wieder ganz gesund, Meister«, versicherte Enno Kluge eifrig. »Ich kann wieder arbeiten, und ich werd auch arbeiten, das sollst du schon sehen!«
»Nana!«, meinte der Meister ziemlich ungläubig und wollte wieder gehen. Aber er blieb noch einmal stehen, betrachtete nachdenklich Ennos Gesicht und fragte: »Und was haste denn mit deiner Visage gemacht, Enno? Ein bisschen in die Heißmangel gekommen, was?«
Enno hat den Kopf auf sein Werkstück gesenkt, er sieht den Meister auch nicht an, als er schließlich antwortet: »Jawohl, Meister, durch die Mangel gedreht …«
Der Meister bleibt nachdenklich vor ihm stehen und betrachtet ihn immer weiter. Schließlich glaubt er sich einen Vers auf die Sache machen zu können und sagt: »Na, vielleicht hat’s wirklich geholfen, vielleicht hast du nun wirklich Trieb zur Arbeit, Enno!«
Damit ging der Meister, und Enno Kluge war froh, dass die Schläge so verstanden worden waren. Sollte der nur ruhig denken, er war wegen seiner Arbeitsscheu so abgerollt worden, umso besser! Darüber wollte er mit keinem reden. Und wenn sie hier so dachten, würden sie ihn mit allen Fragen verschonen. Sie würden höchstens hinter seinem Rücken über ihn lachen, und das sollten sie ruhig, das war ihm egal. Er wollte jetzt arbeiten, wundern sollten sich die über ihn!
Bescheiden lächelnd und doch nicht ohne Stolz ließ sich Enno Kluge für die freiwillige Sonntagsschicht aufschreiben. Ein paar ältere Arbeitskollegen, die ihn noch von früher her kannten, machten spöttische Bemerkungen. Er lachte einfach mit und sah es gerne, dass auch der Meister grinste.
Übrigens hatte ihm die irrtümliche Annahme des Meisters, er habe die Schläge wegen seiner Arbeitsscheu bezogen, sicher auch bei der Direktion genützt. Dorthin war er gleich nach der Mittagspause gerufen worden. Wie ein Angeklagter stand er dort, und dass von seinen Richtern einer in Wehrmachtsuniform, einer in SA-Uniform steckte, während nur einer Zivil trug, freilich auch mit dem Hoheitszeichen geschmückt, das erhöhte noch seine Angst.
Der Wehrmachtsoffizier blätterte in einem Aktenstück und hielt Enno Kluge mit einer ebenso gleichgültigen wie angeekelten Stimme seine Sünden vor. Den und den Tag von der Wehrmacht zur Rüstungsindustrie entlassen, dann und dann erst Meldung in dem zugewiesenen Betrieb, elf Tage gearbeitet, krankgeschrieben wegen Magenblutungen, drei Ärzte, zwei Krankenhäuser in Anspruch genommen. Dann und dann arbeitsfähig gesundgeschrieben, fünf Tage gearbeitet, drei Tage blaugemacht, einen Tag gearbeitet, wieder Magenblutungen usw. usw.
Der Wehrmachtsoffizier legte das Aktenstück weg, er sah angeekelt den Kluge an, das heißt, er richtete seinen Blick etwa auf den obersten Knopf von Ennos Jackett und sagte mit erhobener Stimme: »Was denkst du dir eigentlich, du Schwein?« Plötzlich schrie er, aber man sah es ihm an, dass er ganz gewohnheitsmäßig schrie, ohne jede innere Erregung. »Denkst du, du kannst hier einen Einzigen mit deinen dussligen Magenblutungen an der Nase rumführen? Ich werde dich zu einer Strafkompanie schicken, da werden sie dir deine stinkenden Gedärme aus dem Leibe reißen, da sollst du lernen, was Magenblutungen sind!«
So schrie der Offizier noch eine ganze Weile. Enno war das vom Militär her gewohnt, es konnte ihn nicht besonders schrecken. Er hörte sich diese Strafpredigt an, die Hände vorschriftsmäßig an die Naht seiner Zivilhose gelegt, das Auge aufmerksam auf den Scheltenden geheftet. Musste der Offizier einmal Luft holen, so sagte Enno im vorgeschriebenen Ton, klar und deutlich, aber weder demütig noch frech, sondern sachlich: »Jawohl, Herr Oberleutnant! Zu Befehl, Herr Oberleutnant!« An einer Stelle gelang es ihm sogar, freilich ohne jede sichtbare Wirkung, den Satz einzuschieben: »Melde mich gehorsamst gesund, Herr Oberleutnant! Melde gehorsamst, werde arbeiten!«
Ebenso plötzlich, wie er mit dem Schreien begonnen hatte, hörte der Offizier wieder damit auf. Er machte den Mund zu, nahm den Blick von dem obersten Rockknopf Kluges und richtete ihn auf seinen Nachbar in Braun. »Sonst noch was?«, fragte er angeekelt.
