ist nicht mehr so klagend wie anklagend, er ist plötzlich tief gekränkt. »Wenn meine Frau was tut, was nicht recht ist«, sagt er, »so verantworte ich das, Herr Persicke. Ich bin der Gatte und Vater – nach dem Gesetz. Und wenn meine Kinder besoffen sind, Sie sind auch besoffen, und Sie sind auch noch ein Kind, jawohl, das sind Sie, Mensch!«
Er sieht Baldur zornig an, und Baldur starrt funkelnd zurück. Dann macht er seinen Brüdern ein unmerkliches Zeichen, sich bereitzuhalten.
»Und was machen Sie hier in der Wohnung von der Rosenthal?«, fragt der jüngste Persicke dann scharf.
»Aber ganz nach Verabredung!«, versichert Barkhausen jetzt eifrig. »Alles wie verabredet. Ich und mein Freund, wir gehen jetzt gleich. Wir wollten eigentlich schon gehen. Er auf den Stettiner; ich auf den Anhalter. Jeder zwei Koffer, für Sie bleibt genug.«
Er murmelt die letzten Worte nur, er ist halb im Eindösen.
Baldur betrachtet ihn aufmerksam. Es geht vielleicht ohne alle Gewalttätigkeit, die beiden Kerls sind ja so blöde besoffen. Aber seine Vorsicht warnt ihn. Er fasst den Barkhausen bei der Schulter und fragt scharf: »Und was ist das für ein Mann? Wie heißt der?«
»Enno!«, antwortet Barkhausen mit schwerer Zunge. »Mein Freund Enno …«
»Und wo wohnt dein Freund Enno?«
»Weiß ich nicht, Herr Persicke. Nur aus der Kneipe. Stehbierfreund. Lokal: ›Ferner liefen‹ …«
Baldur hat sich entschieden. Er stößt plötzlich dem Barkhausen die Faust gegen die Brust, dass der mit einem leisen Schrei hinterrücks auf die Möbel und die Wäsche fällt. »Schwein verfluchtes!«, brüllt er. »Wie kannst du zu mir Brillenschlange sagen? Ich werde dir zeigen, was ich für ein Kind bin!«
Aber sein Schimpfen ist schon nutzlos geworden, die beiden hören ihn nicht mehr. Die beiden SS-Brüder sind schon zugesprungen und haben jeden mit einem brutal geführten Schlag erledigt.
»So!«, sagt Baldur befriedigt. »In einer kleinen Stunde liefern wir die beiden als ertappte Einbrecher bei der Polizei ab. Unterdes räumen wir runter, was wir gebrauchen können. Aber leise auf den Treppen! Ich habe so gelauscht, aber ich habe nicht gehört, dass der alte Quangel von seiner Spätschicht nach Haus gekommen ist.«
Die beiden Brüder nicken. Baldur sieht erst auf die betäubten, blutigen Opfer, dann auf all die Koffer, die Wäsche, den Radioapparat. Plötzlich lächelt er. Er wendet sich zum Vater: »Na, Vater, wie habe ich das Dings gedreht? Du mit deiner ewigen Angst! Siehst du …«
Aber er spricht nicht weiter. In der Tür steht nicht, wie erwartet, der Vater, sondern der Vater ist verschwunden, spurlos weg. Statt seiner steht dort der Werkmeister Quangel, dieser Mann mit dem scharfen, kalten Vogelgesicht, und sieht ihn mit seinen dunklen Augen schweigend an.
Als Otto Quangel von seiner Spätschicht nach Haus ging – er hatte, obwohl es wegen des Rückstandes sehr spät geworden war, keine Elektrische genommen, den Groschen konnte er sparen –, da hatte er, vor dem Hause angekommen, gesehen, dass trotz des Verdunklungsbefehls in der Wohnung der Frau Rosenthal Licht brannte. Und bei näherem Zusehen hatte er festgestellt, dass auch bei den Persickes und darunter bei Fromm Licht war, es schimmerte an den Rändern der Rouleaus. Beim Kammergerichtsrat Fromm, von dem man nicht genau wusste, ob er 33 seines Alters oder der Nazis wegen in Pension gegangen war, brannte eigentlich stets die halbe Nacht Licht, bei dem war es nicht verwunderlich. Und Persickes feierten wohl noch immer den Sieg über Frankreich. Aber dass die alte Rosenthal Licht brannte und das offen in allen Fenstern, da stimmte etwas nicht. Die alte Frau war so ängstlich und verschüchtert, die würde nie ihre Wohnung so illuminieren.
