Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


Скачать книгу

konn­te und dass al­les vor­züg­lich ging, be­ach­te­te ich die­se Bli­cke nicht. Üb­ri­gens er­in­ne­re ich mich, dass ich an die­sem Mit­tag die Sup­pe mit be­son­de­rem Ap­pe­tit aß.

      Else räum­te die Tel­ler ab und flüs­ter­te da­bei mei­ner Frau ir­gend­ei­ne Kü­chen­fra­ge zu, durch die Mag­da ver­an­lasst wur­de, auf­zu­ste­hen und mit Else in die Kü­che zu ge­hen, wohl um ir­gen­det­was ab­zu­schme­cken oder zu tran­chie­ren. Ich blieb al­lein im Spei­se­zim­mer, auf den Fleisch­gang war­tend. Ich dach­te an nichts Be­son­de­res, ich war von ei­ner hei­te­ren Zufrie­den­heit er­füllt, das Le­ben ge­fiel mir. Kei­ne Ah­nung hat­te ich von dem, was ich nun so­fort tun wür­de.

      Plötz­lich – mir selbst über­ra­schend – stand ich auf, schlich ei­lig auf den Ze­hen­spit­zen zur An­rich­te, öff­ne­te die un­te­re Tür, und rich­tig – da stand noch die Rot­wein­fla­sche, die wir an je­nem ver­häng­nis­vol­len No­vem­be­r­abend, als un­se­re Strei­te­rei­en be­gan­nen, an­ge­trun­ken hat­ten! Ich hob sie ge­gen das Licht: Sie war, wie ich es nicht an­ders er­war­tet hat­te, noch halb ge­füllt. Ich hat­te kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, je­den Au­gen­blick konn­te Mag­da zu­rück­kom­men. Mit den Nä­geln zog ich den ziem­lich weit in den Hals ge­trie­be­nen Kor­ken her­aus, setz­te die Fla­sche an den Mund und trank, trank aus der Fla­sche wie ein al­ter Säu­fer! (Aber was soll­te ich tun? Für die Be­nut­zung ei­nes Gla­ses war kei­ne Zeit, ganz ab­ge­se­hen da­von, dass ein be­nutz­tes Glas eine ver­rä­te­rische Spur ge­we­sen wäre.) Ich nahm drei, vier sehr kräf­ti­ge Schlu­cke, hielt die Fla­sche wie­der ge­gen das Licht und sah, dass in ihr nur ein schä­bi­ger Rest war. Ich trank auch ihn aus, ver­kork­te die Fla­sche wie­der, schloss die An­rich­ten­tür ab und schlich an mei­nen Platz zu­rück.

      In mir wog­te es, mein Ma­gen, ge­reizt durch die plötz­li­che star­ke Al­ko­hol­zu­fuhr, mach­te ei­ni­ge krampf­haf­te Be­we­gun­gen, vor mei­nen Au­gen lag eine Art feu­ri­ger Ne­bel, und Stirn und Hän­de wa­ren schweiß­nass. Ich hat­te ge­wal­tig zu tun, bis zur Rück­kehr Mag­das ei­ni­ger­ma­ßen wie­der mei­ner Herr zu wer­den. Dann saß ich mit ei­nem Ge­fühl an­ge­neh­mer Hin­ge­ge­ben­heit an mei­nen Rausch zu Tisch, und nur die Not­wen­dig­keit, we­nigs­tens pro for­ma et­was zu es­sen, mach­te mir Schwie­rig­kei­ten. Mein Ma­gen schi­en ein sehr zer­brech­li­ches Ding, da­bei je­der­zeit be­reit, sich zu em­pö­ren; je­den ein­zel­nen Bis­sen muss­te ich ihm mit äu­ßers­ter Vor­sicht zu­füh­ren und be­dau­er­te da­bei, durch die­se aus äu­ße­ren Rück­sich­ten ge­bo­te­ne Nah­rungs­zu­fuhr den still wir­ken wol­len­den Rausch zu stö­ren.

      Da­ran, dass es viel­leicht gut wäre, ein paar Wor­te mit Mag­da zu wech­seln, dach­te ich über­haupt nicht. Da­für be­schäf­tig­te mich ein an­de­res Pro­blem, das mir plötz­lich schwe­re Sor­gen be­rei­te­te. Wohl stand die Rot­wein­fla­sche wie­der ver­korkt in der An­rich­te, aber bei der Ge­nau­ig­keit, mit der Mag­da ih­ren Haus­halt führ­te, muss­te sie bin­nen Kur­zem ihre Lee­re mer­ken. Un­mög­lich konn­te ich das zu­las­sen, ich muss­te recht­zei­tig da­ge­gen Vor­keh­run­gen tref­fen. Aber wie un­glaub­lich schwie­rig das war!

