vom Tode meines Otto. Das hat mich irgendwie umgeworfen. Ich habe ihm gesagt, dass ich in einer kommunistischen Zelle arbeite.«
»Namen genannt?« Niemand hätte geahnt, dass der harmlose Säugling so scharf fragen könnte.
»Natürlich nicht. Ich habe überhaupt nichts weiter gesagt. Und mein Schwiegervater ist ein alter Arbeiter, der wird nie ein Wort sagen.«
»Dein Schwiegervater ist ein anderes Kapitel, du bist das erste! Du sagst, du hast keine Namen genannt …«
»Und du wirst mir das glauben, Grigoleit! Ich lüge nicht. Ich habe freiwillig gestanden.«
»Sie haben eben schon wieder einen Namen genannt, Fräulein Baumann!«
Der Säugling sagte: »Aber seht ihr denn nicht ein, dass es ganz egal ist, ob sie jetzt Namen genannt hat oder nicht? Sie hat gesagt, dass sie in einer Zelle arbeitet, sie hat einmal geschnattert, sie wird wieder schnattern. Legen die bewussten Herren ihre Hand auf sie, quälen sie ein bisschen, so wird sie reden, gleichgültig, wie viel sie bisher verraten hat.«
»Ich werde nie zu denen reden, und wenn ich sterben müsste!«, rief Trudel mit flammenden Wangen.
»Oh!«, sagte der Hochstirnige, »Sterben ist sehr einfach, Fräulein Baumann, aber manchmal kommen vor dem Sterben noch recht unangenehme Dinge!«
»Ihr seid unbarmherzig«, sagte das junge Mädchen. »Ich habe einen Fehler begangen, aber …«
»Ich finde auch«, ließ sich der auf dem Sofa neben ihr vernehmen. »Wir werden uns Ihren Schwiegervater ansehen, und wenn er verlässlich ist …«
»Unter den Händen von denen gibt’s keine Verlässlichkeit«, sagte Grigoleit.
»Trudel«, sagte der Säugling sanft lächelnd, »Trudel, du sagtest eben, du hättest noch keine Namen genannt?«
»Ich habe es auch nicht getan!«
»Und du hast behauptet, du wärest zum Sterben bereit, ehe du so was tätest?«
»Ja! Ja! Ja!«, rief sie leidenschaftlich.
»Nun«, sagte der Säugling und lächelte gewinnend, »nun, Trudel, wie wäre es, wenn du heute Abend noch stürbest, ehe du weitergeplappert hast? Das würde uns eine gewisse Sicherheit geben und eine Masse Arbeit ersparen …«
Eine Totenstille entstand zwischen den vieren. Das Gesicht des Mädchens war kalkig weiß. Ihr Kavalier sagte einmal »Nein« und legte seine Hand leicht auf die ihre. Aber er nahm sie gleich wieder fort.
Dann kamen die Tanzenden zurück an ihre Tische und machten für den Augenblick eine Fortsetzung dieser Unterhaltung unmöglich.
Der mit der hohen Stirn brannte sich wieder eine Zigarette an, der Säugling lächelte unmerklich, als er sah, wie dem anderen die Hand zitterte. Dann sagte er zu dem Dunklen neben dem schweigenden, bleichen Mädchen: »Sie sagen nein. Aber warum eigentlich? Es ist eine fast befriedigende Lösung der Aufgabe und eine Lösung, die, soviel ich verstanden habe, von Ihrer Nachbarin selbst vorgeschlagen wurde.«
»Die Lösung ist unbefriedigend«, sagte der Dunkle langsam. »Es wird schon zu viel gestorben. Wir sind nicht dafür da, dass die Zahl der Toten sich erhöht.«
»Ich hoffe«, sagte der Hochstirnige, »Sie denken an diesen Satz, wenn der Volksgerichtshof Sie und mich und diese da …«
»Still!«, sagte der Säugling. »Gehen Sie doch einen Augenblick tanzen. Das scheint ein sehr netter Tanz. Sie können sich unterdes besprechen, und wir beide besprechen uns hier …«
Widerstrebend war der junge Dunkle aufgestanden und hatte seiner Dame eine leichte Verbeugung gemacht. Widerstrebend hatte sie die Hand auf seinen Arm gelegt, bleich gingen sie beide im Strom der anderen zur Tanzfläche. Sie tanzten ernst, schweigend, ihm war es, als tanze er mit einer Toten. Ihn schauderte es. Die Uniformen um ihn, die Hakenkreuzbinden, die blutroten Fahnen an den Wänden mit dem verhassten Zeichen, das mit Grün geschmückte Führerbild, die rhythmischen Geräusche des Swings: »Du wirst es nicht tun, Trudel«, sagte er. »Er ist wahnsinnig, so etwas zu verlangen. Versprich mir …«
Sie bewegten sich fast auf der Stelle in dem immer dichter werdenden Gewühl. Vielleicht, weil sie in ständiger Berührung mit anderen Paaren waren, vielleicht sprach sie darum nicht.
»Trudel!«, bat er noch einmal. »Versprich es mir! Du kannst ja in einen anderen Betrieb gehen, dort arbeiten, damit du denen aus den Augen bist. Versprich mir …«
Er versuchte sie dazu zu bringen, dass sie ihn ansah, aber ihre Augen sahen hartnäckig über seine Schulter fort.
»Du bist die Beste von uns«, sagte er plötzlich. »Du bist die Menschlichkeit, er ist bloß das Dogma. Du musst weiterleben, gib ihm nicht nach!«
Sie schüttelte den Kopf, mochte es nun ein Ja oder ein Nein bedeuten. »Ich möchte zurück«, sagte sie. »Ich mag nicht mehr tanzen.«
»Trudel«, sagte Karl Hergesell hastig, als sie sich aus den Tanzenden gelöst hatten, »dein Otto ist erst gestern gestorben, erst gestern hast du die Nachricht bekommen. Es ist zu früh. Aber du weißt es ja auch so, ich habe dich immer geliebt. Ich habe nie etwas von dir erwartet, aber nun erwarte ich, dass du wenigstens lebst. Nicht für mich, nein, dass du lebst!«
Aber wieder bewegte sie nur den Kopf, wieder blieb es ungewiss, was sie zu seiner Liebe, was sie zu seinem Wunsche, sie am Leben zu sehen, meinte. Sie waren am Tisch der anderen angelangt. »Nun?«, fragte Grigoleit mit der hohen Stirne. »Wie tanzt es sich? Ein bisschen voll, wie?«
Das Mädchen hatte sich nicht wieder gesetzt. Es sagte: »Ich gehe dann jetzt. Macht’s gut. Ich hätte gerne mit euch gearbeitet …«
Sie wandte sich zum Gehen.
Jetzt aber war dieser dicke, harmlose Säugling der Erste hinter ihr, er fasste sie am Handgelenk, er sagte: »Einen Augenblick noch, bitte!« Er sagte es vollkommen höflich, aber sein Blick drohte.
Sie kehrten an den Tisch zurück. Sie setzten sich wieder. Der Säugling fragte: »Ich verstehe doch recht, Trudel, was dein Abschied eben bedeutete?«
»Du hast vollkommen recht verstanden«, sagte das Mädchen und sah ihn mit harten Augen an.
»So bitte ich dich, dass du mir erlaubst, dich für den Rest des Abends zu begleiten.«
Sie machte eine Bewegung entsetzter Abwehr.
Er sagte sehr höflich: »Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich gebe zu bedenken, dass bei der Ausführung eines solchen Vorhabens wiederum Fehler begangen werden können.« Er flüsterte drohend: »Es liegt