Ulrich Thiele

Die politischen Ideen


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Macht und Furcht und zum anderen auf moralische Autorität gründe, die durch Sakramente und Lehre vermittelt würde. Um das harmonische Zusammenleben im Gottesstaat zu verdeutlichen, verwendet Augustinus Organismus-Metaphern (XXII, 30), während er sich in Bezug auf den weltlichen Staat einer mechanistischen Sprache bedient, in der der Vertragsgedanke zentral ist, so dass Hegels spätere Kritik des Gesellschaftsvertrages auch aus dieser Quelle schöpfen kann.

      Augustins Geschichtsdeutung ist streng genommen keine dualistische, sondern eine finalistische Konstruktion, die die Menschheitsgeschichte als zielgerichteten Prozess auffasst. Denn im Weltlauf seien zwar beide Reiche einstweilen gewissermaßen ineinander verwirrt und vermengt (II, 7 f.), doch beim jüngsten Gericht würden Weltstaat und Gottesstaat getrennt und als solche erkennbar. Ewige Verdammnis und ewige Seligkeit würden darauf den Anhängern der beiden Reiche zuteil (XIX bis XXII). Zwar sei der heilsgeschichtliche Verlauf des Konfliktes zwischen Welt- und Gottesstaat durch die göttliche Vorsehung (providentia) determiniert, doch schließe das die freie Entscheidung der Menschen keineswegs aus, da auch die Freiheit Gottes Wille sei. Dies ändere nichts daran, dass das Ziel der Geschichte kein irdisches ist, sondern ewige Seligkeit in der Anschauung Gottes bedeutet, während die diesseitige Welt den Schauplatz des Kampfes zwischen Gut und Böse darstellt, in dem sich der einzelne Mensch zu bewähren habe.

      Erst in der Neuzeit kam der Begriff Staat in Umlauf. Zwar sprachen noch Leibniz und Pufendorf von civitas, Thomas Hobbes von commonwealth und John Locke schließlich von body politic. Vor dem 16. Jahrhundert – soviel ist jedenfalls sicher – taucht der Begriff Staat nirgends auf. Doch spätestens bei Nicolo Machiavelli (1469–1527) wird dann der Ausdruck stato im dreifachen Sinne verwendet, nämlich als Synonym für Verfassungs- und Regimentsform, Regiment und Macht.

      Die schwierige Geburt des Staatsbegriffs verweist jedoch keineswegs auf ein terminologisches Unvermögen antiker und mittelalterlicher Philosophen, sondern auf ein objektives Problem: Die scharfe begriffliche Unterscheidung der gesellschaftlichen Sphäre von der des Politischen wird erst dort möglich, wo staatliche Institutionen unabhängig von sozialen Verbänden organisiert sind und als eigenständiges und eigenlogisch funktionierendes System von den anderen gesellschaftlichen Teilsystemen separiert sind. Mit der Emanzipation des Staates von der Gesellschaft entsteht allerdings zugleich ein gravierendes Folgeproblem: Die Rechtfertigung existierender politischer Herrschaft wird jetzt, weil sie als asymmetrische Beziehung problematisch ist, als Basisproblem der politischen Philosophie erkannt. Jetzt wird eine plausible Herleitung staatlicher Befehlsgewalt aus dem Willen der Herrschaftsunterworfenen unabdingbar und die Bemühungen, dies zu leisten, zählen sicher zu den Glanzstücken der europäischen Rechtsphilosophie.

      3. THEORIEN ÜBER DEN URSPRUNG UND DEN WANDEL VON VERFASSUNGEN

      Die Frage, auf welche Weise es sich rechtfertigen lässt, dass Staaten rechtlichen Zwang gegenüber ihren Bürgern ausüben, zieht sich wie ein roter Faden durch die politische Ideengeschichte der Moderne. Es galt den Staat als existierende Zwangsgewalt in irgendeiner Weise mit dem freien Willen derjenigen zu versöhnen, die sich diesem Zwang zu fügen haben. Die wichtigsten, noch heute plausiblen Antworten wurden von Autoren des 17. und 18 Jahrhunderts gegeben, und sie sind in überraschender Weise aktuell geblieben.

      So berühren jüngste Debatten über die Zukunft der EU-Verfassung das Thema Legitimation durch Vertrag gleich in doppelter Weise: Einerseits ist schon durch die europäischen Verträge ein supranationales politisches Gebilde entstanden, das massiv in die nationalstaatlichen Hoheitsrechte eingreift. Manche Kritiker erheben den Einwand, es hätte geradezu eine Souveränitätsentäußerung seitens der Mitgliedsstaaten stattgefunden, da die Substanz der einzelstaatlichen Verfassungen de facto verändert worden sei. Aus diesem Blickwinkel gilt eine europäische Verfassunggebung als unerlässlich. Beanstandet wird dementsprechend, das in der Bundesrepublik gewählte parlamentarische Verfahren sei unterlegitimiert gewesen, weil das Grundgesetz seine Zuständigkeit auf partielle Verfassungsänderungen beschränkt habe.

