Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


Скачать книгу

der, dem die Frau in al­les hin­ein­re­den kann.

      1 Fehl­ge­burt <<<

      3

      Erst, als un­se­re Strei­te­rei­en be­gan­nen, merk­te ich, wie fremd Mag­da und ich uns in den Jah­ren ge­wor­den wa­ren, da sie ihre Haus­wirt­schaft be­sorg­te und ich den Ge­schäf­ten vor­stand. Die ers­ten Male emp­fand ich wohl noch et­was wie Scham über un­ser Sich­ge­hen­las­sen, und wenn ich merk­te, dass ich Mag­da ver­letzt hat­te, dass sie gar mit ver­wein­ten Au­gen um­her­ging, schmerz­te mich das fast so sehr wie sie selbst, und ich ge­lob­te mir Bes­se­rung. Aber der Mensch ge­wöhnt sich an al­les, und ich fürch­te bei­na­he, er ge­wöhnt sich am ra­sche­s­ten, in ei­nem Zu­stand von Er­nied­ri­gung zu le­ben.

      Es kam der Tag, da ich beim An­blick von Mag­das ver­wein­ten Au­gen mir nicht mehr Bes­se­rung ge­lob­te, son­dern mit ei­ner von er­schro­cke­nem Stau­nen un­ter­misch­ten Be­frie­di­gung mir sag­te: ›Dies­mal habe ich es dir aber or­dent­lich ge­ge­ben! Im­mer ge­winnst du mit dei­ner ra­schen Zun­ge doch nicht die Ober­hand über mich!‹ Ich fand es schreck­lich, dass ich so emp­fand, und doch fand ich es rich­tig, es be­frie­dig­te mich, so zu emp­fin­den, so pa­ra­dox dies auch klin­gen mag. Von da an war es nur ein klei­ner Schritt bis da­hin, wo ich sie be­wusst zu ver­let­zen such­te.

      In je­nem äu­ßerst kri­ti­schen Zeit­punkt un­se­rer Be­zie­hun­gen wa­ren die Le­bens­mit­tel­lie­fe­run­gen für die Ge­fäng­nis­ver­wal­tung wie alle drei Jah­re neu aus­ge­schrie­ben. Wir ha­ben in un­se­rem Ort – ge­ra­de nicht zum Ent­zücken sei­ner Ein­woh­ner – das Zen­tral­ge­fäng­nis der Pro­vinz lie­gen, das stän­dig etwa fünf­zehn­hun­dert Häft­lin­ge in sei­nen Mau­ern birgt. Seit neun Jah­ren hat­ten wir die­se Lie­fe­run­gen schon, Mag­da hat­te sich sei­ner­zeit sehr dar­um be­müht, sie zu er­hal­ten. Bei den bei­den spä­te­ren Ver­ge­bun­gen hat­te sie im­mer nur einen kur­z­en Höf­lich­keits­be­such bei dem ent­schei­den­den Obe­rin­spek­tor der Ver­wal­tung ge­macht, und der Zu­schlag war uns ohne Wei­te­res zu­ge­fal­len.

      Ich sah die­se Lie­fe­rung für einen so selbst­ver­ständ­li­chen Teil mei­nes Ge­schäf­tes an, dass ich auch dies­mal kein wei­te­res Auf­he­ben von der Sa­che mach­te: Ich ließ das alte An­ge­bot, des­sen Preis­ge­stal­tung sich nun schon seit neun Jah­ren be­währt hat­te, ab­schrei­ben und ein­rei­chen. Ich über­leg­te auch einen Be­such bei dem ent­schei­den­den Obe­rin­spek­tor, aber al­les lief ja in sei­nen ein­ge­lau­fe­nen Bah­nen; ich woll­te nicht auf­dring­lich er­schei­nen, ich wuss­te, der Mann war mit Ar­beit über­las­tet – kurz, ich hat­te min­des­tens zehn gute Grün­de, den Be­such zu un­ter­las­sen.

      Da­nach traf es mich wie ein Blitz aus hei­te­rem Him­mel, als mich ein Schrei­ben der Ge­fäng­nis­ver­wal­tung mit we­ni­gen dür­ren Wor­ten da­hin un­ter­rich­te­te, dass mein An­ge­bot ab­ge­lehnt und dass die Lie­fe­run­gen ei­ner an­de­ren Fir­ma zu­ge­schla­gen wor­den sei­en. Mein ers­ter Ge­dan­ke war der: dass nur Mag­da nichts da­von er­fährt! Dann nahm ich mei­nen Hut und eil­te zu dem Obe­rin­spek­tor, jetzt den Be­such zu ma­chen, der drei Wo­chen frü­her sinn­voll ge­we­sen wäre.

      Ich wur­de höf­lich, aber kühl auf­ge­nom­men. Der Obe­rin­spek­tor be­dau­er­te, dass die alte Ge­schäfts­ver­bin­dung nun un­ter­bro­chen sei. Er habe aber gar nicht an­ders han­deln kön­nen, da ein Teil der von mir ge­nann­ten Prei­se längst über­holt ge­we­sen sei, mal nach der hö­he­ren, mal nach der nied­ri­ge­ren Sei­te hin. Im Gan­zen glei­che es sich wohl etwa aus, aber mein An­ge­bot habe nun eben auf die maß­ge­ben­den Her­ren – ich möge sei­ne Of­fen­heit ver­zei­hen – ein­fach einen schlech­ten Ein­druck ge­macht, als sei es mei­ner Fir­ma ganz gleich­gül­tig, ob sie den Zu­schlag er­hal­te oder nicht. Ich er­fuhr wei­ter, dass eine ganz jun­ge, mit al­len Mit­teln auf­stre­ben­de Fir­ma, die mir schon ei­ni­ge Male Är­ger be­rei­tet hat­te, auch die­ses Mal wie­der als Sie­ger aus dem Ren­nen her­vor­ge­gan­gen war. Zum Schluss drück­te der Obe­rin­spek­tor noch in al­ler Höf­lich­keit die Hoff­nung aus, in drei Jah­ren wie­der mit mei­ner Fir­ma in die alte Ver­bin­dung tre­ten zu kön­nen, und ich war ent­las­sen.

