drehte mich um, ich beugte mich über das Bett. Sie lag auf dem Rücken, bis zum Halse zugedeckt. Ich streifte die Decke zurück und legte einen Augenblick mein Gesicht gegen ihre nackte Brust. Kühl und fest. Sachte atmend, kühl und fest. Es roch gut – nach Haar und Fleisch.
»Mach doch zu!«, flüsterte sie ungeduldig. »Zieh dich aus – lass den Unsinn! Du bist doch kein Schüler mehr!«
Mit einem tiefen Seufzer richtete ich mich auf. Ich ging an das Fenster, nahm die Flasche und schwang mich hinaus auf das Schuppendach. Ich hörte einen ärgerlichen zornigen Ruf hinter mir. Aber ich ließ mich schon hinab in den Garten.
»Besoffener alter Trottel!«, rief sie oben, dann schlug das Fenster zu.
Ich stand zwischen Büschen, ich roch den Duft des Flieders. Die Frühlingsnacht war ganz rein. Ich setzte die Flasche an den Mund und trank lange …
7
Ich gehe und gehe. Ich marschiere und singe mir ein Lied dazu, eines jener Wanderlieder, die ich früher bei Ausflügen mit Magda sang. Dann humpele ich wieder lange Strecken auf schmerzenden Füßen. Ich habe mir eine Zehe an einem Stein gestoßen, mit meinen unbeschuhten Füßen ist es schlechtes Wandern. Längst sind meine Strümpfe zerrissen. Kreuze ich einen Bach, klettere ich die Böschung hinunter, setze mich auf einen Stein und halte die Füße ins Wasser, das mich zuerst durch seine Eiseskälte erschreckt. Dann tut es gut, und, auf meinem Stein sitzend, schlafe ich ein.
Ich wache frierend, eisig auf, ich bin von meinem Sitz gefallen, ich wandere weiter. Je schneller ich gehe, umso länger scheint der Weg zu werden. Die Obstbäume an den Straßenrändern fliegen nur so an mir vorbei, aber ich komme nicht vorwärts. Ich weiß nicht, wo ich bin, nur sehr fern von Haus. Ich weiß nicht, wie spät es ist, aber noch ist es Nacht. Zwei Hände breit steht der Mond noch über dem Horizont.
Und ich wandere. Ich wandere durch ein schlafendes Dorf. Nirgends ist mehr Licht, alle schlafen, nur ich bin noch unterwegs, ich, Erwin Sommer, Inhaber eines Landesproduktengeschäftes en gros. Nicht mehr, nicht mehr, das war einmal. Was hier wandert durch die monderfüllte Nacht, was ist das noch? Es war einmal – lange ist’s her. Versunken, vorbei, fast vergessen …
Ein Hund erwacht in seiner Hütte von meinem Schlurfschritt, schlägt an, fängt an zu kläffen, andere Hunde erwachen, und nun bellt das ganze Dorf, und ich schlurfe hindurch, auf blutigen Sohlen, ein Stromer, und gestern war ich noch … O schweig stille …!
Und im Schatten des hölzernen Kirchturms bleibe ich stehen, wieder einmal hebe ich die Flasche zum Mund und trinke. Das lullt die Fragen ein, das bringt die Schmerzen zur Ruhe, das ist eine Peitsche für die nächste halbe Stunde Weg … Aber nicht viel ist mehr in der Flasche, ich muss den kostbaren Stoff zurate halten. Den letzten Schluck – und er muss groß sein! – trinke ich auf der Schwelle meines Hauses, ehe ich vor Magda trete. Aber Magda schläft, ich werde ganz leise mich auf ein Sofa legen, heute Nacht wird es keine Auseinandersetzung mehr geben. Und morgen?
Morgen ist sehr weit, bis morgen werde ich tief, tief schlafen, ich werde alles vergessen, was heute war, ich werde wieder der Chef der Firma sein, der wohl einen kleinen Fehler begangen hat, aber der auch die Fähigkeit besitzt, die Scharte wieder auszuwetzen …
Ich habe die leere Flasche in einem Gebüsch des Gartens verborgen, nun steige ich auf meinen nackten Füßen ganz leise die Stufen zur Haustür empor. Auch das leise Öffnen des Schlosses gelingt mir leicht. Ich bin jetzt nicht mehr die Spur betrunken, obgleich ich eben erst nicht nur einen, nein, sogar zwei sehr große Schlucke Korn genommen habe – der Rest in der Flasche war größer gewesen, als ich erwartet hatte. Aber das ist nur gut, um so klarer und sicherer bin ich jetzt. Ich werde keinen Fehler begehen, niemanden werde ich wecken.
