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nicht aus einem allseitigen Konsens hervorgehen lassen, sondern aus einem einseitigen Dezisionsakt des faktischen Herrschaftsinhabers. Beiden Varianten ist gemeinsam, dass der Begriff der Verfassung in einem doppelten Sinne verwendet wird, so dass außer seiner Verwendung im Sinne eines positiven Dokumentes eine überpositive Verwendung stattfindet, sei es, dass die Verfassung eher im gewohnheitsrechtlichen Sinn verstanden wird als ein auf überkommene Sitten gegründetes institutionelles System, sei es dass das Konzept einer „lebendigen Verfassung“ gegen die Verfassung im Sinne materialer, prozeduraler und organisatorischer Normen in Stellung gebracht wird.

      Die Theorien, die sich zweifelsfrei dem Oberbegriff des Gesellschaftsvertrages zuordnen lassen, müssen noch weiter spezifiziert werden. Folgende Leitfrage bietet sich dazu an: Welche Beziehungen bestehen zwischen den jeweiligen Begriffen des Gesellschaftsvertrages und normativen Aussagen zu den Verfahren, durch die Verfassungen gegeben bzw. verändert werden können? Gefragt wird danach, ob die philosophische Konstruktion des Gesellschaftsvertrages praktische Folgen für die Erzeugung sowie spätere Revisionen des Staatsrechts hat und, wenn ja, welche dies sind. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie groß jeweils die Nähe der Vertragstheorie zum Legitimitätsprinzip der verfassunggebenden Gewalt des Volkes ist:

      Der Gesellschaftsvertrag könnte als bloßes hypothetisches Konstrukt bzw. als eine bloße Idee gedacht sein. Dann steht er in gar keiner normativen Beziehung zur Genese der Verfassung. Die Etablierung eines Staates wäre völlig unabhängig von der Frage zu behandeln, ob überhaupt eine geschriebene Verfassung vonnöten ist. Wird eine solche verlangt, bleibt offen, welche Art Verfassung auf welche Weise zustande kommen soll. Aus dieser Sicht ließe sich ein Staat beispielsweise bereits dann rechtfertigen, wenn er als gesellschaftliche Ordnungsinstanz wirksam wäre. Er benötigte jedoch keine wohldefinierte Form, die spezifische Kompetenzgrenzen für die einzelnen politischen Institutionen fixierte.

      Wo die Legitimation des Staates ausschließlich auf seiner ordnungspolitischen Effizienz beruhen soll, wären allenfalls spärliche Garantien der bürgerlichen Freiheitsrechte denkbar. Im Extremfall ließe sich sogar denken, dass der Inhaber politischer Herrschaftsgewalt allen Pflichten den Untertanen gegenüber entbunden wäre. Diese Tendenz besteht zumindest dann, wenn man die den Alltag entwaffnende Wirksamkeit einer zentralen Zwangsgewalt als Zweck an sich selbst wertet. Legitimität und Effektivität politischer Herrschaft fallen im Rahmen dieser ‚etatistischen‘ Version des Gesellschaftsvertrags zusammen. Der Zweck – die Aufrechterhaltung des politischen Gewaltmonopols, d. h. die permanente Entwaffnung der Gesellschaft – heiligte in diesem Modell den Einsatz der tauglichen Zwangsmittel, die folglich allein durch ihre Zweckmäßigkeit gerechtfertigt wären.

      Diese Art Gesellschaftsvertragslehre hätte demnach keinerlei interne Bezüge zum Prinzip der Volkssouveränität. Sie sollte zutreffender als Herrschaftsvertragslehren bezeichnet werden. Aber: eine kontraktuelle Theorie der Legitimität politischer Herrschaft bleibt auch diese dem Normativismus denkbar fern stehende Variante: Die Rechtmäßigkeit der Herrschaft beruht immer noch auf dem Konsens der Herrschaftsunterworfenen, auch wenn deren Einverständnis nicht aus einem förmlichen Beschluss hervorgeht, sondern sich lediglich aus konkludentem Verhalten (etwa der Permanenz des Wohnsitzes) indirekt erschließen lässt.

      Auf der anderen Seite ließe sich der Gesellschaftsvertrag von vornherein als ein Akt der Volkssouveränität denken. Diese Art von Gesellschaftsvertrag würde dann in einem ersten Akt keine zentrale Zwangsgewalt begründen, sondern vor allem anderen einen gesetzgebenden Souverän auszeichnen, der mit dem Volk identisch oder aber dessen Stellvertreter sein kann. Der Gesetzgeber erhielte damit die Befugnis, eine exekutive und eine judikative Gewalt einzurichten, deren Rechtssetzungskompetenzen aber den Normbefehlen des Gesetzgebers untergeordnet blieben. Diese Art Gesellschaftsvertragslehre wäre von Grund auf volkssouveränitär konstruiert, weil eine ‚lückenlose‘ Reihe von gestuften Souveränitätsausübungsrechten zustande käme, die von der jeweils ‚höheren‘ auf die jeweils ‚niedrigere‘ Funktion übertragen würde. Allen ‚politischen‘ Funktionen wäre jedoch gemeinsam, dass sie lediglich übertragene Ämter wären, die im Falle des Missbrauchs auch wieder entzogen und anderweitig vergeben werden könnten. Auch wenn John Locke zweifellos der idealtypische Vertreter dieser Art Gesellschaftsvertragslehre ist, so findet sich doch insbesondere das Theoriemoment der gestuften Übertragung von Rechtssetzungskompetenzen bei zahlreichen Vertretern des aufgeklärten Kontraktualismus, so z. B. bei Sieyes.

