Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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bei ei­nem so nüch­ter­nen Men­schen wie mir nicht be­wir­ken kön­nen, aber doch hat­te mir der Al­ko­hol die gan­ze Welt ver­wan­delt. Er spie­gel­te mir vor, dass es kei­ne Ent­frem­dung und kei­nen Streit zwi­schen Mag­da und mir ge­ge­ben hät­te, er ver­wan­del­te mei­ne ge­schäft­li­chen Sor­gen in Er­fol­ge, in sol­che Er­fol­ge, dass ich so­gar hun­dert Mark zu ver­schen­ken hat­te, kei­ne be­trächt­li­che Sum­me ge­wiss, aber in mei­ner Lage war schließ­lich kei­ne Sum­me ganz un­be­trächt­lich.

      Als ich am nächs­ten Mor­gen er­wacht war und alle Ge­scheh­nis­se von dem ver­ges­se­nen Fuß­ab­tre­ter bis zum ver­schenk­ten Hun­dert­mark­schein an mei­nem geis­ti­gen Auge vor­über­zie­hen ließ, da wur­de mir erst klar, wie schmäh­lich ich an Mag­da ge­han­delt hat­te. Ich hat­te sie nicht nur über mei­ne ge­schäft­li­che Lage ge­täuscht, nein, ich hat­te die­se Täu­schung auch noch durch ein Geld­ge­schenk un­ter­mau­ert, um sie noch glaub­haf­ter zu ma­chen, et­was, das ju­ris­tisch wohl »Be­trug« ge­nannt wer­den wür­de. Aber das Ju­ris­ti­sche war ganz gleich­gül­tig, das Men­sch­li­che al­lein war wich­tig, und das Men­sch­li­che an die­ser Sa­che war ein­fach furcht­bar. Ich hat­te zum ers­ten Mal in un­se­rer Ehe Mag­da wis­sent­lich be­tro­gen – und warum? Wa­rum in al­ler Welt?! Für gar nichts – ich hät­te ja von all die­sen Din­gen wun­der­bar schwei­gen kön­nen, wie ich bis­her von ih­nen ge­schwie­gen hat­te. Nie­mand zwang mich zum Spre­chen. Nie­mand? Doch ja, der Al­ko­hol hat­te mich dazu ge­bracht.

      Als ich das erst ein­mal er­kannt hat­te, als ich in vol­lem Um­fan­ge er­fasst hat­te, welch Lüg­ner der Al­ko­hol ist und wie er dazu aus ehr­li­chen Men­schen Lüg­ner macht, schwor ich mir zu, nie wie­der einen Trop­fen Al­ko­hol zu trin­ken und auch auf das ab und zu bis­her ge­nos­se­ne Glas Bier zu ver­zich­ten.

      Aber was sind Vor­sät­ze, was sind Ent­wür­fe? Ich hat­te mir ja auch an die­sem Mor­gen der Er­nüch­te­rung zu­ge­schwo­ren, we­nigs­tens die ges­tern Abend zwi­schen Mag­da und mir auf­ge­kom­me­ne wär­me­re Stim­mung zu nüt­zen und es nicht wie­der zu ei­ner Ent­frem­dung oder gar zu ei­nem Streit kom­men zu las­sen. Und doch ver­gin­gen nicht vie­le Tage, und wir strit­ten uns schon wie­der. Es war ei­gent­lich völ­lig un­be­greif­lich: Vier­zehn Jah­re un­se­rer Ehe wa­ren prak­tisch ohne je­den Streit ver­gan­gen, und jetzt im Fünf­zehn­ten war es, dass wir nicht mehr ohne Strei­ten le­ben konn­ten. Manch­mal schi­en es mir ge­ra­de­zu lä­cher­lich, über was für Din­ge al­les wir mit­ein­an­der in Streit ge­rie­ten. Es schi­en, als müss­ten wir uns zu be­stimm­ten Zei­ten strei­ten, ganz gleich warum. Auch das Strei­ten scheint wie ein Gift zu sein, an das man sich rasch ge­wöhnt und ohne das man bald nicht mehr le­ben kann. Zu­erst be­wahr­ten wir na­tür­lich ängst­lich die Form, wir such­ten mög­lichst sach­lich beim Streit­ge­gen­stand zu blei­ben und al­les per­sön­lich Krän­ken­de zu ver­mei­den.

      Auch leg­te uns die An­we­sen­heit un­se­res klei­nen Haus­mäd­chens Else Hem­mun­gen auf. Wir wuss­ten, sie war neu­gie­rig und trug al­les wei­ter, was sie er­fuhr. Da­mals wäre es mir noch un­aus­sprech­bar schreck­lich ge­we­sen, wenn ir­gend­je­mand in der Stadt von mei­nen Sor­gen und un­se­ren Strei­te­rei­en er­fah­ren hät­te. Nicht sehr viel spä­ter frei­lich war es mir voll­kom­men gleich­gül­tig ge­wor­den, was die Men­schen von mir dach­ten und spra­chen, und, was das Schlim­me­re war, ich hat­te auch alle Scham vor mir selbst ver­lo­ren.

