Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Kör­per schmie­rig zu sein. Ich hät­te zu­erst ins Ba­de­zim­mer ge­hen müs­sen, frü­her hät­te ich mich nie so ge­hen las­sen.

      »Wo ist mei­ne Frau, Else?«, fra­ge ich.

      »Die gnä­di­ge Frau ist in die Stadt ge­gan­gen«, ant­wor­tet Else, mit ei­nem kur­z­en, fast ängst­li­chen Auf­bli­cken zu mir.

      »Aber es ist Abend­brot­zeit, Else!«, sage ich vor­wurfs­voll, ob­wohl ich nicht die ge­rings­te Nei­gung habe, jetzt ein Abendes­sen ein­zu­neh­men.

      Else zuckt erst die Ach­seln, dann sagt sie, wie­der mit ei­nem ra­schen Auf­blick: »Es ist vom Ge­schäft an­ge­ru­fen wor­den; ich glau­be, Ihre Frau ist ins Ge­schäft ge­gan­gen …«

      Ich schlu­cke müh­sam, ich füh­le, wie mein Mund tro­cken ge­wor­den ist. »Ins Ge­schäft?«, mur­me­le ich. »O du lie­ber Gott! Was will denn mei­ne Frau im Ge­schäft, Else?«

      Sie zuckt die Ach­seln. »Ich weiß doch nicht, Herr Som­mer«, sagt sie, »die gnä­di­ge Frau hat mir nichts ge­sagt.« Sie be­sinnt sich, dann setzt sie hin­zu: »Die ha­ben gleich nach drei an­ge­ru­fen, und seit­dem ist Ihre Frau fort …«

      Über vier Stun­den ist Mag­da also schon im Ge­schäft – ich bin ver­lo­ren. Wie­so ich ver­lo­ren bin, weiß ich nicht, aber dass ich’s bin, das weiß ich. Ich wer­de schwach in den Kni­en, ich stol­pe­re ein paar Schrit­te vor­wärts und las­se mich schwer auf einen Kü­chen­stuhl fal­len. Den Kopf wer­fe ich auf den Kü­chen­tisch. »Es ist aus und vor­bei, Else«, stöh­ne ich, »ich bin ver­lo­ren. Ach, Else …«

      Ich höre, wie sie mit ei­nem er­schro­cke­nen Laut das Plätt­ei­sen auf­setzt, dann kommt sie zu mir ge­gan­gen und legt die Hand auf mei­ne Schul­ter. »Was ist denn, Herr Som­mer?«, fragt sie. »Ist Ih­nen nicht gut?«

      Ich sehe sie nicht, ich hebe das Ge­sicht nicht aus dem Schutz mei­nes Ar­mes, ich schä­me mich vor die­sem jun­gen Ding mei­ner her­vor­quel­len­den Trä­nen. Es ist ja al­les aus und vor­bei, al­les ver­lo­ren, Fir­ma, Ehe, Mag­da – ach, hät­te ich nur heu­te Mit­tag nicht auch noch den Rot­wein aus­ge­trun­ken, da­von ist erst al­les so schlimm ge­wor­den, ohne das wäre Mag­da nie ins Ge­schäft ge­gan­gen. (Flüch­ti­ger Ne­ben­ge­dan­ke: Das mit der lee­ren Rot­wein­fla­sche muss ich auch noch in Ord­nung brin­gen!)

      Else schüt­telt mich leicht an der Schul­ter. »Herr Som­mer«, sagt sie, »las­sen Sie sich doch nicht so ge­hen! Le­gen Sie sich noch einen Au­gen­blick hin, und ich ma­che Ih­nen un­ter­des so­fort Abendes­sen.«

      Ich schüt­te­le den Kopf. »Ich will kein Abendes­sen, Else! Mei­ne Frau müss­te jetzt hier sein, es ist doch Zeit …«

      »Oder«, sagt Else über­re­dend, »wol­len Sie hier bei mir in der Kü­che ein biss­chen es­sen, Herr Som­mer?« Selbst et­was be­denk­lich: »Wo Ihre Frau doch fort ist …«

      Die­ser ganz un­er­hör­te Vor­schlag hat ge­ra­de durch sei­ne Neu­heit et­was Be­ste­chen­des. Hier in der Kü­che bei Else es­sen – was Mag­da wohl dazu sa­gen wür­de? Ich hebe den Kopf und sehe Else zum ers­ten Mal rich­tig an. Ich habe sie noch nie so an­ge­se­hen, für mich war sie im­mer nur ein dunk­ler Schat­ten mei­ner Frau in den hin­te­ren Re­gio­nen des Hau­ses. Jetzt sehe ich, dass Else ein recht net­tes dun­kel­haa­ri­ges Mäd­chen von etwa sieb­zehn Jah­ren und et­was ro­bus­ter Schön­heit ist. Sie hat un­ter ei­ner hel­len Blu­se eine vol­le Brust, und bei dem Ge­dan­ken, wie jung die­se Brust ist, füh­le ich eine Wel­le von Hit­ze über mich lau­fen.

      Aber dann be­sin­ne ich mich. All dies ist un­mög­lich, schon mein Sich-vor-Else-Ge­hen­las­sen eben war ganz un­mög­lich. »Nein, Else«, sage ich und ste­he auf. »Es ist sehr nett von dir, dass du mich ein we­nig trös­ten willst, aber ich gehe jetzt bes­ser auch ins Ge­schäft. Soll­te ich mei­ne Frau ver­feh­len, sage ihr bit­te, ich sei auch ins Ge­schäft ge­gan­gen.« Ich wen­de mich zum Ge­hen.

