Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


Скачать книгу

ein­ge­la­den wor­den ist.

      Plötz­lich hat er sich in sei­nen Hun­ger­fan­tasi­en fest ein­ge­bil­det, er fin­de sol­chen ge­füll­ten Gän­se­hals in der Ro­sent­hal’­schen Spei­se­kam­mer. Er hat die Por­zel­lan­schüs­sel, in der er liegt, ganz deut­lich vor sich ge­se­hen, und den Hals, wie er in der zu Fett er­starr­ten Soße liegt, ganz dick ge­stopft und an bei­den En­den mit ei­nem Fa­den zu­ge­bun­den. Er wird die Schüs­sel neh­men und sich das Gan­ze auf der Gas­flam­me warm ma­chen, und al­les an­de­re ist ihm ganz egal. Der Bark­hau­sen kann tun, was er will, das ist ohne In­ter­es­se für ihn. Er wird Brot in die war­me, fet­ti­ge, stark ge­würz­te Soße tun­ken, und den Gän­se­hals wird er aus der Hand es­sen, dass die Fet­tig­keit nach al­len Sei­ten raus­quatscht.

      »Leg noch ’nen Zahn zu, Emil, ich hab das ei­lig!«

      »Wa­rum so plötz­lich?«, hat Bark­hau­sen ge­fragt, aber ei­gent­lich ist es ihm recht ge­we­sen, und er hat wil­lig noch einen Zahn zu­ge­legt. Auch er wür­de froh sein, wenn die Sa­che erst ab­ge­macht war, auch in sei­ne Bran­che schlug sie ei­gent­lich nicht. Er hat nicht etwa we­gen der Po­li­zei oder we­gen der ol­len Jü­din Angst – was könn­te ihm groß pas­sie­ren, wenn er de­ren Be­sitz ari­sier­te? –, son­dern we­gen der Per­sickes. Das ist so eine ver­fluch­te, ver­rä­te­rische Aas­ban­de, de­nen ist so­gar die Ge­mein­heit zu­zu­trau­en, dass sie auch ei­nem Kum­pel einen Streich spie­len. Nur we­gen der Per­sickes hat er die­sen blö­den Han­nes, den Enno, mit­ge­nom­men, das ist ein Zeu­ge, den sie nicht ken­nen, der wird sie schon brem­sen.

      In der Ja­blons­ki­stra­ße ist dann al­les schön glatt­ge­gan­gen. Es wird un­ge­fähr halb elf ge­we­sen sein, als sie die Haus­tür auf­ge­schlos­sen ha­ben mit ei­nem rich­ti­gen, le­ga­len Haus­schlüs­sel. Dann ha­ben sie ins Trep­pen­haus ge­lauscht, und als sich dort nichts rühr­te, das Trep­pen­licht an­ge­knipst und sich bei sei­nem Schein die Schu­he aus­ge­zo­gen, denn: »Wir müs­sen doch auf die Nachtru­he der an­de­ren Mie­ter Rück­sicht neh­men«, hat Bark­hau­sen ge­grinst.

      Als das Licht wie­der aus war, sind sie lei­se und rasch die Trep­pe hoch­ge­pin­schert, und es ist al­les glatt und ru­hig ge­gan­gen. Sie ha­ben kei­nen von den An­fän­ger­feh­lern ge­macht, dass sie mit Krach ge­gen was an­ge­rannt sind oder dass ih­nen ein Schuh hin­ge­pol­tert ist, nein, in al­ler Stil­le sind sie die vier Stock­wer­ke hoch­ge­pin­schert. Also, sie ha­ben ein fei­nes Stück Trep­pen­ar­beit ge­leis­tet, ob­wohl sie doch bei­de kei­ne rich­ti­gen Ga­no­ven sind und ob­wohl sie sich bei­de in ziem­li­cher Auf­re­gung be­fin­den, der eine be­son­ders we­gen des ge­füll­ten Gän­se­hal­ses, der an­de­re we­gen der Beu­te und der Per­sickes.

      Das mit der Tür von der Ro­sen­thal hat sich der Bark­hau­sen hun­dert­mal schwie­ri­ger vor­ge­stellt, nur ins Schloss ge­zo­gen ist sie, ganz ein­fach auf­zu­ma­chen, nicht mal ab­ge­schlos­sen. Was das für ’ne leicht­sin­ni­ge Frau ist, wo sie doch als Jü­din be­son­ders vor­sich­tig sein müss­te! So sind die bei­den in die Woh­nung ge­kom­men, sie wis­sen ei­gent­lich nicht mal, wie, so schnell ging das.

      Dann hat der Bark­hau­sen ganz un­ge­niert auf dem Flur Licht ge­macht; er ist jetzt ganz un­ge­niert ge­we­sen, und: »Wenn die olle Ju­densau quiekt, hau ich ihr ein­fach ei­nes vor den Deez!«, hat er ver­kün­det, ge­nau wie er’s am Vor­mit­tag dem Bal­dur Per­si­cke an­ge­kün­digt hat. Sie hat aber nicht ge­quiekt. So ha­ben sie sich zu­erst mal in al­ler Ruhe auf dem klei­nen Flur um­ge­se­hen, der ziem­lich voll­ge­stan­den hat mit Mö­beln und Kof­fern und Kis­ten. Nun ja, die Ro­sent­hals ha­ben ja eine große Woh­nung bei ih­rem La­den ge­habt, und wenn man da so plötz­lich raus muss und kriegt nur zwei Stu­ben mit Kam­mer und Kü­che, so quillt das ziem­lich über, nicht wahr? Das muss man ver­ste­hen.