Da stimmt was nicht!, dachte Otto Quangel, während er die Haustür aufschloss und langsam anfing, die Treppen hinaufzusteigen. Er hatte es wie immer unterlassen, das Licht einzuschalten, er war nicht nur für sich sparsam, das heißt genau. Er war es für alle, auch für den Hauswirt. Da stimmt was nicht! Aber was geht es mich an? Die Leute gehen mich gar nichts an! Ich lebe für mich allein. Mit der Anna. Nur wir beide. Außerdem macht vielleicht die Gestapo da oben grade Haussuchung. Hübsch, wenn ich da reinplatze! Nein, ich gehe schlafen …
Aber der durch den Vorwurf ›Du und dein Hitler‹ so verstärkte Sinn für Genauigkeit, den man fast schon Gerechtigkeitssinn nennen konnte, fand dies Ergebnis seiner Überlegungen doch recht dürftig. Er stand jetzt wartend, die Schlüssel in der Hand, vor seiner Wohnungstür, den Kopf nach oben gedreht. Die Tür musste dort offenstehen, es war eine dämmrige Helle da oben, auch hörte er eine scharfe Stimme sprechen. Eine alte Frau ganz für sich allein, dachte er plötzlich zu seiner eigenen Überraschung. Ohne jeden Schutz. Ohne Gnade …
In diesem Augenblick war es, dass eine kleine, doch kräftige Männerhand ihn aus dem Dunkel heraus an der Brust fasste und gegen die Treppe hindrehte. Eine sehr höfliche, gepflegte Stimme sagte dazu: »Gehen Sie bitte voraus, Herr Quangel. Ich folge und tauche im passenden Augenblick auf.«
Ohne zu zögern, ging Quangel nun die Treppe hinauf, eine solche überredende Gewalt hatte in dieser Hand und in dieser Stimme gelegen. Das kann nur der alte Rat Fromm gewesen sein, dachte er. So ein Heimlicher. Ich glaube, ich habe ihn in all den Jahren, die ich hier wohne, keine zwanzigmal bei Tage gesehen, und nun kriecht er hier zur Nachtzeit auf den Treppen herum!
Während er so dachte, war er, ohne zu zögern, die Treppen hinaufgestiegen und in der Rosenthal’schen Wohnung angelangt. Er hatte noch gesehen, wie sich bei seinem Erscheinen eine dickliche Gestalt – wohl der alte Persicke – überstürzt in die Küche zurückzog, er hatte auch noch die letzten Worte Baldurs gehört von dem Ding, das gedreht worden war, und dass man nicht ewig Angst haben sollte … Nun standen sich die beiden, Quangel und Baldur, schweigend Auge in Auge gegenüber.
Einen Augenblick glaubte selbst Baldur Persicke alles verloren. Aber dann besann er sich auf einen seiner Lebensgrundsätze: Frechheit siegt, und sagte etwas herausfordernd: »Ja, da staunen Sie! Aber Sie sind ein bisschen zu spät gekommen, Herr Quangel, wir haben die Einbrecher erwischt und unschädlich gemacht.« Er machte eine Pause, aber Quangel schwieg. Etwas matter setzte Baldur hinzu: »Einer von den beiden Raben scheint übrigens der Barkhausen zu sein, der hier bei uns auf dem Hofe eine Nuttenwirtschaft duldet.«
Quangels Blick folgte Baldurs weisendem Finger. »Ja«, sagte er trocken, »einer von den Raben ist der Barkhausen.«
»Und überhaupt«, ließ sich plötzlich ganz unerwartet der SS-Bruder Adolf Persicke vernehmen, »was stehen Sie hier und starren bloß? Sie könnten ganz ruhig auf das Revier gehen, Quangel, und den Einbruch melden, damit die hier die Brüder abholen! Wir passen unterdes auf!«
»Stille