Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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und pflü­gen, er hat vom Va­ter das Säen ge­lernt und von der Mut­ter das Ha­cken. Das Le­ben macht ihm Spaß, er wird den Hof schon in die Höhe brin­gen, das tut er!

      Er pfeift.

      Am Stra­ßen­rand rich­tet sich eine ver­wahr­los­te, lan­ge Ge­stalt auf, zer­lumpt der An­zug, ver­wüs­tet das Ge­sicht. Das ist kei­ner der un­se­li­gen Flücht­lin­ge, das ist ein Ver­kom­me­ner, ein Pen­ner, ein Lump. Die ver­sof­fe­ne Stim­me krächzt: »He, Jung, nimm mich mit in die Stadt!«

      Kuno Kien­schä­per ist beim Klan­ge die­ser Stim­me zu­sam­men­ge­zuckt. Er möch­te aus dem be­hag­li­chen Toni einen Ga­lopp her­aus­ho­len, aber da­für ist es zu spät, und so sagt er mit ge­senk­tem Kopf: »Sitz auf – nee, nicht hier bei mir! Hin­ten kannst du auf­sit­zen!«

      »Wa­rum nicht bei dir?«, krächzt der Mann her­aus­for­dernd. »Bin dir wohl nicht fein ge­nug?«

      »Schafs­kopp!«, ruft Kuno mit an­ge­nom­me­ner Grob­heit. »Weil du hin­ten auf dem Stroh wei­cher sitzt!«

      Der Mann fügt sich brum­mend, kriecht hin­ten auf den Wa­gen, und Toni fängt jetzt an, ganz von sel­ber zu tra­ben.

      Der Kuno hat den ers­ten Schreck dar­über ver­wun­den, dass er da sei­nen Va­ter, nein, aus­ge­rech­net den Bark­hau­sen aus dem Stra­ßen­gra­ben auf den Wa­gen hat la­den müs­sen, aus­ge­rech­net er, aus­ge­rech­net den! Aber viel­leicht war das gar kein Zu­fall, viel­leicht hat der Bark­hau­sen ihm auf­ge­lau­ert und weiß ge­nau, wer ihn da fährt.

      Kuno schielt über die Schul­ter nach dem Mann.

      Der hat sich ins Stroh ge­streckt und sagt jetzt, als habe er den Blick des Jun­gen ge­spürt: »Kanns­te mir wohl sa­gen, wo hier in der Dre­he ein Jun­ge wohnt, aus Ber­lin, muss so um die sech­zehn sind? Hier um die Dre­he rum muss er woh­nen …«

      »Hier um die Dre­he rum woh­nen noch vie­le Ber­li­ner!«, ant­wor­tet Kuno.

      »Das hab ich ge­merkt! Aber das mit dem Jun­gen, wo ich mei­ne, das ist ein Spe­zi­al­fall – der ist nicht eva­ku­iert da­mals im Krie­ge, der ist ge­türmt von sei­ne El­tern! Has­te von so ’nem Jun­gen mal ge­hört?«

      »Nee!«, lügt Kuno. Und nach ei­ner Pau­se fragt er: »Wis­sen Sie denn nicht, wie der Jun­ge heißt?«

      »Na ja, der heißt Bark­hau­sen …«

      »Ei­nen Bark­hau­sen gib­t’s hier in der Dre­he nicht, das müss­te ich wis­sen.«

      »Das ist ko­misch!«, sagt der Mann, tut, als müs­se er la­chen, und stößt dem Jun­gen die Faust schmerz­haft zwi­schen die Schul­tern. »Und ich hätt dar­auf ge­schwo­ren, ein Bark­hau­sen sitzt hier auf dem Wa­gen!«

      »Da hät­ten Sie falsch ge­schwo­ren!«, ant­wor­tet Kuno, und jetzt, da die Ge­wiss­heit da ist, schlägt sein Herz ru­hig und kalt. »Ich heiß näm­lich Kien­schä­per, Kuno Kien­schä­per …«

      »Nee, aber so wat!«, tut der Mann er­staunt. »Der, wo ich su­che, heißt näm­lich auch Kuno, Kuno-Die­ter näm­lich …«

      »Ich hei­ße bloß Kuno Kien­schä­per«, sag­te der Jun­ge. »Und dann: wenn ich wüss­te, ein Bark­hau­sen sitzt auf mei­nem Wa­gen, dann dreh­te ich die Peit­sche um und prü­gel­te den Kerl so lan­ge, bis er run­ter wäre von mei­nem Wa­gen!«

      »Nee, so wat! Nee, so wat! Jib­t’s denn so wat?«, wun­der­te sich der Pen­ner. »Ein Jun­ge, der den ei­ge­nen Va­ter vom Wa­gen prü­gelt?«

      »Und wenn ich den Bark­hau­sen run­ter­ge­prü­gelt hät­te«, fuhr Kuno Kien­schä­per un­barm­her­zig fort, »dann füh­re ich in die Stadt zur Po­li­zei und sag­te de­nen: Passt auf, ihr! Da ist ein Mann hier in der Dre­he, der kann nichts wie Faul­sein und Steh­len und Scha­den stif­ten, der hat ge­ses­sen, der ist ein Ver­bre­cher, den langt euch!«

