Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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mir wie­der im Ge­schäft zu hel­fen. Das ver­söhnt sie mit mei­nem Mis­ser­folg und bringt mir und dem Be­trieb nur Nut­zen. Ich bin wirk­lich nicht sehr frisch und kann eine Hilfs­kraft gut ge­brau­chen …‹

      Aber die­se hel­len Au­gen­bli­cke gin­gen schnell vor­über. Ich hat­te stets so viel auf die Ach­tung der Leu­te und vor al­lem auf die Mag­das ge­ge­ben. Ich hat­te stets pein­lich dar­auf ge­se­hen, dass ich als der Chef re­spek­tiert wur­de. Ich konn­te es auch jetzt, ge­ra­de jetzt, nicht übers Herz brin­gen, von die­ser Wür­de ein Jota ab­zu­las­sen und mich ge­ra­de vor Mag­da zu de­mü­ti­gen. Nein, ich war ent­schlos­sen, die Lage selbst zu meis­tern, kom­me, was wol­le. Ich moch­te mir auch nicht von ei­ner Frau hel­fen las­sen, mit der ich mich fast täg­lich zank­te. Es war klar vor­aus­zu­se­hen, dass sich die­se Zän­ke­rei­en bis ins Kon­tor fort­set­zen wür­den – sie wür­de dort auf ih­rem Wil­len be­har­ren, ich wür­de wi­der­spre­chen, sie wür­de mir mei­ne Mis­ser­fol­ge vor­wer­fen – o nein, un­mög­lich!

      Wie­der stampf­te ich mit dem Fuß auf, aber dies­mal in den Staub des We­ges. Ich sah hoch. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, wo­hin mich mei­ne Füße ge­tra­gen hat­ten, so sehr war ich in mei­ne Sor­gen ver­spon­nen ge­we­sen. Ich stand in ei­nem Dorf, nicht über­mä­ßig weit von mei­ner Va­ter­stadt ent­fernt, ei­nem Dorf, das we­gen ei­ni­ger rei­zen­der Bir­ken­wäld­chen und ei­nes Sees ein be­lieb­ter Früh­lings­aus­flugs­ort mei­ner Mit­bür­ger ist. Aber an die­sem Wo­chen­tag­vor­mit­tag gab es hier noch kei­ne Aus­flüg­ler, da­für ist man bei uns da­heim zu flei­ßig. Ich stand ge­ra­de vor dem Gast­hof, und ich spür­te, dass ich Durst hat­te.

      Ich trat in die nied­ri­ge, wei­te, aber dunkle Schank­stu­be ein. Ich hat­te sie im­mer nur er­füllt von vie­len Städ­tern ge­se­hen, die früh­lings­haft hel­len Klei­der der Frau­en hat­ten den Raum hel­ler ge­macht und ihm trotz sei­ner Nied­rig­keit et­was Be­schwing­tes ge­ge­ben. Denn wenn die Städ­ter hier wa­ren, hat­ten die Fens­ter of­fen­ge­stan­den, auf den Ti­schen la­gen dann bun­te De­cken, und über­all gab es in ho­hen Va­sen hel­le Sträu­ße von Bir­ken. Jetzt war der Raum dun­kel, auf den Ti­schen lag gelb­lich-bräun­li­ches Wachs­tuch, es roch sti­ckig, denn die Fens­ter wa­ren fest ver­schlos­sen.

      Hin­ter der The­ke stand ein jun­ges Mäd­chen, des­sen Haar schlecht zu­recht­ge­macht und des­sen Schür­ze schmut­zig war, es flüs­ter­te eif­rig mit ei­nem jun­gen Kerl, der nach sei­ner kalk­be­spritz­ten wei­ßen Klei­dung ein Mau­rer zu sein schi­en.

      Mein ers­ter Im­puls war der, um­zu­keh­ren. Aber mein Durst und mehr noch das Ge­fühl, so­fort wie­der mei­nen Sor­gen aus­ge­lie­fert zu sein, lie­ßen mich statt­des­sen an die The­ke tre­ten. »Ge­ben Sie mir was zu trin­ken, ir­gend­was, das den Durst löscht«, sag­te ich.

      Ohne auf­zu­se­hen, ließ das Mäd­chen Bier in ein Glas lau­fen, ich sah zu, wie der Schaum über den Rand troff. Das Mäd­chen schloss den Bier­hahn, war­te­te einen Au­gen­blick, bis der Schaum sich ge­setzt hat­te, und ließ noch einen Schuss Bier nach­lau­fen. Dann schob es mir, wie­der­um ohne ein Wort, das Glas über den stump­fen Zink zu. Es mach­te sich wie­der an sein Flüs­tern mit dem Mau­rer­bur­schen, bis­her hat­te es mich noch nicht mit ei­nem Blick an­ge­se­hen.

      Ich hob das Glas zum Mun­de und trank es be­däch­tig, Schluck für Schluck, ohne ein­mal ab­zu­set­zen, leer. Es schmeck­te frisch, pri­ckelnd und leicht bit­ter, und in­dem es mei­nen Mund pas­sier­te, schi­en es in ihm et­was von ei­ner Hel­le und Leich­tig­keit zu hin­ter­las­sen, die vor­her nicht in ihm ge­we­sen war.

