Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Men­schen, einen Be­trü­ger an sei­ner Frau macht, der den Bu­sen sei­nes Haus­mäd­chens mit be­frie­dig­ter Lüs­tern­heit be­trach­tet! Der Al­ko­hol kann es nicht sein, ich trin­ke ja erst seit heu­te Schnaps, und die Schlaff­heit liegt schon so lan­ge über mir. Was ist es nur?‹

      Ich riet hin und her. Ich dach­te dar­an, dass ich so­eben die Vier­zig über­schrit­ten hat­te; ich hat­te ein­mal et­was von den »Wech­sel­jah­ren des Man­nes« re­den hö­ren – aber ich wuss­te von kei­nem Mann mei­ner Be­kannt­schaft, der beim Über­schrei­ten der Vier­zig sich so ver­än­dert hat­te wie ich mich. Dann fiel mir mein lieb­lo­ses Da­sein ein. Ich hat­te im­mer nach Aner­ken­nung und Lie­be ge­dürs­tet, in al­ler ge­bo­te­nen Heim­lich­keit na­tür­lich, und ich hat­te sie in ei­nem rei­chen Maße ge­fun­den, so­wohl bei Mag­da wie bei mei­nen Mit­bür­gern. Und nun hat­te ich sie all­mäh­lich ver­lo­ren. Ich wuss­te selbst nicht, wie das al­les ge­kom­men war. Hat­te ich die­se Lie­be und die­se Aner­ken­nung ver­lo­ren, weil ich schlaff ge­wor­den war, oder war ich schlaff ge­wor­den, weil mir die­se Auf­mun­te­run­gen ge­fehlt hat­ten? Ich fand auf alle die­se Fra­gen kei­ne Ant­wort: Ich war es nicht ge­wohnt, über mich nach­zu­den­ken.

      Ich ging im­mer schnel­ler, ich woll­te end­lich dort­hin kom­men, wo es Frie­den vor die­sen quä­len­den Fra­gen gab. End­lich stand ich wie­der vor mei­nem Ziel, vor dem­sel­ben Dorf­gast­haus, das ich auch an die­sem ver­häng­nis­vol­len Vor­mit­tag auf­ge­sucht hat­te; ich sah durch die Fens­ter der Wirts­stu­be nach je­nem Mäd­chen mit den blas­sen Au­gen aus, das mein Man­nes­tum nach ei­nem scham­lo­sen Blick so ge­ring ein­ge­schätzt hat­te. Ich sah es sit­zen un­ter dem trü­ben Schein ei­ner ein­zi­gen klei­nen Glüh­bir­ne, mit ir­gend­ei­ner Nä­he­rei be­schäf­tigt. Ich sah es lan­ge an, ich zö­ger­te, und ich frag­te mich, warum ich ge­ra­de es auf­ge­sucht hat­te, in ei­nem Ge­fühl schmer­zen­der, wol­lus­t­er­füll­ter Selbs­t­er­nied­ri­gung. Und auch auf die­se Fra­ge fand ich kei­ne Ant­wort.

      Aber ich war all die­ses Fra­gens müde, ich lief fast den Plat­ten­weg zum Gast­hof hin­auf, tas­te­te im dunklen Flur nach der Klin­ke, trat rasch ein, rief mit ver­stell­ter Mun­ter­keit: »Da bin ich, mein schö­nes Kind!« und warf mich in einen Korb­ses­sel ne­ben sie. All das, was ich eben ge­tan hat­te, glich so we­nig dem, was ich sonst zu tun pfleg­te, wich so sehr von mei­ner frü­he­ren Ge­setzt­heit, mei­nem ge­mes­se­nen Be­neh­men ab, dass ich mir selbst mit ei­nem un­ver­hoh­le­nen Stau­nen zu­schau­te, ja mit ei­ner fast ängst­li­chen Be­tre­ten­heit, wie man viel­leicht ei­nem Schau­spie­ler zu­schaut, der eine sehr ge­wag­te Rol­le über­nom­men hat, von der ganz und gar nicht si­cher ist, dass er sie auch über­zeu­gend zu Ende spie­len kann.

      Das Mäd­chen sah von sei­ner Nä­he­rei auf, einen Au­gen­blick wa­ren die hel­len Au­gen auf mich ge­rich­tet, die Spit­ze ih­rer Zun­ge er­schi­en rasch im Mund­win­kel. »Ach, Sie sind es!«, sag­te es dann bloß, und in die­sen vier Wört­chen lag wie­der­um ihr Ur­teil über mei­ne Per­son.

      »Ja, ich bin es, mei­ne Hol­de!«, sag­te ich ei­lig mit je­ner mir so frem­den Zun­gen­ge­läu­fig­keit und An­ma­ßung. »Und ich möch­te ger­ne wie­der eins oder zwei oder auch fünf Ih­rer so vor­züg­li­chen Stäng­chen trin­ken, und wenn Sie es mö­gen, trin­ken Sie mit mir.«

      »Ich trin­ke nie Schnaps«, sag­te das Mäd­chen mit küh­ler Ab­wehr, stand aber auf, ging an die The­ke, hol­te ein klei­nes Glas und eine Fla­sche und schenk­te mir am Tisch ein. Sie setz­te sich und stell­te die Fla­sche auf den Bo­den ne­ben sich. »Üb­ri­gens«, sag­te sie dann, ihre Nä­he­rei wie­der auf­neh­mend, »schlie­ßen wir in ei­ner Vier­tel­stun­de.«