      Auf der Gegenseite wird für eine allmähliche Verstetigung der institutionellen Praxis europäischer Organe geworben, die durch verfassunggebende Akte nur behindert werden würde. Eine Verfassung – so warnte schon Carl Schmitt – ist schnell gemacht, sie liegt, wenn es sein muss in wenigen Minuten fertig auf dem Tisch. Aber wenn sie einmal da ist, so wird man sie nicht leicht wieder los; sie ist dann nämlich eine Quelle der Legalität (Schmitt, Wirtschaft, 30).

      Die Frage, auf welche Weise das neu entstandene staatsähnliche Gebilde legitimiert werden können und welche Relevanz dabei einer Verfassung zukäme, wird uns also zwangsläufig auch in Zukunft beschäftigen müssen. Dazu bieten uns die Strömungen der politischen Philosophie, die sich an vertragsförmigen Legitimationskonzepten orientieren, wichtige Hilfsmittel an.

      Ich möchte im Folgenden eine grobe Skizze der politischen Ideengeschichte der Theorien vom Ursprung politischer Herrschaftsgewalt zeichnen, die ihren Höhepunkt im 17. und 18. Jahrhundert erreichten, wobei mit Ausnahme des Herrschaftsvertrages alle übrigen Legitimationskonzepte noch heute für Theorieentwürfe modellgebend sind.

      Theorien der vertraglichen Begründung politischer Herrschaft lassen sich in zweierlei Hinsicht unterscheiden: Zum einen ist kennzeichnend, welche Stellung der Vertragsgedanke in den entsprechenden Legitimationskonzeptionen einnimmt, und zum anderen differenzieren sich die Vertragstheorien danach, ob und – wenn ja – wie das Problem der rechtlichen Kodifizierung der Staatsorganisation erörtert wird. Die klassischen Theorien des Herrschaftsvertrages, des Gesellschaftsvertrages und der verfassunggebenden Gewalt beanspruchen, hierauf eine Antwort anbieten zu können. Gemeinsam ist ihnen, dass die Vergesellschaftung der Menschen und die Entstehung von politischer Herrschaft auf Verträge zurückgeführt werden, die die Menschen untereinander oder aber das Volk mit dem Herrscher abgeschlossen haben.

      3.1. HERRSCHAFTSVERTRAG

      Der Herrschaftsvertrag (auch Unterwerfungsvertrag oder pactum subiectionis genannt) zeichnet sich im Unterschied zum Gesellschaftsvertrag dadurch aus, dass er eine zweiseitige Übereinkunft zwischen einem faktischen Souverän und seinen Untertanen zugrundelegt. Die beiden Vertragspartner erzeugen keinen Souverän, sondern einer von beiden ist bereits als Souverän vorhanden. Sinn dieser Art Vertrag ist es, dem Souverän Bedingungen legitimer Herrschaftsausübung abzutrotzen, die in der Regel mit der Festschreibung von bestimmten Privilegien einhergehen, die dem Vertragspartner zustehen sollen.

      Die Rechtsfigur des Herrschaftsvertrages, der ein pactum zwischen Volk (bzw. Adel) und Monarch unterstellt, lässt sich auf Interpretationen der römischen lex regia, zurückführen, die im Zusammenhang mit dem Investiturstreit zwischen kaiserlichem regnum und kirchlichem sacerdotium (1075–1122) bedeutend waren. Die lex regia sollte die Befugnisse des princeps regeln und besagte, dass das Volk seine ganze Befehlsgewalt und Macht auf ihn übertragen hat. So wurde die Formel utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata es, populus ei [sc. principi] et in eum omne suum imperium et potestatem conferat dahingehend ausgelegt, dass das Volk mit diesem Akt seine Gewalt dem König endgültig und restlos übertragen habe (Reibstein, Bd. I, 131).

      Die Gegenpartei wandte ein: Auch wenn das Volk dem Herrscher seine potestas übertragen hätte, könnte dies doch nicht für den Missbrauchsfall gelten. So könne kein Volk damit einverstanden sein, wenn der von ihm eingesetzte Herrscher seine Macht zum Schaden seiner Untertanen einsetzte. Ein zum Tyrann gewordener König hätte offensichtlich seine dem Volk durch Vertrag zugesicherte Treuepflicht, die gerechte Ordnung zu wahren, verletzt und könnte deshalb seinerseits vom Volk abgesetzt werden (z. B. Thomas von Aquin, De regim. princ. I, 6). Die calvinistischen und katholischen Monarchomachen (u. a. Johannes Calvin (1509–1564), George Buchanan (1506–1582), Hubert Languet (1518–1581), John Milton (1608–1674) und schließlich Johannes