      »So wat wirs­te doch nich ma­chen, Kuno-Die­ter«, rief Bark­hau­sen nun wirk­lich er­schro­cken aus. »Du wirst mir doch nicht die Po­len­te auf den Hals het­zen! Jetzt, wo ich end­lich mal wie­der raus bin aus dem Bun­ker und mir rich­tig ge­bes­sert habe? Ich hab ein Zeug­nis vom Pas­ter, ich hab mir wirk­lich ge­bes­sert, und ich fass nischt Ver­bo­te­nes mehr an mit mei­ne Hän­de, det schwör ick dir! Aber ick hab ge­dacht, wo du ’n Gut hast und so in der Fett­le­be sitzt, dass du dei­nen al­ten Va­ter auch mal ein biss­chen bei dir aus­ru­hen lässt! Es jeht mir jar­nich jut, Kuno-Die­ter, ich hab’s auf der Brust, ich muss mal ’n biss­chen pau­sie­ren …«

      »Dein biss­chen Pau­sie­ren, das kenn ich!«, rief der Jun­ge er­bit­tert aus. »Ich weiß, wenn ich dich nur für einen Tag in un­ser Haus las­se, so machst du dich breit und bist nicht wie­der weg­zu­krie­gen, und mit dir ist Un­frie­de und Un­glück und Schma­rot­ze­rei ins Haus ge­zo­gen. Nein, jetzt machst du, dass du von mei­nem Wa­gen run­ter­kommst, sonst dre­he ich wirk­lich die Peit­sche um!«

      Der Jun­ge hat­te den Wa­gen hal­ten las­sen und war von ihm ab­ge­sprun­gen. Jetzt stand er da, die Peit­sche in der Faust, zu al­lem be­reit, um den Frie­den des neu­er­wor­be­nen Heims zu ver­tei­di­gen.

      Der ewi­ge Pech­vo­gel Bark­hau­sen sag­te kläg­lich: »Das wirs­te doch nich ma­chen! Dei­nen ei­ge­nen Va­ter wirs­te doch nich schla­gen!«

      »Du bist ja gar nicht mein Va­ter! Das hast du mir frü­her lei­der oft ge­nug ge­sagt!«

      »Det is doch een Witz je­we­sen, Kuno-Die­ter, va­steh det doch bloß!«

      »Ich hab kei­nen Va­ter!«, schrie der Jun­ge, ra­send vor Zorn. »Ich hab eine Mut­ter, und ich fang ganz von Fri­schem an. Und wenn da Leu­te kom­men von frü­her und sa­gen dies und das, dann prü­ge­le ich sie so lan­ge, bis sie mich zu­frie­den las­sen! Ich lass mir mein Le­ben nicht von dir ver­der­ben!«

      Er stand so dro­hend da mit der er­ho­be­nen Peit­sche, dass der Alte wirk­lich Furcht be­kam. Er kroch vom Wa­gen und stand nun auf der Stra­ße, fei­ge Angst im Ge­sicht.

      Fei­ge dro­hend sag­te er: »Ick kann dir viel Scha­den ma­chen …«

      »Da­rauf hab ich ge­war­tet!«, rief Kuno Kien­schä­per. »Auf das Bet­teln folgt das Dro­hen, so ist es im­mer bei dir ge­we­sen! Aber das sage ich dir, das schwör ich dir zu: Von hier fah­re ich di­rekt zur Po­li­zei und er­stat­te An­zei­ge, dass du mir ge­droht hast, un­ser Haus an­zu­zün­den …«

      »Det ha ick ja jar­nich je­sagt, Kuno-Die­ter!«

      »Aber ge­dacht hast du dar­an, das habe ich dei­nen Au­gen an­ge­se­hen! Da geht dein Weg! Und mer­ke dir, in ei­ner Stun­de sind die von der Po­li­zei hin­ter dir her! Mach also, dass du schnell fort­kommst!«

      Kuno Kien­schä­per stand noch so lan­ge auf der Stra­ße, bis die ver­schlis­se­ne Ge­stalt zwi­schen den Korn­fel­dern ver­schwun­den war. Dann klopf­te er dem Brau­nen Toni auf den Hals und sag­te: »Was, Toni, wir las­sen uns von so ei­nem nicht noch mal das Le­ben ver­pfu­schen? Wir ha­ben’s neu an­ge­fan­gen. Wie die Mut­ter mich in das Was­ser ge­steckt und mit ih­ren ei­ge­nen Hän­den al­len Dreck von mir ab­ge­wa­schen hat, da hab ich mir’s ge­schwo­ren: Von nun an hal­te ich mich al­lei­ne sau­ber! Und das wird ge­hal­ten!«

      In den nächs­ten Ta­gen wun­der­te sich Mut­ter Kien­schä­per man­ches Mal, dass der Jun­ge so gar nicht vom Hofe zu krie­gen war. Sonst war er im­mer der Ers­te bei der Feld­ar­beit ge­we­sen, und jetzt woll­te er nicht mal die Kuh auf der Wei­de tü­dern. Aber sie sag­te nichts, und der Jun­ge