      Die bes­te Lö­sung wür­de sein, gleich heu­te Nach­mit­tag eine an­de­re Fla­sche Rot­wein zu kau­fen, etwa die Hälf­te fort­zu­schüt­ten und sie an die Stel­le der aus­ge­trun­ke­nen zu stel­len. Aber wann soll­te ich das tun, wie kam ich an das Bü­fett, da ich doch den Nach­mit­tag über im Ge­schäft sein muss­te, und da Mag­da und ich den Abend stets ge­mein­sam ver­brach­ten, sie mit ei­ner Hand­ar­beit, ich mit mei­nen Zei­tun­gen be­schäf­tigt – wann? Und wo blieb ich mit der lee­ren Fla­sche? Wür­de ich denn über­haupt einen Wein glei­cher Mar­ke zu kau­fen be­kom­men? Erin­ner­te sich Mag­da der Sor­te, der Art des Eti­ketts? Am bes­ten wür­de es sein, etwa um Mit­ter­nacht heim­lich auf­zu­ste­hen, das Eti­kett der al­ten Fla­sche vor­sich­tig ab­zu­lö­sen und auf die vol­le auf­zu­kle­ben! Aber wenn mich Mag­da da­bei über­rasch­te! Und hat­ten wir über­haupt Leim im Hau­se? Ich wür­de in mei­ner Ak­ten­ta­sche wel­chen aus dem Büro ein­schmug­geln müs­sen!

      Je län­ger ich dar­über nach­dach­te, um so kom­pli­zier­ter wur­de die gan­ze An­ge­le­gen­heit, ei­gent­lich war sie schon ganz un­lös­bar. Es war eine sehr ein­fa­che Sa­che ge­we­sen, die Fla­sche leer zu trin­ken, aber ich hät­te vor­her dar­an den­ken sol­len, wie schwie­rig es sein wür­de, den Zu­stand wie vor­her her­zu­stel­len. Wenn ich die Fla­sche ein­fach zer­brä­che und vor­gä­be, ich hät­te sie beim Su­chen nach ir­gend­was um­ge­sto­ßen? Aber es war kein Wein mehr in ihr, der hät­te aus­flie­ßen kön­nen! Oder konn­te ich es wa­gen, sie ein­fach halb mit Was­ser zu fül­len, und die ei­gent­li­che Nach­fül­lung auf einen spä­te­ren Tag ver­schie­ben?

      Es ging im­mer wir­rer in mei­nem Kopf zu, nicht nur das Es­sen, auch Mag­da hat­te ich ganz und gar über mei­nen Ge­dan­ken ver­ges­sen. So schrak ich völ­lig zu­sam­men, als sie mich mit ech­ter Be­sorg­nis in der Stim­me frag­te: »Was ist mit dir, Er­win? Bist du krank? Hast du Fie­ber – du siehst so rot aus?«

      Ich griff gie­rig nach die­sem Ret­tungs­an­ker und sag­te ru­hig: »Ja, ich glau­be wirk­lich, ich bin nicht ganz in Ord­nung. Ich glau­be, ich lege mich am bes­ten einen Au­gen­blick hin. Ich habe – ich habe sol­chen Blu­tandrang im Kopf …«

      »Ja, Er­win, das tu. Lege dich gleich ins Bett. Soll ich Dr. Mans­feld an­ru­fen?«

      »Ach, Un­sinn!«, rief ich är­ger­lich. »Ich will mich nur eine Vier­tel­stun­de auf das Sofa le­gen, ich wer­de gleich wie­der in Ord­nung sein. Ich muss dann auch so­fort ins Ge­schäft.«

      Sie ge­lei­te­te mich wie einen Schwer­kran­ken zum Sofa, half mir, mich hin­zu­le­gen, und leg­te eine De­cke über mich. »Hast du Är­ger im Ge­schäft ge­habt?«, frag­te sie ängst­lich. »Sage mir doch, was dich be­drückt, Er­win. Du bist ganz ver­än­dert!«

      »Nichts, nichts«, sag­te ich, plötz­lich är­ger­lich. »Ich weiß nicht, was du willst. Ein biss­chen Schwin­del oder Blu­tandrang – und gleich soll et­was mit dem Ge­schäft sein! Pri­ma geht es mit dem Ge­schäft, ein­fach pri­ma!«

      Sie seufz­te lei­se. »Also dann schlaf gut, Er­win!«, sag­te sie. »Soll ich dich we­cken?«

      »Nein, nein, nicht nö­tig. Ich wa­che von selbst auf – in ei­ner Vier­tel­stun­de oder so …«

      Da­mit war ich end­lich al­lein; ich leg­te den Kopf zu­rück, und der Al­ko­hol floss nun in un­ge­hemm­ter frei­er Wel­le ganz durch mich hin­durch, mit ei­ner sam­te­nen Schwin­ge be­deck­te er alle mei­ne Sor­gen und Küm­mer­nis­se, selbst den klei­nen, ganz fri­schen Är­ger, dass ich Mag­da so un­nö­tig einen »pri­ma« Gang der Ge­schäf­te vor­ge­lo­gen hat­te, schwemm­te er fort. Ich schlief … Ich schlief? Nein, ich war aus­ge­löscht. Ich war nicht mehr …

      5

      Es fängt schon an zu däm­mern, als ich er­wa­che. Ich wer­fe einen er­schro­cke­nen Blick auf die Uhr: Es ist zwi­schen sie­ben und acht Uhr abends. Ich lau­sche in das Haus, nichts rührt sich. Ich rufe erst lei­se, dann lau­ter: »Mag­da!« Aber sie kommt nicht. Ich ste­he müh­sam auf. Ich füh­le mich am gan­zen Kör­per zer­schla­gen, mein Kopf ist dumpf und mei­ne Mund­höh­le tro­cken und pel­zig. Ei­nen Blick wer­fe ich in das Spei­se­zim­mer ne­ben­an: Kein Abend­brot­tisch ist ge­deckt, und dies ist die Stun­de, zu der wir sonst nacht­mah­len. Was ist los? Was ist ge­sche­hen,