Wie listig ich bin. Es zog mich ins Badezimmer, mir die blutigen Füße zu waschen, aber mein klarer Kopf erinnerte mich, dass das Rauschen der Hähne dort Magda wecken würde, und jetzt schleiche ich in die Küche. In der Küche darf ich mich waschen, neben der Küche schläft nur die kleine Else, sie meint es gut mit mir. Sie hat mich getröstet, sie ist nicht tüchtig und hart wie Magda.
Ich mache Licht, ich sehe mich in der Küche um. Ich wähle eine große Emailleschüssel, und ich denke daran, im Boiler am Herd nachzusehen, ob dort noch etwas warmes Wasser ist. Das Wasser ist wirklich noch lau, ich bin stolz auf meine Tüchtigkeit, ich hole Waschseife, das Küchenhandtuch, die Geschirrtücher und eine Bürste. Dann setze ich mich auf einen Stuhl und stecke die Füße ins Wasser.
Ach, wie gut das tut, wie sanft dieses laue Streicheln ist! Ich lehne mich zurück, ich schließe die Augen – wenn ich jetzt noch etwas zu trinken hätte, würde ich ganz glücklich sein. Irgendetwas fehlt immer am menschlichen Glück, ganz zufrieden werden wir nie. Ich habe den Rotwein ausgetrunken, sonst gibt es nichts zu trinken in diesem Haus. Ich muss mir gleich morgen einen Weinkeller zulegen, und ein paar Flaschen Schnaps müssen auch in ihm sein. Schnaps ist etwas sehr Gutes – wie schade, dass ich so viele Jahre versäumt habe, in denen ich hätte Schnaps trinken können – in aller Mäßigkeit natürlich.
Ich lehne mich noch weiter zurück, genieße das Bad, fühle die brennenden Schmerzen nachlassen … und springe plötzlich auf! Das Wasser schwappt aus der Schale und überschwemmt den Fliesenboden. Aber das ist jetzt ganz egal! Eine Erleuchtung ist über mich gekommen! Natürlich haben wir noch etwas zu trinken im Haus! Hat denn nicht Magda Madeira für manche Suppen, zum Beispiel für die Ochsenschwanzsuppe? Und besitzt sie nicht Rum zum Sterilisieren ihrer Gelees? Ich weiß das doch aus den Haushaltsbüchern!
Und ich laufe mit meinen nackten Füßen in die Speisekammer, ich suche, ich rieche an Flaschen, ich rieche Essig und Öl – und hier, da steht es ja: »Fine old Sherry«, und hier sogar Portwein, dreiviertel voll die Flasche, und Rum, halb voll – oh, wie schön ist das Leben. Rausch, Vergessen, auf dem Strome des Vergessens dahintreiben, in die Dämmerung hinein, tiefer in die Schwärze hinab, dorthin, wo es weder Versagen noch Reue gibt … guter Alkohol, sei gegrüßt, la reine1 Elsabe, an deiner nackten Brust habe ich geruht, den Ruch von Haar und Fleisch geatmet!
Ich habe die Schüssel wieder gefüllt, ich habe die drei Flaschen aufgekorkt vor mir aufgebaut, ich habe einen tiefen Zug aus der Rumflasche getan. Zuerst widerstand er mir nach dem sanfteren und reineren Geschmack des Korns, dieser Rum schmeckte schärfer, brennender, er ist zusammengesetzter, aber auch feuriger. Wie dunkelrote Wolken fühle ich ihn in meinem Blute treiben, er beschwingt meine Fantasie, er macht mich noch wacher, achtsamer, listiger …
Ich weiß, ich muss die Küche gut aufräumen, aufwischen muss ich die Überschwemmung auf dem Fliesenboden, die Flaschen gut verkorkt wieder wegsetzen. Niemand darf etwas merken, auch Else nicht. Die gute Else, sie schläft