Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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von der SS hat ihn heu­te früh an­ge­schleppt, Sie kön­nen kaum weg ge­we­sen sein.«

      Eva Klu­ge ver­harr­te in ih­rem feind­li­chen Schwei­gen, und die Gesch fuhr fort: »Sie ha­ben ihn ganz schön zu­ge­rich­tet, da ist kein Fleck an ihm, der nicht was ab­ge­kriegt hat. Ihr Mann mag sein, wie er will, aber so kön­nen Sie ihn nicht vor die Tür set­zen. Se­hen Sie ihn sich bloß mal an, Frau Klu­ge!«

      Sie sag­te un­beug­sam: »Ich habe kei­nen Mann mehr, Frau Gesch. Ich hab’s Ih­nen ge­sagt, ich will nichts mehr da­von hö­ren.«

      Und sie woll­te in ihre Woh­nung zu­rück. Die Gesch sag­te eif­rig: »Sei­en Sie nicht so ei­lig, Frau Klu­ge. Schließ­lich ist es Ihr Mann. Sie ha­ben Kin­der mit ihm ge­habt …«

      »Da­rauf bin ich be­son­ders stolz, Frau Gesch, dar­auf be­son­ders!«

      »Man kann auch un­mensch­lich sein, Frau Klu­ge, und was Sie tun wol­len, das ist un­mensch­lich. So kann der Mann nicht auf die Stra­ße.«

      »Und war das, was er mit mir all die Jah­re ge­tan hat, etwa mensch­lich? Er hat mich ge­quält, er hat mir mein gan­zes Le­ben ka­putt­ge­macht, schließ­lich hat er mir noch mei­nen Lieb­lings­jun­gen weg­ge­nom­men – und zu so ei­nem soll ich mensch­lich sein, bloß weil er Dre­sche von der SS be­kom­men hat? Ich den­ke gar nicht dar­an! Den än­dern auch noch so vie­le Schlä­ge nicht!«

      Nach die­sen hef­tig und böse aus­ge­sto­ße­nen Wor­ten zog Frau Klu­ge der Gesch ein­fach die Tür vor der Nase zu und schnitt ihr so je­des wei­te­re Wort ab. Sie war ein­fach nicht fä­hig, noch wei­te­res Ge­re­de aus­zu­hal­ten. Bloß um al­lem Ge­re­de zu ent­ge­hen, hät­te sie den Mann wo­mög­lich doch noch wie­der in die Woh­nung auf­ge­nom­men und es im­mer und ewig be­reut!

      Sie setz­te sich auf einen Kü­chen­stuhl, starr­te in die bläu­li­che Gas­flam­me und dach­te an die­sen Tag zu­rück. Ge­re­de, nichts wie Ge­re­de. Seit sie dem Vor­ste­her des Am­tes er­öff­net hat­te, sie wol­le aus der Par­tei aus­tre­ten und das so­fort, hat­te es nur noch Ge­re­de ge­ge­ben. Sie war von ih­rem Be­stell­gang be­freit wor­den, aber da­für war sie un­un­ter­bro­chen ver­nom­men wor­den; vor al­lem woll­ten sie durch­aus von ihr er­fah­ren, warum sie denn aus der Par­tei aus­zu­tre­ten wünsch­te. Was für Grün­de sie denn habe. Sie hat­te starr und un­ver­än­dert geant­wor­tet: »Das geht kei­nen was an. Dar­über sprech ich nicht, warum ich raus will. Und das heu­te noch!«

      Aber je mehr sie sich wei­ger­te, umso hart­nä­cki­ger wur­den die. Al­les an­de­re schi­en sie nicht zu in­ter­es­sie­ren, nur das ›Wa­rum‹ woll­ten sie er­fah­ren. Ge­gen Mit­tag wa­ren dann noch zwei Zi­vi­lis­ten mit Ak­ten­ta­schen auf­ge­taucht und hat­ten sie un­un­ter­bro­chen be­fragt. Ihr gan­zes Le­ben soll­te sie er­zäh­len, von den El­tern, den Ge­schwis­tern, ih­rer Ehe …

      Erst war sie ganz be­reit­wil­lig ge­we­sen, froh, dem end­lo­sen Ge­fra­ge über die Grün­de ih­res Austritts zu ent­ge­hen. Aber dann, schon als sie von ih­rer Ehe be­rich­ten soll­te, war sie wie­der bock­bei­nig ge­wor­den. Nach der Ehe wür­den die Kin­der dran­kom­men, und sie wür­de nicht von Kar­le­mann er­zäh­len kön­nen, ohne dass die­se ge­witz­ten Füch­se merk­ten, dass da et­was nicht stimm­te.

      Nein, auch dar­über sag­te sie nichts aus. Auch das war pri­vat. Ihre Ehe und ihre Kin­der gin­gen nie­man­den et­was an.

      Aber die­se Leu­te wa­ren zähe. Sie wuss­ten vie­le Wege. Der eine griff in sei­ne Ak­ten­ta­sche und fing an, in ei­nem Ak­ten­stück zu le­sen. Sie hät­te ger­ne ge­wusst, was er da las: Es konn­te doch über sie nicht solch ein Ak­ten­stück bei der Kri­mi­nal­po­li­zei ge­ben, denn dass die­se Zi­vi­lis­ten ir­gend­was Po­li­zei­li­ches wa­ren, das hat­te sie un­ter­des doch ge­merkt.