Jawohl, auch dieser Herr hatte noch etwas zu sagen oder vielmehr zu schreien – alle diese Herren Vorgesetzten schienen ja nur mit ihren Leuten schreien zu können. Dieser schrie von Volksverrat und Arbeitssabotage, vom Führer, der keine Verräter in den eigenen Reihen duldete, und von den KZs, wo ihm schon sein Recht werden solle.
»Und wie kommst du zu uns?«, schrie der Braune plötzlich. »Wie haste dich zugerichtet, du Schwein, du? Mit solcher Fresse kommst du zur Arbeit? Bei den Weibern haste rumgehurt, du Hurenbock! Da lässte deine Kraft, und wir dürfen dich hier bezahlen! Wo biste gewesen, wo haste dich so zugerichtet, du elender Zuhälter, du?«
»Mich haben sie durch die Rolle gedreht«, sagte Enno, verschüchtert unter dem Blick des anderen.
»Wer, wer hat dich so zugerichtet, ich will’s wissen!«, schrie das Braunhemd. Und er fuchtelte mit der Faust unter der Nase des anderen und stampfte mit dem Fuße auf.
Hier war der Augenblick gekommen, wo jeder eigene Gedanke den Schädel Enno Kluges verließ. Unter der Bedrohung mit neuen Schlägen entliefen ihm Vorsatz wie Vorsicht, er flüsterte angstvoll: »Melde gehorsamst, die SS hat mich so zugerichtet.«
In der sinnlosen Angst dieses Mannes lag etwas so Überzeugendes, dass die drei Männer am Tisch ihm sofort Glauben schenkten. Ein verständnisvolles, billigendes Lächeln trat auf ihre Gesichter. Der Braune schrie noch: »Zugerichtet nennst du das? Gezüchtigt heißt das, zu Recht bestraft! Wie heißt das?«
»Melde gehorsamst, es heißt: zu Recht bestraft!«
»Na, ich hoffe, du wirst es dir merken. Das nächste Mal kommst du nicht so billig davon weg! Abtreten!«
Noch eine halbe Stunde danach zitterte Enno Kluge so stark, dass er seine Arbeit an der Drehbank nicht verrichten konnte. Er drückte sich auf dem Abtritt herum, wo ihn der Meister schließlich aufstöberte und scheltend an die Arbeit jagte. Der Meister stellte sich dann daneben und sah schimpfend zu, wie Enno Kluge ein Werkstück nach dem anderen verdarb. In dem Kopf des kleinen Kerls drehte sich noch alles: vom Meister beschimpft, von den Arbeitskollegen verspottet, von Konzentrationslager und Strafkompanie bedroht, vermochte er nichts mehr klar zu sehen. Die sonst so geschickten Hände verweigerten ihm den Dienst. Er konnte nicht, und doch musste er, sonst war er ganz verloren.
Schließlich sah es selbst der Meister ein, dass hier nicht übler Wille und Arbeitsscheu vorlagen. »Wenn du nicht gerade krank gewesen wärst, würde ich sagen, leg dich erst ein paar Tage ins Bett und kurier dich gesund.« Mit diesen Worten verließ ihn der Meister. Und er setzte hinzu: »Aber du weißt ja wohl, was dir dann passiert!«
Ja,