      Eine Variante der demokratischen Gesellschaftsvertragstheorie ergänzt das Prinzip gesetzgebender Volkssouveränität durch das der Verfassunggebung: Der Akt, in dem sich Individuen zum Staatsvolk konstituieren, legt zugleich die innere Organisation des Staates fest, insbesondere die Verteilung der Teilkompetenzen der öffentlichen Gewalt. Vor allem wird bestimmt, wer in Zukunft befugt sein soll, die speziellen Gesetze zu geben, durch die die Verfassung revidiert werden kann.

      Aus der Perspektive demokratischer Theorien des pouvoir constituant ist die ursprüngliche Verfassung nichts anderes als die Artikulation des Willens der Gesellschaft, die sich vertraglich als Staatsvolk konstituiert. Folglich müsste dieser konstituierende Vertrag so beschlossen werden, dass jeder von ihm Betroffene maßgeblich an seiner Inkraftsetzung beteiligt wäre. Dieses prozedurale Legitimitätsprinzip impliziert auch, dass alle späteren Revisionen des positiven Verfassungsrechts maximalen, mindestens aber doch: gesteigerten demokratischen Ansprüchen genügen müssen. Begnügt man sich, wie in der Bundesrepublik, mit der Forderung nach qualifizierten parlamentarischen Mehrheiten, dann können Kontroversen darüber entstehen, ab wann eine Verfassungsrevision keine bloße Änderung mehr darstellt, sondern eine Verfassungssubstanzänderung, etwa indem die gesetzgebende Souveränität ganz oder teilweise auf andere als die verfassungsrechtlichen Organe übertragen würde. Republiken des eidgenössischen Typs sind dieser Problematik enthoben, insofern buchstäblich jede Verfassungsänderung – und sei es die Einfügung eines neuen Satzzeichens – allein durch obligatorische Referenden beschlossen werden kann.

      Eine vierte Theorievariante beruft sich auf die Theorie der verfassunggebenden Gewalt des Volkes, um sie für eine antidemokratische Legitimationskonzeption nutzbar zu machen. Die französische Lehre vom pouvoir constituant wird aller prozeduralen Aspekte beraubt und dient in dieser diffundierten Gestalt zur Rechtfertigung einer Diktaturlehre, die sich missbräuchlich als demokratisch bezeichnet.

      Im Groben lässt sich sagen, dass die erste und die vierte Theorievariante den Gesellschaftsvertrag (bzw. die verfassunggebende Gewalt des Volkes) als bloßes theoretisches Konstrukt betrachtet, während sie gemäß der zweiten und der dritten Konzeption eine praktische Idee ist, die normative Festlegungen enthält: Sowohl das Verfahren der Verfassunggebung als auch die Qualität des in Geltung zu setzenden Staatsrechts kann nun nicht beliebig ausfallen. Zwischen diesen gedanklichen Extremen sind selbstredend zahlreiche Zwischentypen möglich, deren Nähe zu dem einen oder anderen Idealtyp sich dann auch spezifizieren lassen sollte.

      Der Philosoph, der in der Regel als Begründer der neuzeitlichen Gesellschaftsvertragslehre angesehen wird, ist Thomas Hobbes (1588–1679). Zwar zeichnet er den Naturzustand in denkbar düsteren Farben, doch lässt sich dies kaum seinem angeblichen anthropologischen Pessimismus zuschreiben, sondern ist – angesichts der heute in afrikanischen failed states herrschenden Bürgerkriege – als großes Verdienst zu werten, weil Hobbes die unausweichlichen praktischen Folgen eines Zusammenbruchs des staatlichen Gewaltmonopols in aller Konsequenz schildert.

      Unter dem Naturzustand versteht Hobbes einen gesellschaftlichen Zustand, in dem es keine, alle Individuen an Macht übertreffende Zentralgewalt gibt. Insofern der Mensch naturgesetzlich dazu bestimmt ist, sich selbst zu erhalten, habe er auch das Recht, sich die Mittel für sein Überleben zu beschaffen (Hobbes, Leviathan, Kap.14, 99). Da die benötigten Güter jedoch knapp sind, wird jedes Individuum genötigt, seine Selbsterhaltung auf Kosten anderer zu betreiben. Denn er kann sein Überleben nur auf Dauer sichern, wenn er den, der ihn in seiner Existenz (jedenfalls potenziell) bedroht, unterwirft. Also hat in einem solchen Zustand jedermann ein Recht auf alles (ebd.) und also auch die Befugnis, präventiv Gewalt gegen potenzielle Feinde auszuüben, was jedoch dazu führt, dass niemandes Leben auf Dauer