      Es hat ih­nen in den Fin­gern ge­zuckt, schon jetzt mit Stö­bern und Nach­su­chen und Pa­cken an­zu­fan­gen, aber der Bark­hau­sen fand es dann doch rich­ti­ger, sich erst ein­mal nach der Ro­sen­thal um­zu­se­hen und der ein Tuch vor den Mund zu bin­den, da­mit es kei­ne Schwie­rig­kei­ten gibt. In der Stu­be hat’s so voll­ge­stan­den, dass man sich kaum hat rüh­ren kön­nen, und sie ha­ben schon be­grif­fen, was hier steht, schaf­fen sie bei­de auch in zehn Näch­ten nicht weg, sie kön­nen sich nur das Bes­te aus­su­chen. In der an­de­ren Stu­be hat’s nicht an­ders aus­ge­se­hen und in der Kam­mer auch so. Nur kei­ne Ro­sen­thal ha­ben sie ge­fun­den, das Bett ist un­be­rührt ge­we­sen. Der Ord­nung hal­ber hat der Bark­hau­sen noch in der Kü­che und auf der Toi­let­te nach­ge­se­hen, aber die Frau ist nicht da ge­we­sen, und das ist das, was man Mas­sel nennt, denn es spart Sche­re­rei­en und er­leich­tert die Ar­beit ge­wal­tig.

      Der Bark­hau­sen ist in die ers­te Stu­be zu­rück­ge­gan­gen und hat mit Kra­men an­ge­fan­gen. Er hat gar nicht ge­merkt, dass ihm sein Kum­pel, der Enno, ver­lo­ren­ge­gan­gen ist. Der hat in der Spei­se­kam­mer ge­stan­den und ist bit­ter­lich ent­täuscht ge­we­sen, dass es da kei­nen ge­füll­ten Gän­se­hals ge­ge­ben hat, son­dern nur ein paar Bol­len und ein hal­b­es Brot. Aber er hat doch mit Es­sen an­ge­fan­gen, hat sich die Bol­len in Schei­ben ge­schnit­ten und hat sie aufs Brot ge­packt, und auch das hat ihm nach sei­ner Hun­ge­rei gut ge­schmeckt.

      Wie Enno Klu­ge da aber so rum­ge­kaut hat, ist sein Blick aufs un­te­re Ab­teil des Re­gals ge­fal­len, und er hat plötz­lich ge­se­hen, die Ro­sent­hals, wenn sie auch nichts mehr zu bei­ßen ha­ben, zu trin­ken ha­ben sie doch noch. Denn da un­ten im Re­gal ha­ben Fla­schen über Fla­schen ge­stan­den, Wein und auch Schnaps. Der Enno, der in al­lem im­mer ein mä­ßi­ger Mensch war, wenn’s nicht gra­de um Pfer­de­wet­ten ging, hat sich eine Fla­sche Süß­wein ge­schnappt und zu­erst dann und wann sei­ne Zwie­bel­stul­len mit Süß­wein an­ge­feuch­tet. Aber weiß der Him­mel, wie das ge­kom­men ist, plötz­lich ist ihm das labb­ri­ge Gesöff zu­wi­der ge­we­sen, ihm, dem Enno, der sonst drei Stun­den hin­ter dem­sel­ben Glas Bier hocken konn­te. Jetzt hat er sich eine Fla­sche Ko­gnak auf­ge­macht und rasch hin­ter­ein­an­der ein paar Schlu­cke ge­nom­men, die hal­be Fla­sche hat er in fünf Mi­nu­ten leer ge­macht. Vi­el­leicht ist’s der Hun­ger ge­we­sen oder die Auf­re­gung, was ihn so ver­än­dert hat. Das Es­sen hat er ganz auf­ge­ge­ben.

      Dann hat ihn auch der Schnaps nicht mehr in­ter­es­siert, und er ist den Bark­hau­sen su­chen ge­gan­gen. Der hat noch im­mer in der großen Stu­be ge­stö­bert, hat die Schrän­ke und die Kof­fer auf­ge­macht, und was drin ver­packt war, auf die Erde ge­schmis­sen, im­mer auf der Su­che nach et­was noch Bes­se­rem.

      »Jun­ge, Jun­ge, die ha­ben wohl ih­ren gan­zen Wä­sche­la­den mit­ge­nom­men!«, hat Enno ganz über­wäl­tigt ge­sagt.

      »Red nicht, hilf lie­ber!«, ist des Bark­hau­sen Ant­wort ge­we­sen. »Be­stimmt ist hier noch Schmuck ver­steckt und Geld – das sind doch rei­che Leu­te ge­we­sen, die Ro­sent­hals, Mil­lio­näre sind die ge­we­sen –, und du hast von fau­len Fi­schen ge­re­det, Och­se, der du bist!«

      Eine Wei­le ha­ben die bei­den schwei­gend ge­ar­bei­tet, das heißt, sie ha­ben im­mer mehr auf die Erde ge­ris­sen, und die hat mit Klei­dern und Wä­sche und Gerät schon so voll ge­le­gen, dass sie mit ih­ren Schu­hen drauf rum­ge­tre­ten sind. Dann hat Enno, der vom Schnaps ganz be­nom­men war, ge­sagt: »Ich seh nichts mehr. Ich muss mir erst ’nen kla­ren Kopf trin­ken. Hol mal ein biss­chen Ko­gnak aus der Spei­se­kam­mer, Emil!«

      Der Bark­hau­sen ist ohne Wi­der­re­de ge­gan­gen und mit zwei Fla­schen