aus der Partei austreten wolle, so sei sie politisch unzuverlässig, und für solche gebe es so etwas wie ein KZ! Sie habe doch wohl schon davon gehört? Da könne man politisch Unzuverlässige sehr rasch zuverlässig machen, fürs ganze Leben seien die zuverlässig. Sie verstehe doch!
Frau Kluge hatte keine Angst bekommen. Sie ist dabei geblieben, dass privat privat bleibt, und über Privates redet sie nicht. Schließlich hat man sie gehen lassen. Nein, ihr Austritt aus der Partei ist vorläufig nicht angenommen, sie wird noch darüber hören. Aber vom Postdienst ist sie vorläufig suspendiert. Sie hat sich aber in ihrer Wohnung zur Verfügung zu halten …
Während Eva Kluge den so lange vergessenen Suppentopf endlich auf die Gasflamme rückt, beschließt sie plötzlich, auch in diesem Punkte nicht zu gehorchen. Sie wird nicht ewig tatenlos in der Wohnung sitzen und auf die Quälereien der Herren warten. Nein, sie wird morgen früh mit dem Sechs-Uhr-Zug zu ihrer Schwester bei Ruppin fahren. Da kann sie zwei, drei Wochen unangemeldet leben, die füttern sie schon so durch. Die haben da Kuh und Schweine und Kartoffelland. Sie wird arbeiten, im Stall und auf dem Felde arbeiten. Das wird ihr guttun, besser als diese Briefträgerei für ewig: trabtrab!
Ihre Bewegungen sind, seit dem Beschluss, aufs Land zu gehen, frischer geworden. Sie holt einen Handkoffer hervor und fängt an zu packen. Einen Augenblick überlegt sie, ob sie Frau Gesch wenigstens sagen soll, dass sie verreist, das Wohin braucht sie ihr ja nicht zu sagen. Aber sie beschließt: nein, sie will lieber nichts sagen. Alles, was sie nun tut, tut sie ganz für sich allein. Sie will keinen Menschen da reinziehen. Sie wird auch der Schwester und dem Schwager nichts sagen. Sie wird jetzt so allein leben wie noch nie. Immer war bisher jemand da, für den sie zu sorgen hatte: die Eltern, der Mann, die Kinder. Nun ist sie allein. Es scheint ihr im Augenblick sehr möglich, dass ihr dieses Alleinsein gut gefallen wird. Vielleicht wird, wenn sie ganz allein mit sich ist, noch etwas aus ihr, jetzt, wo sie endlich Zeit für sich selber hat, das eigene Ich nicht immer über all den anderen vergessen muss.
In dieser Nacht, die Frau Rosenthal mit ihrer Einsamkeit so ängstet, lächelt die Briefträgerin Kluge zum ersten Mal wieder im Schlaf. Träumend sieht sie sich auf einem riesigen Kartoffelacker stehen, die Hacke in den Händen. So weit sie sieht, nur Kartoffelland, und sie dazwischen allein: Sie muss das Kartoffelland sauberhacken. Sie lächelt, sie hebt die Hacke, hell klingt ein getroffener Stein, ein Meldenstengel1 sinkt um, sie hackt weiter und weiter.
1 eine der ältesten Kulturpflanzen und wird oder wurde als Gemüse, Salat-, Heil-, Färber- sowie Zierpflanze verwendet. <<<
12. Enno und Emil nach dem Schock
Der kleine Enno Kluge hat es viel schlechter getroffen als sein »Kumpel« Emil Barkhausen, den nach den Erlebnissen dieser Nacht eine Frau, sie mochte sein, wie sie wollte, doch immerhin in ein Bett gepackt hatte, wenn sie ihn auch sofort danach bestahl. Der schwächliche Rennwetter hat auch viel mehr Schläge bekommen als der lange, knochige Gelegenheitsspitzel. Nein, dem Enno ist besonders übel mitgespielt worden.
Und während er durch die Straßen läuft und angstvoll nach seiner Tutti sucht, ist der Barkhausen aus seinem Bett aufgestanden, hat sich in der Küche was zu essen gesucht und isst sich finster und nachdenklich satt. Dann findet Barkhausen im Kleiderspind eine Schachtel Zigaretten, er brennt sich eine an, steckt die Schachtel in seine Tasche und sitzt wieder finster grübelnd am Tisch, den Kopf in der Hand.