      Ich wuss­te, ich hat­te mir in dem Ge­fäng­nis­bü­ro nichts von mei­ner Be­stür­zung, ja mei­ner Verzweif­lung über die­sen Fehl­schlag an­mer­ken las­sen; ich hat­te mei­ne Er­kun­di­gung halb mit Höf­lich­keit, halb mit Neu­gier nach dem Na­men des glück­li­chen Ge­win­ners fri­siert. Als ich aber wie­der drau­ßen vor den schwe­ren Ei­sen­to­ren des Ge­fäng­nis­ses stand, als der letz­te Rie­gel ras­selnd hin­ter mir zu­ge­scho­ben war, sah ich in den hel­len Son­nen­schein die­ses wun­der­ba­ren Früh­lings­ta­ges wie je­mand, der so­eben aus ei­nem schwe­ren Traum er­wacht ist und noch nicht weiß, ob er nun wirk­lich wach ist oder ob er noch im­mer un­ter dem Alb­druck des Trau­mes seufzt. Ich seufz­te noch un­ter ihm, um­sonst hat­te das ei­ser­ne Git­ter­tor mich zur Frei­heit ent­las­sen, ich blieb ge­fan­gen in mei­nen Sor­gen und Mis­ser­fol­gen.

      Es war mir jetzt un­mög­lich, in die Stadt und auf mein Kon­tor zu ge­hen, vor al­lem aber muss­te ich mich erst sam­meln, ehe ich vor Mag­da trat – ich ging fort von der Stadt und den Men­schen, ich ging in die Fel­der und Wie­sen hin­aus, im­mer wei­ter fort, als könn­te ich mir und mei­nen Sor­gen ent­lau­fen. Ich habe aber an die­sem Tage nichts von dem fri­schen Sma­ragd­grün der jun­gen Saa­ten ge­se­hen, nicht habe ich das ei­li­ge Gluck­sen der Bä­che und die Trom­mel­wir­bel der Ler­chen in der blau­gol­de­nen Luft ge­hört: Ich war gren­zen­los al­lein mit mir und mei­nem Miss­ge­schick. Mein Herz war so über­voll da­von, dass nichts an­de­res mehr hin­ein­konn­te.

      Ich war mir ganz klar dar­über, dass dies für mein Ge­schäft nicht mehr ein klei­ner Fehl­schlag war, der mit ei­nem ach­sel­zu­cken­den Be­dau­ern hin­ge­nom­men wer­den konn­te: Die Lie­fe­rung der Nah­rungs­mit­tel für fünf­zehn­hun­dert Men­schen war selbst bei be­schei­de­nem Nut­zen ein so we­sent­li­cher Teil mei­nes Um­sat­zes, dass es nicht ohne ein­schnei­den­de Ver­än­de­run­gen mei­nes gan­zen Be­trie­bes hin­ge­nom­men wer­den konn­te. An einen Er­satz für die­sen Aus­fall war bei dem Man­gel ähn­li­cher Ge­le­gen­hei­ten in un­se­rer be­schei­de­nen Pro­vinz­stadt nicht zu den­ken. Äu­ßers­te Tat­kraft hät­te die Zahl der Ein­zel­ge­schäf­te um ei­ni­ge Dut­zend stei­gern kön­nen, aber ganz ab­ge­se­hen da­von, dass dies noch lan­ge kei­nen Er­satz für den Aus­fall be­deu­te­te, fühl­te ich mich ge­ra­de jetzt zu die­ser äu­ßers­ten Tat­kraft ganz un­fä­hig. Aus ir­gend­wel­chen Grün­den war ich schon seit fast ei­nem Jahr un­frisch. Im­mer mehr neig­te ich dazu, den Din­gen ih­ren Lauf zu las­sen und mich nicht zu sehr zu er­re­gen. Ich war ru­he­be­dürf­tig – warum, weiß ich nicht. Vi­el­leicht wur­de ich früh alt.

      Es war mir klar, dass ich min­des­tens zwei An­ge­stell­te wür­de ent­las­sen müs­sen, aber auch das be­rühr­te mich nicht ein­mal so sehr, ob­wohl ich wuss­te, wie sehr dar­über ge­schwätzt wer­den wür­de. Nicht das Ge­schäft be­küm­mer­te mich im Au­gen­blick, son­dern Mag­da. Im­mer wie­der war mein Haupt­ge­dan­ke, mei­ne Haupt­sor­ge: dass bloß Mag­da nichts da­von er­fährt! Wohl sag­te ich mir, dass ich auf die Dau­er die Ent­las­sung von zwei An­ge­stell­ten und den Ver­lust der Lie­fe­run­gen über­haupt nicht vor ihr ver­ber­gen konn­te. Aber ich log mir vor, dass al­les