Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Geist­li­che war kaum ge­gan­gen, da trat ein klei­ner, un­ter­setz­ter Mann in ei­nem hell­grau­en An­zug in die Zel­le. Er warf einen ra­schen, scharf prü­fen­den, klu­gen Blick auf Quan­gels Ge­sicht, ging dann auf ihn zu und sag­te: »Dr. Brandt, Ge­fäng­nis­arzt.« Er hat­te da­bei Quan­gels Hand ge­schüt­telt und be­hielt sie nun in der sei­nen, wäh­rend er sag­te: »Darf ich Ih­nen den Puls füh­len?«

      »Im­mer zu!«, sag­te Quan­gel.

      Der Arzt zähl­te lang­sam. Dann ließ er die Hand Quan­gels los und sag­te bei­fäl­lig: »Sehr gut. Aus­ge­zeich­net. Sie sind ein Mann.«

      Er warf einen ra­schen Blick zur Tür, die halb of­fen­ge­blie­ben war, und frag­te flüs­ternd: »Kann ich was für Sie tun? Was Be­täu­ben­des?«

      Quan­gel be­weg­te ver­nei­nend den Kopf. »Ich dan­ke schön, Herr Dok­tor. Es wird auch so ge­hen.«

      Sei­ne Zun­ge be­rühr­te die Am­pul­le. Er über­leg­te einen Au­gen­blick, ob er dem Arzt noch ir­gend­ei­nen Auf­trag an Anna ge­ben soll­te. Aber nein, die­ser Pas­tor wür­de ihr doch al­les er­zäh­len …

      »Sonst et­was?«, frag­te der Arzt flüs­ternd. Er hat­te Quan­gels Schwan­ken so­fort be­merkt. »Vi­el­leicht ein Brief zu be­stel­len?«

      »Ich habe hier kein Schreib­zeug – ach nein, ich will es auch las­sen. Ich dan­ke Ih­nen je­den­falls, Herr Dok­tor, wie­der ein Mensch mehr! Gott­lob sind auch in solch ei­nem Bau nicht alle schlecht.«

      Der Arzt nick­te trü­be, gab Quan­gel noch ein­mal die Hand, über­leg­te und sag­te rasch: »Ich kann Ih­nen nur sa­gen: Blei­ben Sie so mu­tig.«

      Und er ver­ließ rasch die Zel­le.

      Ein Auf­se­her trat ein, ge­folgt von ei­nem Ge­fan­ge­nen, der eine Schüs­sel und einen Tel­ler trug. In der Schüs­sel dampf­te hei­ßer Kaf­fee, auf dem Tel­ler la­gen mit But­ter be­stri­che­ne Bro­te. Da­ne­ben zwei Zi­ga­ret­ten, zwei Streich­höl­zer und ein Stück­chen Reib­flä­che.

      »So«, sag­te der Auf­se­her. »Sie se­hen, wir las­sen uns nicht lum­pen. Und al­les ohne Kar­ten!«

      Er lach­te, und der Kal­fak­tor lach­te pflicht­schul­digst mit. Es war zu mer­ken, dass die­ser »Witz« schon oft ge­macht wor­den war.

      In ei­ner plötz­li­chen, über­ra­schen­den Auf­wal­lung von Är­ger sag­te Quan­gel: »Neh­men Sie das Zeug wie­der raus! Ich brau­che eure Hen­kers­mahl­zeit nicht!«

      »Das soll mir kei­ner zwei­mal sa­gen!«, sag­te der Auf­se­her. »Üb­ri­gens ist der Kaf­fee bloß Mucke­fuck und die But­ter Mar­ga­ri­ne …«

      Und wie­der war Quan­gel al­lein. Er ord­ne­te sein Bett, zog die Be­zü­ge ab und leg­te sie ne­ben der Tür nie­der, klapp­te das Ge­stell an die Wand. Dann mach­te er sich dar­an, sich zu wa­schen.

      Er war noch da­bei, als ein Mann, ge­folgt von zwei Bur­schen, die Zel­le be­trat.

      »Die Wa­sche­rei spa­ren Sie sich man«, sag­te der Mann lär­mend. »Jetzt wer­den wir Sie erst­klas­sig ra­sie­ren und fri­sie­ren! Los, Jun­gens, macht ein biss­chen schnell, wir sind spät dran!« Und ent­schul­di­gend zu Quan­gel: »Ihr Vor­gän­ger hat uns zu sehr auf­ge­hal­ten. Man­che wol­len gar kei­ne Ver­nunft an­neh­men und be­grei­fen nicht, dass ich nichts än­dern kann. Ich bin näm­lich der Scharf­rich­ter von Ber­lin …«

      Er streck­te Quan­gel die Hand hin.

