Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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zu le­ben (und zu trin­ken), und was dann kam, wür­de sich auch fin­den. Ir­gend­wie wür­de ich schon durch­kom­men; ich bil­de­te mir näm­lich ein, dass ich die Aben­teu­er des heu­ti­gen Ta­ges mit vol­lem Er­folg be­stan­den hät­te, wo­bei ich die Be­su­che im War­te­saal und auf der Bank als Sie­ge zu mei­nen Guns­ten buch­te, wäh­rend ich die Nie­der­la­ge bei Po­la­kow­ski als un­ver­meid­ba­res Na­tur­er­eig­nis mit ge­las­se­nem Ach­sel­zu­cken hin­nahm.

      Ge­gen Mit­tag war ich an mei­nem Be­stim­mungs­ort (den ich nur ge­wählt hat­te, um et­wai­ge Nach­for­scher ir­re­zu­füh­ren) an­ge­langt. Es war ein klei­ner, noch we­nig be­kann­ter, aber sehr ge­pfleg­ter Luft­kur­ort. Ich aß in ei­nem Ho­tel am Was­ser grü­nen Aal mit ei­ner Dill­sau­ce und Gur­ken­sa­lat, wo­bei ich mir die Son­ne, ohne zu rücken, aufs Haupt schei­nen ließ, trank einen schö­nen, voll aus­ge­reif­ten Bur­gun­der und stell­te Be­trach­tun­gen dar­über an, ein wie be­hag­li­ches Le­ben ich doch jetzt als ein von den Ge­schäf­ten zu­rück­ge­zo­ge­ner Pri­vat­mann und hal­ber Jung­ge­sel­le füh­ren könn­te.

      Nach dem Es­sen bum­mel­te ich durch das Städt­chen, kauf­te eine Ak­ten­ta­sche, zwei bun­te sei­de­ne Py­ja­mas, wie ich sie nie so pa­pa­gei­en­haft be­ses­sen, raf­fi­nier­tes­tes Toi­let­ten­zeug, eine wohl­rie­chen­de Sei­fe und ein fran­zö­si­sches her­bes Par­füm, mit dem ich mich ver­suchs­wei­se gleich be­gie­ßen ließ – und scherz­te da­bei in ei­ner so welt­män­nisch über­le­ge­nen, lie­bens­wür­di­gen Art mit den jun­gen Ver­käu­fe­rin­nen, dass ich je­den­falls einen leb­haf­ten Re­spekt vor mei­nen bis­lang un­ge­nütz­ten Ta­len­ten als Her­zens­bre­cher und Schwe­re­nö­ter be­kam. Als lo­gi­sche Fol­ge­rung kauf­te ich mir so­fort da­nach in ei­ner Dro­ge­rie wie­der ein­mal wohl­rie­chen­de Mund­pil­len.

      Dann such­te ich das an­ge­se­hens­te Ho­tel am Plat­ze auf, das auch mit ei­ner Wein­hand­lung ver­bun­den war, um dort ei­ni­gen Schnaps zu kau­fen. Ich hat­te das Glück, den Be­sit­zer selbst an­zu­tref­fen, einen wohl­be­leib­ten, weiß­haa­ri­gen Mann, des­sen blü­hend ro­tes Ge­sicht von man­cher in stil­ler Be­hag­lich­keit ge­leer­ten Bur­gun­der­fla­sche Zeug­nis ab­leg­te. Er lä­chel­te ein we­nig über mei­nen pri­mi­ti­ven Korn­wunsch, emp­fahl und ver­kauf­te mir einen bern­stein­gel­ben säch­si­schen Korn und lenk­te dann mei­ne Auf­merk­sam­keit auf ein sehr hoch­pro­zen­ti­ges Schwarz­wäl­der Zwetsch­gen­was­ser, einen rich­ti­gen Holz­fäl­ler­schnaps bei ei­si­ger Win­ter­käl­te, wie er ihn nann­te.

      Er schenk­te mir ein Pro­be­gläs­chen ein, und ich muss ge­ste­hen, die­ser Pro­be­schluck be­geis­ter­te mich so, dass ich dem ers­ten Glas in ra­scher Fol­ge eine gan­ze Rei­he wei­te­rer fol­gen ließ. Dies war ge­ra­de das Rich­ti­ge für mich, eine Stei­ge­rung weit über mei­ne bis­he­ri­gen pri­mi­ti­ven Er­fah­run­gen hin­aus: Bren­nend und scharf und doch et­was von der Süße rei­fen Obs­tes in sich ber­gend. Ich kauf­te gleich fünf Fla­schen, ein hand­li­ches Pa­ket wur­de aus mei­nem Ein­kauf ge­macht, und so wan­der­te ich, nach­dem ich in ei­nem La­den noch einen be­son­ders kräf­ti­gen Kor­ken­zie­her er­stan­den hat­te, wohl­aus­ge­rüs­tet und in mun­ters­ter Stim­mung wie­der dem Bahn­hof zu.