So findet ihn seine Otti, als sie von ihren Besorgungen wieder zurückkommt. Natürlich sieht sie gleich, dass er sich Essen genommen hat, sie weiß auch, er hat nichts zu rauchen in der Tasche gehabt, als sie ging, und sie entdeckt sofort den Diebstahl aus ihrem Kleiderspind. Sofort bricht sie einen Streit vom Zaun, so verängstigt sie auch ist. »Jawohl, so was liebe ich, einen Kerl, der mir mein Essen frisst und mir meine Zigaretten klaut! Gleich gibst du sie mir wieder, auf der Stelle gibst du sie mir wieder! Oder du bezahlst sie mir! Gib Geld her, Emil!«
Sie wartet gespannt, was er sagen wird, aber sie ist ihrer Sache ziemlich sicher. Die achtundvierzig Mark hat sie schon fast ganz ausgegeben, da kann er wirklich nicht mehr viel machen.
Und sie sieht aus seiner Antwort, so böse sie auch klingt, dass er von dem Gelde wirklich nichts weiß. Sie fühlt sich diesem doofen Kerl von einem Manne weit überlegen, sie hat ihn ausgenommen, und der Affe merkt es nicht mal!
»Halt die Schnauze!«, grunzt Barkhausen nur, ohne den Kopf zu erheben. »Und mach, dass du aus der Stube kommst, oder ich schlage dir alle Knochen im Leibe entzwei!«
Sie ruft von der Küchentür her, einfach, weil sie immer das letzte Wort haben muss und weil sie sich ihm so überlegen fühlt (obwohl sie jetzt Angst vor ihm hat): »Sieh du lieber selbst, dass dir die SS deine Knochen nicht ganz zerschlägt! Weit biste nicht mehr davon ab!«
Damit geht sie in die Küche und lässt ihren Ärger über diese Verbannung an den Gören aus.
Der Mann aber sitzt immer weiter in der Stube und grübelt. Er weiß nur wenig von dem, was in der Nacht geschah, aber das Wenige, das er weiß, das reicht ihm. Und er denkt daran, dass da oben die Wohnung der Rosenthal liegt, die jetzt wohl von den Persickes ausgeräumt ist, und er hätte sich nehmen können, noch und noch! Durch seine eigene Dussligkeit hat er das verbockt!
Nein, der Enno ist daran schuld gewesen, der Enno hat mit dem Schnaps angefangen, der Enno ist von allem Anfang an besoffen gewesen. Ohne den Enno hätte er jetzt einen Haufen Zeugs, Wäsche und Kleider; dunkel erinnert er sich auch an einen Radioapparat. Wenn er den Enno jetzt hier hätte, würde er ihm alle Knochen im Leibe zerschlagen, diesem feigen Schwächling, der ihm die ganze Sache vermasselt hat!
Aber einen Augenblick später zuckt Barkhausen schon wieder die Achseln. Wer ist denn schließlich dieser Enno? ’ne feige Wanze, die davon lebt, dass sie den Weibern Blut abzapft! Nein, wer richtig schuld ist, das ist dieser Baldur Persicke! Dieser Bengel, dieser Schuljunge von einem HJ-Führer hat von Anfang an vorgehabt, ihn reinzulegen! Das war alles vorbereitet, um einen Schuldigen zu haben und sich selbst die Beute ungestraft aneignen zu können! Das hat sich diese Giftschlange mit den funkelnden Brillengläsern fein ausgedacht! Ihn so reinzulegen, dieser verdammte Rotzjunge!
Barkhausen versteht es nicht so ganz, warum er nun eigentlich doch nicht in einer Zelle auf dem Alex, sondern in seiner Stube sitzt. Da muss denen was dazwischengekommen sein. Ganz dunkel erinnert er sich an zwei Gestalten, aber wer das war und wieso, das hat er damals schon in seiner halben Betäubung nicht erfasst, und jetzt weiß er es erst recht nicht.
Aber das eine weiß er: dies verzeiht er dem Baldur Persicke nie. Der mag noch so sehr hochkriechen auf der Leiter der Parteigunst,