      Plötz­lich wird es mir schwer, aus der Kü­che und von die­sem freund­li­chen Mäd­chen fort­zu­ge­hen. Ich ste­he da noch einen Au­gen­blick un­ter der Tür und sehe sie an. Es fällt mir auf, wie blass ihr Ge­sicht ist und wie gut die dunklen, hoch­ge­schwun­ge­nen Au­gen­brau­en dazu pas­sen. »Ich habe vie­le Sor­gen, Else«, sage ich un­ver­mit­telt, »und ich habe kei­nen, Else, der mir bei­steht.« Ich wie­der­ho­le mit Nach­druck: »Kei­nen und kei­ne, Else, du ver­stehst mich?!«

      »Ja, Herr Som­mer«, ant­wor­tet sie lei­se.

      »Ich dan­ke dir, Else, dass du so nett zu mir warst«, sage ich noch und gehe. Erst als ich mich im Ba­de­zim­mer zu­recht­ma­che, fällt mir ein, dass ich so­eben Mag­da ver­ra­ten habe. Ver­ra­ten und be­tro­gen. Be­tro­gen und be­lo­gen. Aber gleich zu­cke ich die Ach­seln: Recht so! Im­mer tiefer hin­ab. Im­mer schnel­ler hin­ein. Nun gibt es doch kein Hal­ten mehr!

      6

      Vor­sich­tig ging ich den Weg zu mei­nem Ge­schäft, vor­sich­tig, denn ich woll­te es um je­den Preis ver­mei­den, Mag­da auf der Stra­ße zu tref­fen. Dann stand ich auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te im Schat­ten ei­ner Ein­fahrt und sah zu den fünf Par­ter­re­fens­tern mei­ner Fir­ma hin­über. Zwei, mein Chef­bü­ro, wa­ren er­leuch­tet, und manch­mal sah ich auf den Milchglas­schei­ben die Schat­ten­ris­se zwei­er Ge­stal­ten: Mag­das und die mei­nes Buch­hal­ters Hinz­pe­ter. ›Sie ma­chen Bilanz!‹, sag­te ich mir mit ei­nem tie­fen Er­schre­cken, und doch war die­sem Er­schre­cken ein Ge­fühl der Er­leich­te­rung bei­ge­mischt, weil ich nun die Füh­rung des Ge­schäf­tes in den tat­kräf­ti­gen Hän­den Mag­das wuss­te. Das sah ihr so recht ähn­lich, so­fort nach dem Er­fah­ren der schlim­men Nach­rich­ten sich vol­le Klar­heit zu ver­schaf­fen, die Bilanz zu zie­hen!

      Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer wand­te ich mich ab und ging durch die Stadt hin­durch, aus ihr hin­aus, aber nicht mei­nem Heim zu. Was soll­te ich auf dem Büro, was in mei­nem Heim? Die Vor­wür­fe noch auf­su­chen, die mir not­wen­dig ge­macht wer­den muss­ten, eine Recht­fer­ti­gung ver­su­chen, dort, wo nichts zu recht­fer­ti­gen war? Nichts von al­le­dem – und in­dem ich wie­der in das lang­sam im­mer dunk­ler wer­den­de Land hin­aus­wan­der­te, wur­de mir mit schmerz­haf­ter Ge­wiss­heit klar, dass ich aus­ge­spielt hat­te. Ich hat­te, end­gül­tig, mei­ne Stel­lung und mei­nen Sinn im Le­ben ver­lo­ren, und ich fühl­te nicht die Kraft in mir, eine neue zu su­chen oder gar um die ver­lo­re­ne zu kämp­fen. Was soll­te ich noch? Wozu leb­te ich noch? Da ging ich da­hin, wan­der­te fort von Kon­tor, Frau, Va­ter­stadt, ließ das al­les hin­ter mir – aber ich muss­te doch ein­mal wie­der heim­keh­ren, nicht wahr? Ich muss­te mich Mag­da ge­gen­über­stel­len, ihre Vor­wür­fe an­hö­ren, mich mit Recht Lüg­ner und Be­trü­ger schel­ten las­sen, muss­te zu­ge­ben, dass ich ver­sagt hat­te, auf eine schmäh­li­che und fei­ge Art ver­sagt!

      Uner­träg­lich war die­ser Ge­dan­ke, und ich fing an, mit dem Ge­dan­ken zu spie­len, gar nicht wie­der heim­zu­keh­ren, in die wei­te Welt hin­aus­zu­ge­hen, ir­gend­wo im Dun­kel un­ter­zut­au­chen, in ei­nem Dun­kel, in dem man auch un­ter­ge­hen konn­te – ohne Nach­richt, ohne letz­ten Ruf. Und wäh­rend ich mir das al­les – in leich­ter Rüh­rung über mich selbst – aus­mal­te, wuss­te ich doch, dass ich mir et­was vor­log, nie wür­de ich den Mut ha­ben, ohne Zu­re­den, ohne die Ge­bor­gen­heit des hei­mi­schen Her­des zu le­ben. Nie wür­de ich auf das ge­wohn­te wei­che Bett ver­zich­ten kön­nen, die Ord­nung des Heims, die pünkt­li­chen nahr­haf­ten Mahl­zei­ten! Ich wür­de heim­keh­ren