      »Umso schnel­ler wer­de ich trin­ken«, sag­te ich, setz­te das Glas an und trank es aus. »Wenn Sie aber kei­nen Schnaps trin­ken«, fuhr ich fort, »so will ich auch gern eine Fla­sche Wein oder auch Sekt, wenn es so et­was hier gibt, für Sie be­zah­len. Es soll mir nicht dar­auf an­kom­men.«

      Sie hat­te un­ter­des mein Glas wie­der ge­füllt, und wie­der leer­te ich es auf einen Zug. Schon hat­te ich al­les Ver­gan­ge­ne und vor mir Lie­gen­de ver­ges­sen, ich leb­te nur die­ser Mi­nu­te, die­sem sprö­den und doch wis­sen­den Mäd­chen, das mich mit so of­fen­kun­di­ger Ver­ach­tung be­han­del­te.

      »Sekt ha­ben wir schon«, sag­te sie, »und ich trin­ke ihn auch ger­ne. Ich ma­che Sie aber dar­auf auf­merk­sam, dass ich mich we­der be­trin­ken wer­de noch we­gen ei­ner Fla­sche Sekt ins Bett brin­gen las­se.« Jetzt sah sie mich wie­der an, mit ei­nem vol­len scham­lo­sen Blick be­glei­te­te sie ihre scham­lo­sen Wor­te.

      Ich muss­te mei­ne Rol­le wei­ter­spie­len. »Wer denkt an so et­was, mei­ne Hüb­sche?«, rief ich un­be­küm­mert. »Ho­len Sie sich Ihren Sekt. Sie sol­len ihn un­be­läs­tigt in mei­ner Ge­gen­wart aus­trin­ken dür­fen. Sie sind«, sag­te ich stär­ker, nach­dem ich wie­der ge­trun­ken hat­te, »für mich wie ein En­gel von ei­nem an­de­ren Stern, ein bö­ser En­gel, den mir mein Schick­sal in den Weg ge­sandt hat. Es ge­nügt mir, Sie an­zu­schau­en.«

      »An­schau­en kos­tet nichts«, sag­te sie mit ei­nem kur­z­en Auf­la­chen, das böse klang. »Sie sind mir ein selt­sa­mer Hei­li­ger, aber ich den­ke, ich er­fah­re noch heu­te Abend, warum Sie so – auf­ge­regt sind.« Da­mit schenk­te sie mir wie­der ein und stand auf, den Sekt zu ho­len.

      Dies­mal blieb sie län­ger fort. Sie zog die Vor­hän­ge vor die Fens­ter, dann ging sie aus dem Haus, und ich hör­te sie die Lä­den, dann die Haus­tür schlie­ßen. Wäh­rend sie wie­der durch die Gast­stu­be ging, sag­te sie im Vor­über­ge­hen zu mir: »Ich habe schon ge­schlos­sen, es kommt doch kei­ner mehr. Und die Wirts­leu­te lie­gen auch schon im Bett.« Dies sag­te sie im Vor­über­ge­hen, blieb dann ste­hen und sag­te mit spöt­ti­scher Be­to­nung: »Aber des­we­gen brau­chen Sie sich kei­ne Hoff­nun­gen zu ma­chen!«

      Ehe ich noch ant­wor­ten konn­te, war sie wie­der ge­gan­gen. Ich nutz­te die Zeit ih­rer Ab­we­sen­heit, mir ganz schnell zwei, drei Glä­ser hin­ter­ein­an­der aus der Fla­sche ein­zu­schen­ken.

      Dann kam sie zu­rück, mit ei­ner gold­ge­köpf­ten Fla­sche in der Hand. Sie stell­te ein Spitz­glas vor sich auf den Tisch, lös­te den Draht ge­schickt mit ei­ni­gen Bie­gun­gen und dreh­te den Kor­ken aus der Fla­sche, ohne es knal­len zu las­sen. Der wei­ße Schaum troff über den Rand, sie goss rasch ein, war­te­te einen Au­gen­blick und goss wie­der ein. Dann hob sie das Glas zum Mund. »Ich trin­ke nicht auf Ihr Wohl«, sag­te sie, »denn dann möch­ten Sie mit mir an­sto­ßen, und für den Au­gen­blick ha­ben Sie ge­nug ge­trun­ken.«

      Ich wi­der­sprach ihr nicht. Mein gan­zer Kör­per war tat­säch­lich so von Trun­ken­heit er­füllt, dass sie wie ein schwär­me­n­des Bie­nen­volk in ihm zu sum­men schi­en: Kei­ne Stel­le war frei von ihr.

      Sie setz­te das Glas ab, sah mich mit ein­ge­knif­fe­nen Au­gen an und frag­te spöt­tisch: »Nun, wie viel Schnäp­se ha­ben Sie sich in mei­ner Ab­we­sen­heit ein­ge­schenkt? Fünf? Sechs?«

      »Nur drei!«, ant­wor­te­te ich und lach­te. Ich kam über­haupt nicht auf die Idee, mich zu schä­men, vor die­sem Mäd­chen ver­gin­gen ei­nem sol­che Ge­füh­le voll­stän­dig. »Wie heißt du üb­ri­gens?«

      »Willst du öf­ter kom­men?«, frag­te sie da­ge­gen.

      »Vi­el­leicht«, ant­wor­te­te ich et­was ver­wirrt. »Wie­so?«

      »Wozu