hau­sen brüllt das fast. »Hal­ten Sie den Mund, ich muss noch was über­le­gen …«

      Die Rat­te ist zu­sam­men­ge­zuckt und schweigt.

      Bark­hau­sen hat ein sehr schlech­tes Jahr hin­ter sich. Nein, die da­mals von Frau Hä­ber­le ge­sand­ten zwei­tau­send Mark hat er auch nicht be­kom­men. Die Post hat ihm auf sei­nen Nach­sen­dungs­an­trag hin mit­ge­teilt, dass die Ge­sta­po das Geld für sich, als aus ei­nem Ver­bre­chen stam­mend, an­ge­for­dert habe, er möge sich mit der Ge­sta­po in Ver­bin­dung set­zen. Nein, Bark­hau­sen hat­te das nicht ge­tan. Er woll­te nie wie­der et­was mit die­sem wort­brü­chi­gen Esche­rich zu tun ha­ben, und Esche­rich schick­te auch nie wie­der nach Bark­hau­sen.

      Das war also ein Rein­fall ge­we­sen; viel schlim­mer aber war es noch, dass der Kuno-Die­ter nicht wie­der nach Haus ge­kom­men war. Zu­erst hat­te Bark­hau­sen noch ge­dacht: Na, war­te du! Wenn du erst wie­der zu Hau­se bist! Hat­te sich mit der Aus­ma­lung von Prü­gels­ze­nen er­götzt und die angst­vol­len Fra­gen Ot­tis nach dem Aus­blei­ben ih­res Lieb­lings mit Grob­heit ab­ge­wim­melt.

      Aber als dann Wo­che um Wo­che ver­ging, war die Lage ohne Kuno-Die­ter doch ziem­lich un­er­träg­lich ge­wor­den. Die Otti wur­de zu ei­ner wah­ren Gift­schlan­ge und mach­te ihm das Le­ben zur Höl­le. Ihm war es schließ­lich egal, moch­te der Ben­gel ganz weg­blei­ben, umso bes­ser: ein un­nüt­zer Fres­ser we­ni­ger im Haus! Aber Otti stell­te sich da rei­ne­weg toll an we­gen ih­res Lieb­lings, es war, als könn­te sie kei­nen Tag mehr ohne Kuno-Die­ter le­ben, und frü­her hat­te sie doch auch bei ihm nie mit Schel­te und Prü­gel ge­spart.

      Schließ­lich war die Otti ganz me­schug­ge ge­wor­den, sie war zur Po­li­zei ge­lau­fen und hat­te den ei­ge­nen Mann we­gen Mor­des am Soh­ne an­ge­zeigt. Mit sol­chen Leu­ten wie mit Bark­hau­sen mach­te man bei der Po­li­zei nicht viel Um­stän­de, er stand dort in gar kei­nem Ruf, weil er näm­lich im al­ler­schlech­tes­ten stand, sie setz­ten ihn so­fort auf dem Kri­mi­nal­ge­richt fest.

      Elf Wo­chen hat­ten sie ihn dort be­hal­ten, er hat­te tüch­tig Tü­ten kle­ben und Tau­werk zup­fen müs­sen, sonst zo­gen sie ihm noch von dem Es­sen ab, von dem er so­wie­so nicht satt wur­de. Das Schlimms­te aber wa­ren die Näch­te ge­we­sen, wenn Flie­ger­an­grif­fe er­folg­ten. Bark­hau­sen hat­te eine ge­wal­ti­ge Angst vor Flie­ger­an­grif­fen. Er hat­te mal eine Frau in der Schön­hau­ser Al­lee ge­se­hen: eine Phos­phor­bom­be war in sie ge­fah­ren und in ihr ste­cken­ge­blie­ben – nie in die­sem Le­ben wür­de Bark­hau­sen den An­blick ver­ges­sen.

      Er hat­te also Angst vor Flie­gern, und wenn die im­mer nä­her dröhn­ten, und die gan­ze Luft war voll von ih­rem Geräusch, und dann ka­men die ers­ten Ein­schlä­ge, und sei­ne Zel­len­wand war rot be­leuch­tet vom Flacker­schein fer­ner und na­her Brän­de … Nein, sie schlos­sen die Ge­fan­ge­nen nicht aus der Zel­le, sie lie­ßen sie nicht in dem