      Ich habe ge­sagt, dass Mag­da und ich uns an fast täg­li­chen Streit ge­wöhn­ten. Frei­lich wa­ren das ei­gent­lich nur Quen­ge­lei­en, klei­ne Sti­che­lei­en um ein Gar­nichts, et­was, das die zwi­schen uns im­mer wie­der auf­tau­chen­den Span­nun­gen ein we­nig er­leich­ter­te. Auch das war ei­gent­lich ein Wun­der, aber kein schö­nes: Vie­le Jah­re hat­ten Mag­da und ich eine aus­ge­spro­chen gute Ehe ge­führt. Wir hat­ten uns aus Lie­be ge­hei­ra­tet, da­mals wa­ren wir alle bei­de sehr klei­ne An­ge­stell­te ge­we­sen, je­der mit ei­nem Hand­köf­fer­chen, so wa­ren wir zu­sam­men­ge­lau­fen. Ach, die herr­li­che ent­beh­rungs­rei­che Zeit un­se­rer ers­ten Ehe­jah­re – wenn ich heu­te dar­an zu­rück­den­ke! Mag­da war eine wah­re Haus­halts­künst­le­rin, man­che Wo­che ka­men wir mit zehn Mark aus, und es kam uns vor, als leb­ten wir da­bei wie die Fürs­ten.

      Als dann das Ge­schäft lief, als es je­nen Um­fang er­reicht hat­te, der ihm durch die Grö­ße un­se­rer Stadt und un­se­res Land­krei­ses ge­ge­ben war, einen Um­fang, über den hin­aus eine Er­wei­te­rung nur durch völ­li­ge Än­de­rung all un­se­rer Le­ben­sum­stän­de und durch Weg­zug von un­se­rer Va­ter­stadt mög­lich war, als also das bren­nen­de In­ter­es­se et­was zu er­lah­men be­gann, kam als Er­satz der Er­werb des ei­ge­nen Grund­stücks vor der Stadt, der Bau un­se­rer Vil­la, die An­la­ge un­se­res Gar­tens, die Ein­rich­tung, die uns nun für den Rest un­se­res Le­bens be­glei­ten soll­te – al­les Din­ge, die uns wie­der eng an­ein­an­der­ban­den und uns die Ab­küh­lung, die in un­se­rer Ehe­be­zie­hung ein­ge­tre­ten war, nicht merk­lich wer­den lie­ßen. Wenn wir uns nicht mehr so wie frü­her lieb­ten, wenn wir nicht mehr so oft und heiß nach­ein­an­der be­gehr­ten, so emp­fan­den wir das nicht als einen Ver­lust, son­dern als et­was Selbst­ver­ständ­li­ches: Wir wa­ren eben all­ge­mach alte Ehe­leu­te ge­wor­den, was uns ge­sch­ah, ge­sch­ah al­len, war et­was Na­tür­li­ches. Und, wie ge­sagt, die Ka­me­rad­schaft beim Pla­nen, Bau­en, Ein­rich­ten er­setz­te uns das Ver­lo­re­ne voll­kom­men, aus Lie­bes­leu­ten wa­ren wir Ka­me­ra­den ge­wor­den, wir ent­behr­ten nichts.

      Zu je­ner Zeit hat­te sich Mag­da schon ganz von der tä­ti­gen Mit­hil­fe in mei­nem Ge­schäft frei­ge­macht, ein Schritt, den wir bei­de da­mals als selbst­ver­ständ­lich an­sa­hen. Sie hat­te jetzt eine grö­ße­re ei­ge­ne Haus­hal­tung; der Gar­ten und ein biss­chen Fe­der­vieh er­for­der­ten auch Pfle­ge, und der Um­fang des Ge­schäf­tes ge­stat­te­te ohne Wei­te­res die Ein­stel­lung ei­ner neu­en Hilfs­kraft.

      Spä­ter soll­te sich zei­gen, wie ver­häng­nis­voll sich das Aus­schei­den Mag­das aus mei­nem Be­trieb aus­wir­ken soll­te. Nicht nur, dass wir da­durch wie­der­um ein gut Teil un­se­rer ge­mein­sa­men In­ter­es­sen ver­lo­ren, auch stell­te sich her­aus, dass ihre Mit­hil­fe ei­gent­lich un­er­setz­lich war. Sie war bei Wei­tem ak­ti­ver als ich, un­ter­neh­mungs­lus­ti­ger, auch war sie viel ge­schick­ter als ich im Um­gang mit den Men­schen und ver­moch­te sie auf eine leich­te, scherz­haf­te Wei­se ge­ra­de da­hin zu be­kom­men, wo sie die Leu­te ha­ben woll­te.

      Ich war das vor­sich­ti­ge Ele­ment in un­se­rer