      ›Ge­ben Sie mir noch ein­mal von dem‹, woll­te ich sa­gen, be­sann mich aber an­ders. Ich hat­te vor dem jun­gen Men­schen ein hel­les, kur­z­es, ge­drun­ge­nes Glas ste­hen se­hen, das man bei uns eine »Stan­ge« nennt und in dem ge­wöhn­lich Korn aus­ge­schenkt wird. »Ich möch­te auch solch eine Stan­ge«, sag­te ich plötz­lich. Wie ich, der ich mein Leb­tag kei­nen Schnaps ge­trun­ken, der ich im­mer eine tie­fe Ab­nei­gung ge­gen den Ge­ruch von Schnaps ge­habt habe, dazu kam, weiß ich nicht zu sa­gen. In je­nen Ta­gen än­der­ten sich alle Ge­wohn­hei­ten mei­nes Le­bens, ge­heim­nis­vol­len Ein­flüs­sen war ich aus­ge­lie­fert, und ge­nom­men war mir die Kraft, ih­nen zu wi­der­ste­hen.

      Zum ers­ten Male sah mich jetzt das Mäd­chen an. Lang­sam hob es die et­was kör­ni­gen Li­der und blick­te mich mit hel­len, wis­sen­den Au­gen an. »Mit Schnaps?«, frag­te es.

      »Mit Schnaps«, sag­te ich. Das Mäd­chen griff nach ei­ner Fla­sche, und ich über­leg­te mir, ob mich je in mei­nem Le­ben ein weib­li­ches We­sen schon ein­mal so scham­los wis­send an­ge­schaut hät­te. Die­ser Blick schi­en bis auf den Grund mei­nes Man­nes­tums drin­gen zu wol­len, als möch­te er er­fah­ren, was ich als Mann gel­te; ich emp­fand ihn wie et­was Kör­per­li­ches, et­was schmerz­lich süß Be­lei­di­gen­des, als sei ich nackt aus­ge­zo­gen wor­den von die­sen Au­gen.

      Das Glas war ge­füllt, es wur­de zu mir über den Zink ge­scho­ben, die Li­der hat­ten sich wie­der ge­senkt, das Mäd­chen wand­te sich an den Bur­schen; mein Ur­teil war ge­spro­chen. Ich hob das Glas, zö­ger­te – und schüt­te­te den In­halt in ei­nem plötz­li­chen Ent­schluss in die Mund­höh­le. Es brann­te atem­rau­bend, dann ver­schluck­te ich mich, zwang die Flüs­sig­keit aber doch die Keh­le hin­un­ter. Ich fühl­te sie bren­nend und bei­zend hin­un­ter­rin­nen – und in mei­nem Ma­gen ent­stand ein plötz­li­ches Ge­fühl von Wär­me, ei­ner wohl­tu­en­den, hei­te­ren Wär­me.

      Dann muss­te ich mich am gan­zen Lei­be schüt­teln. Der Mau­rer sag­te halb­laut: »Die sich so schüt­teln, das sind die Schlimms­ten«, und das Mäd­chen lach­te kurz. Ich leg­te eine Mark auf den Zink und ver­ließ ohne ein wei­te­res Wort die Gast­stät­te.

      Der Früh­lings­tag emp­fing mich mit son­ni­ger Wär­me und leich­tem, sei­den­fei­nem Wind, aber als ein Ver­wan­del­ter kehr­te ich in ihn zu­rück. Aus der Wär­me in mei­nem Ma­gen war eine Hel­lig­keit in mei­nen Kopf em­por­ge­stie­gen, mein Herz poch­te frei und stark. Jetzt sah ich das Sma­ragd­grün der jun­gen Saa­ten, jetzt hör­te ich die Ler­chen­wir­bel im Blau. Mei­ne Sor­gen wa­ren von mir ab­ge­fal­len. ›Es wird sich al­les schon ein­mal re­geln‹, sag­te ich mir hei­ter und schlug den Weg heim­wärts ein. ›Wa­rum sich jetzt schon drum pla­gen?‹ Ehe ich in die Stadt kam, kehr­te ich noch in zwei wei­te­ren Gast­häu­sern ein und trank in je­dem noch solch ein Stäng­chen, um die rasch ver­flie­gen­de Wir­kung wie­der­zu­ho­len und zu ver­stär­ken. Mit ei­nem leich­ten, aber nicht un­an­ge­neh­men Be­nom­men­heits­ge­fühl lang­te ich zu Hau­se ge­ra­de zur rech­ten Zeit für das Mit­ta­ges­sen an.

      4

      Ich war mir klar dar­über, dass ich vor mei­ner Frau nun nicht nur den Fehl­schlag in den Le­bens­mit­tel­lie­fe­run­gen, son­dern auch mein Trin­ken ver­heim­li­chen muss­te. Aber ich fühl­te mich im Au­gen­blick der gan­zen Welt so über­le­gen, dass ich über­zeugt war, dies wür­de mir nicht die ge­rings­te Schwie­rig­keit ma­chen. Ich ver­weil­te län­ger als sonst im Ba­de­zim­mer und wusch mich nicht nur be­son­ders sorg­fäl­tig, son­dern putz­te mir auch lan­ge und gründ­lich die Zäh­ne, um je­den Al­ko­hol­ge­ruch zu ver­trei­ben. Ich wuss­te noch nicht, wel­che Hal­tung ich Mag­da ge­gen­über ein­neh­men soll­te, aber ein dunkles Ge­fühl warn­te mich da­vor, zu ge­sprä­chig zu sein – wo­für ich eine star­ke Nei­gung ver­spür­te –, bes­ser wür­de viel­leicht