      Dann fin­gen sie wie­der an zu fra­gen, und nun er­wies es sich, dass in dem Ak­ten­stück et­was über Enno ste­hen muss­te. Denn nun wur­de sie über sei­ne Krank­hei­ten, sei­ne Ar­beits­scheu, sei­ne Wett­lei­den­schaft und über sei­ne Wei­ber aus­ge­fragt. Es fing wie­der ganz harm­los an, dann plötz­lich sah sie die Ge­fahr, schloss fest den Mund und sag­te nichts mehr.

      Nein, auch das war pri­vat. Es ging kei­nen was an. Was sie mit ih­rem Mann hat­te, das war ihre Sa­che al­lein. Üb­ri­gens leb­te sie ge­trennt von dem Man­ne.

      Da war sie wie­der er­wi­scht. Seit wann sie ge­trennt von ihm lebe? Wann hat­te sie ihn zum letz­ten Male ge­se­hen? Hing ihr Wunsch nach Austritt aus der Par­tei etwa mit dem Man­ne zu­sam­men?

      Sie schüt­tel­te nur den Kopf. Aber sie dach­te mit Schau­dern dar­an, dass sie sich wahr­schein­lich nun den Enno vor­neh­men wür­den, und aus dem schlap­pen Kerl wür­den sie in ei­ner hal­b­en Stun­de al­les aus­ge­quetscht ha­ben! Dann stand sie mit ih­rer Schan­de, von der bis­her sie al­lein wuss­te, vor al­len nackt und bloß da. Dann schrie­ben sie wo­mög­lich über sie, und auf der Par­tei wür­den sie end­los über die Mut­ter schwät­zen, die solch einen Sohn ge­bo­ren hat­te.

      »Pri­vat! Rein pri­vat!«

      Die Brief­trä­ge­rin, die in Ge­dan­ken ver­lo­ren das Zit­tern und Be­ben des blau­en Gas­flämm­chens be­ob­ach­tet hat, fährt zu­sam­men. Sie hat vor­hin einen schwe­ren Feh­ler be­gan­gen, sie hat­te ja Ge­le­gen­heit, den Enno für ein paar Wo­chen zu ver­ste­cken. Sie brauch­te ihm nur für ein paar Wo­chen Geld zu ge­ben und die Wei­sung, sich bei ei­ner sei­ner Freun­din­nen zu ver­ste­cken.

      Sie klin­gelt bei der Gesch. »Hö­ren Sie, Frau Gesch, ich habe es mir noch mal über­legt, ich möch­te we­nigs­tens ein paar Wor­te mit mei­nem Man­ne spre­chen!«

      Jetzt, wo die an­de­re ihr den Wil­len tut, wird die Gesch böse. »Das hät­ten Sie sich eher über­le­gen müs­sen. Jetzt ist Ihr Mann fort, schon gute zwan­zig Mi­nu­ten. Nun kom­men Sie zu spät!«

      »Wo ist er denn hin, Frau Gesch?«

      »Wie soll ich das denn wis­sen? Wo Sie ihn raus­ge­schmis­sen ha­ben! Bei eine von sei­nen Wei­bern wohl!«

      »Wis­sen Sie nicht, zu wel­cher? Bit­te, sa­gen Sie es doch, Frau Gesch! Es ist wirk­lich sehr wich­tig …«

      »Auf ein­mal!« Und wi­der­wil­lig setzt die Gesch hin­zu: »Er hat was von ’ner Tut­ti ge­sagt …«

      »Tut­ti?«, fragt sie. »Das soll doch Tru­de, Ger­trud be­deu­ten … Wis­sen Sie den an­de­ren Na­men nicht, Frau Gesch?«

      »Er hat ihn ja sel­ber nicht ge­wusst! Er hat nicht mal ge­nau ge­wusst, wo sie wohnt, er hat bloß ge­dacht, er fin­d’t sie. Aber bei dem Zu­stand, in dem der Mann ist …«

      »Vi­el­leicht kommt er noch mal wie­der«, sagt Frau Eva Klu­ge nach­denk­lich. »Dann schi­cken Sie ihn zu mir. Je­den­falls dan­ke ich Ih­nen schön, Frau Gesch. Gu­ten Abend!«

      Aber die Gesch grüßt nicht zu­rück, sie knallt bei sich die Tür zu. Sie hat noch nicht ver­ges­sen, wie die an­de­re ihr vor­hin die Tür vor der Nase zu­ge­macht hat. Das ist noch lan­ge nicht raus, dass sie den Mann schickt, wenn er wirk­lich noch mal hier auf­taucht. So ’ne Frau soll sich zur rech­ten Zeit be­sin­nen, nach­her ist es manch­mal zu spät.

      Frau Klu­ge ist in ihre Kü­che zu­rück­ge­kehrt. Es ist selt­sam: ob­wohl doch das Ge­spräch eben mit der Gesch ohne Er­geb­nis ge­blie­ben ist, hat es sie er­leich­tert. Die Din­ge müs­sen eben ih­ren Lauf neh­men. Sie hat ge­tan, was sie tun konn­te, sich sau­ber zu hal­ten. Sie hat sich