      Wie­der reis­te ich und fuhr die­sel­be Stre­cke, die ich heu­te früh ge­kom­men war; ich fuhr wie­der mei­ner Va­ter­stadt zu. Eine Sta­ti­on vor­her aber stieg ich aus und mar­schier­te, schon fiel die Nacht ein, kaum eine hal­be Stun­de weit zu je­nem Land­g­ast­hof, in dem Eli­nor, die Kö­ni­gin des Al­ko­hols, wohn­te. Ver­ges­sen war die miss­glück­te Nacht in ih­rer Kam­mer, ver­ges­sen das be­schä­men­de Ge­la­ge, in dem mich vor den Au­gen der Ärz­te alle mei­ne Zech­kum­pa­ne ver­las­sen hat­ten, ver­ges­sen wa­ren die so bos­haft ins Auto hin­ein­ge­reich­ten Schu­he! Der Al­ko­hol hat kein Ge­dächt­nis, macht er zor­nig, so kann ein Wort, ein Gläs­chen schon die­sen Zorn wie­der aus­lö­schen – ich wuss­te nur, dass nach mei­nen Er­fah­run­gen mit Mag­da und Po­la­kow­ski jetzt Eli­nor mei­ne Zuf­lucht war. Bei ihr woll­te ich blei­ben, oder mit ihr woll­te ich rei­sen – das war al­les, was ich noch an Le­bens­glim­men hat­te, und es schi­en mir völ­lig ge­nug.

      22

      Ich war zu spät ge­kom­men. Vor den Fens­tern der Gast­stu­be la­gen schon die Lä­den, und kein Licht­schein drang hin­durch. Ich leg­te die Hand auf die Klin­ke, aber die Tür war ver­schlos­sen. Ei­nen Au­gen­blick stand ich über­le­gend. Dann ging ich lei­se um das Haus her­um in den Obst­gar­ten und sah zu Eli­nors Fens­ter em­por. Auch dort al­les dun­kel, aber das mach­te nichts. Ich hat­te alle Zeit, die Gott wer­den ließ, und wir wür­den uns schließ­lich auch im Dun­keln gut ver­stän­di­gen. Bes­ser! Bes­ser!

      Erst ein­mal setz­te ich mich ins Gras und fing an, mein Pa­ket zu öff­nen. So ein ge­schickt ver­pack­tes Pa­ket ist et­was sehr Gu­tes, aber es hat den Nach­teil, dass man an sei­nen In­halt nicht her­an kann. Zu lan­ge hat­te ich schon ge­durs­tet, große Leis­tun­gen voll­bracht – und jetzt der gute Holz­fäl­ler­schnaps! Nach­dem ich mich aus­gie­big, sehr aus­gie­big ge­stärkt hat­te, fing ich an, mei­ne Hab­se­lig­kei­ten auf dem Schup­pen­dach, das ich ge­ra­de mit den Hän­den er­rei­chen konn­te, auf­zu­bau­en. Zu­erst die Ak­ten­ta­sche, dann eine Fla­sche nach der an­de­ren: eine Fla­sche säch­si­schen Korn, dann vier un­an­ge­bro­che­ne und eine an­ge­bro­che­ne Fla­sche Schwarz­wäl­der Zwetsch­gen­was­ser. Al­les schön or­dent­lich ne­ben­ein­an­der auf dem Dachrand. Nun war ich fer­tig zum Auf­stieg.

      Ich häng­te mich an die vor­ste­hen­de Dach­kan­te und ver­such­te, mich hoch­zu­zie­hen. Aber ich hat­te mei­ne tur­ne­ri­schen Fä­hig­kei­ten über- und die Wir­kung des Schnap­ses un­ter­schätzt: Eine Wei­le ham­pel­te ich hilf­los in der Luft, dann ver­lor ich den Halt und stürz­te schwer ins Gras. Äch­zend blieb ich lie­gen, der Fall hat­te mir nicht gut­ge­tan. Aber mit je­ner Hart­nä­ckig­keit, die Be­trun­ke­ne ge­ra­de beim aus­sichts­lo­ses­ten Tun ent­wi­ckeln, er­neu­er­te ich mei­ne Ver­su­che, stets, nach­dem ich mich erst neu und aus­gie­big ge­stärkt hat­te – der Rest der ers­ten Fla­sche ging da­bei drauf. Aber je­des Mal stürz­te ich wie­der schwer zu Bo­den. Als ich das letz­te Mal auf­stand, war mir klar, dass ich so mein Ziel nie er­rei­chen wür­de. Au­ßer­dem ver­stand selbst ich, dass ich schwer be­trun­ken war.

      »Ich bin kom­plett be­sof­fen, ich bin völ­lig blau …«, mur­mel­te ich im­mer wie­der stumpf­sin­nig vor mich hin und lehn­te mich schwer at­mend ge­gen einen Baum. Dann er­in­ner­te ich mich dun­kel, dass ich vor dem Gast­hof Ei­sen­ti­sche und Ei­sen­stüh­le hat­te ste­hen se­hen. Müh­sam schlepp­te ich einen Stuhl her­bei, klet­ter­te vor­sich­tig auf ihn (ich hat­te jetzt schon Furcht vor ei­nem neu­en Fall) und ver­such­te nun, aufs Dach zu kom­men. Und wie­der stürz­te ich.

      Es gab eine län­ge­re Pau­se, ei­nes­teils, weil ich mich wirk­lich ziem­lich schwer ge­schla­gen hat­te, zum an­de­ren, weil ich den Kor­ken­zie­her su­chen muss­te, um eine neue Fla­sche zu öff­nen. Ich hat­te ihn be­stimmt auch auf den Dachrand ge­legt, aber von dort war er ganz un­be­greif­lich ver­schwun­den. Ich such­te ihn, lei­se vor mich hin schel­tend, auf al­len Vie­ren im Gra­se. Er war nicht auf­zu­fin­den. Schließ­lich be­sann ich mich dar­auf, dass auch an mei­nem Ta­schen­mes­ser ein Kor­ken­zie­her war, der mir bis­her recht gute Diens­te ge­leis­tet hat­te. Ich such­te das Mes­ser in den Ta­schen, fand es nicht, fand aber statt­des­sen in ih­nen