      »Nun, Sie wer­den se­hen, ich wer­de we­der trö­deln noch quä­len. Macht ihr kei­ne Schwie­rig­kei­ten, ma­che ich auch kei­ne. Ich sage im­mer zu mei­nen Jun­gens: ›Jun­gens‹, sage ich, ›wenn ei­ner sich un­ver­nünf­tig an­stellt und schmeißt sich hin und brüllt und schreit, so seid ihr auch un­ver­nünf­tig. Packt ihn an, wo ihr ihn zu fas­sen kriegt, und wenn ihr ihm die Ho­den raus­reißt!‹ Aber bei ver­nünf­ti­gen Leu­ten, wie du ei­ner bist, im­mer fein sach­te!«

      Wäh­rend er so im­mer wei­ter­re­de­te, war eine Haar­schnei­de­ma­schi­ne über Quan­gels Kopf hin und her ge­wan­dert, sein sämt­li­ches Kopf­haar lag auf dem Zel­len­bo­den. Der an­de­re Hen­kers­ge­hil­fe hat­te Sei­fe zu Schaum ge­schla­gen und ra­sier­te Quan­gels Bart. »So«, sag­te der Scharf­rich­ter be­frie­digt. »Sie­ben Mi­nu­ten! Wir ha­ben wie­der auf­ge­holt. Noch ein paar sol­che Ver­nünf­ti­ge, und wir sind pünkt­lich wie die Ei­sen­bahn.« Und bit­tend zu Quan­gel: »Sei so nett und feg dein Zeug sel­ber zu­sam­men. Du bist nicht dazu ver­pflich­tet, ver­stehst du, aber wir sind knapp mit der Zeit. Der Di­rek­tor und der An­klä­ger kön­nen je­den Au­gen­blick kom­men. Schmeiß die Haa­re nicht in den Kü­bel, ich leg dir hier ’ne Zei­tung hin: wick­le sie ein und lege sie ne­ben die Tür. Es ist ein klei­ner Ne­ben­ver­dienst, du ver­stehst?«

      »Was machst du denn mit mei­nen Haa­ren?«, frag­te Quan­gel neu­gie­rig.

      »Ver­kauf ich an einen Perücken­ma­cher. Perücken wer­den im­mer ge­braucht. Nicht nur für die Schau­spie­ler, auch so. Na, dann dank ich auch schön. Heil Hit­ler!«

      Auch die wa­ren ge­gan­gen, mun­te­re Bur­schen, konn­te man wohl sa­gen, sie ver­stan­den ihr Hand­werk, man konn­te nicht mit mehr See­len­ru­he Schwei­ne schlach­ten. Und doch ent­schied Quan­gel, dass die­se ro­hen, herz­lo­sen Bur­schen bes­ser zu er­tra­gen sei­en als der Pas­tor vor­hin. Dem Scharf­rich­ter hat­te er doch so­gar ohne Wei­te­res die Hand ge­ge­ben.

      Quan­gel hat­te ge­ra­de die Wün­sche des Scharf­rich­ters, die Zel­len­rei­ni­gung be­tref­fend, er­füllt, als schon wie­der die Tür ge­öff­net wur­de. Es tra­ten ein, be­glei­tet von ei­ni­gen Uni­for­mier­ten, ein di­cker Herr mit ro­tem Schnurr­bart und ei­nem fet­ten, blei­chen Ge­sicht – der Ge­fäng­nis­di­rek­tor, wie sich gleich her­aus­stell­te, und ein al­ter Be­kann­ter Quan­gels: der An­klä­ger aus der Haupt­ver­hand­lung, der wie ein Pin­scher kläff­te.

      Zwei Uni­for­mier­te pack­ten Quan­gel und ris­sen ihn roh ge­gen die Zel­len­wand zu­rück, wo sie ihn zwan­gen, Hal­tung ein­zu­neh­men. Dann stell­ten sie sich ne­ben ihn.

      »Otto Quan­gel«, schrie der eine.

      »Ach so!«, kläff­te der Pin­scher los. »An das Ge­sicht er­in­ne­re ich mich doch!« Er wand­te sich an den Di­rek­tor. »Dem habe ich sel­ber sein To­des­ur­teil ver­schafft!«, sag­te er stolz. »Ein ganz un­ver­schäm­ter Bur­sche das. Er dach­te, er könn­te dem Ge­richt und mir frech kom­men. Aber wir ha­ben’s dir ge­ge­ben, Bur­sche!«, kläff­te er, zu Quan­gel ge­wen­det, wei­ter. »Was, wir ha­ben’s dir ge­ge­ben! Wie ist dir nun? Nicht mehr ganz so frech, wie?«

      Ei­ner der Män­ner ne­ben ihm puff­te Quan­gel in die Sei­te. »Ant­wor­ten!«, flüs­ter­te er be­feh­lend.

      »Ach, leckt mich doch alle!«, sag­te Quan­gel ge­lang­weilt.

      »Wie? Was?« Der An­klä­ger tanz­te vor Er­re­gung von ei­nem Bein aufs an­de­re. »Herr Di­rek­tor, ich ver­lan­ge …«

      »Ach was!«, sag­te der Di­rek­tor, »las­sen Sie die Leu­te doch zu­frie­den! Sie se­hen doch, das ist ein ganz ru­hi­ger Mann! Nicht wahr, das sind Sie doch?«

      »Na­tür­lich!«, ant­wor­te­te Quan­gel. »Er soll mich nur zu­frie­den las­sen. Ich las­se ihn schon in Ruhe.«

      »Ich pro­tes­tie­re! Ich ver­lan­ge …!«, schrie der Pin­scher.

      »Was