Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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hat­ten. Da ich schon vom zwölf­ten Jahr an für den Druck über­setz­te, war mei­ne Fe­der sehr ge­übt, und das Na­del­geld, das dar­aus floss, ent­las­te­te mei­ne El­tern von al­len Son­der­aus­ga­ben für die Toch­ter. Als mein Va­ter sah, dass er mir auch klei­ne scho­nen­de Kür­zun­gen und Über­gän­ge, die ge­le­gent­lich an den Tex­ten nö­tig wur­den, ge­trost über­las­sen konn­te, war er sehr zu­frie­den mit mir. Durch Hey­ses Ver­mitt­lung er­hielt ich nun auch einen zwei­bän­di­gen ita­lie­ni­schen Ro­man zum Ver­deut­schen und Zu­sam­men­zie­hen, die präch­ti­gen »Erin­ne­run­gen ei­nes Acht­zig­jäh­ri­gen« von Ip­po­li­to Nie­vo. Ich kam aber nur sehr lang­sam vor­wärts, da ich noch lan­ge kei­nen ei­ge­nen Raum hat­te und im ge­mein­sa­men Fa­mi­li­en­zim­mer schrei­ben muss­te, wo auch die Be­su­che emp­fan­gen wur­den und wo ich häu­fig zwi­schen dem Ge­spräch und der Ar­beit ge­teilt saß. – Mei­ne größ­te Schwie­rig­keit aber war und blieb das Ver­hält­nis zu der ab­göt­tisch ge­lieb­ten Mut­ter. Ihre da­ma­li­gen Le­bens­an­schau­un­gen, ganz aus der Theo­rie ge­bo­ren, schweb­ten ja so hoch über der Erde, dass sie die Be­din­gun­gen un­se­res Pla­ne­ten über­sa­hen: sie ver­tru­gen sich we­der mit dem na­tür­li­chen Ge­fühl ei­nes her­an­rei­fen­den Mäd­chens noch mit de­ren Stel­lung zur Au­ßen­welt. Sie dar­auf hin­wei­sen, hieß den Zwie­spalt ver­schär­fen, denn ihre Kämp­fer­see­le fand, dass man nicht frü­he ge­nug für sei­ne Über­zeu­gun­gen strei­ten und lei­den kön­ne, und be­dach­te da­bei nicht, dass es ja viel­fach gar nicht die mei­ni­gen wa­ren.

      So hat­te ich glück­lich das sech­zehn­te Jahr er­reicht. Aber das große, au­ßer­or­dent­li­che, je­nes un­fass­ba­re »Es« woll­te nicht kom­men. Es blieb nichts üb­rig, als in Fan­ta­sie und Dich­tung nach dem Stof­fe zu su­chen, den das ei­ge­ne Le­ben nicht zu bie­ten hat­te. Auch für an­de­re gab es in der Enge des Da­seins kei­ne rech­te Gren­ze zwi­schen Wunsch und Wirk­lich­keit. Als mir ein­mal eine bild­hüb­sche Al­ters­ge­nos­sin ge­heim­nis­voll an­ver­trau­te, dass ihr bei der Pa­ra­de in Stutt­gart ihr Lieb­lings­dich­ter Theo­dor Kör­ner er­schie­nen und ihr zu Pfer­de bis an die Haus­tür ge­folgt sei, hü­te­te ich mich wohl zu er­wi­dern, es wer­de eben ein Of­fi­zier der Gar­ni­son dem Sän­ger­hel­den ähn­lich se­hen, son­dern ließ die Sa­che da­hin­ge­stellt, da ich ja doch täg­lich auch auf ein Wun­der war­te­te. Soll­ten denn nicht um der Sech­zehn­jäh­ri­gen wil­len, wenn sie gar so nied­lich sind, die Längst­ver­stor­be­nen aus den Grä­bern stei­gen? Was mich be­trifft; so such­te ich mir mei­ne Schwär­me­rei­en na­tür­lich un­ter den Grie­chen. Es war ja das Schö­ne, dass gar kein Bü­cher­staub auf ih­ren Häup­tern lag, weil Mama uns von klein auf ge­wöhnt hat­te, mit ih­nen wie mit Le­ben­di­gen zu ver­keh­ren. Man ging in ihre Welt, wie man in ein an­de­res Stock­werk tritt; so konn­te man sie auch nach ei­ner Ball­nacht gleich wie­der fin­den. Mit der Zeit­rech­nung ließ ich mich oh­ne­hin nicht ein. Al­les Ver­gan­ge­ne war mir noch vor­han­den und nur wie zu­fäl­lig ab­we­send. Wenn ich des Nachts im Bet­te noch mit dem Nach­hall der Tanz­mu­sik in den Ohren ein Ka­pi­tel im Plut­arch las, so war das kei­ne Li­te­ra­tur, son­dern ein Wie­der­se­hen mit al­ten Freun­den. Vor al­lem schi­en es mir, als hät­te ich den Al­ki­bia­des per­sön­lich ge­kannt. Denn je we­ni­ger das Auge im da­ma­li­gen Schwa­ben­land durch Glanz und Gra­zie der Per­sön­lich­keit ver­wöhnt wur­de, de­sto grö­ße­ren Wert ge­wan­nen die­se Ei­gen­schaf­ten. Die Hal­tung und das Lä­cheln, wo­mit in Pla­tons Gast­mahl der bän­der­ge­schmück­te Al­ki­bia­des in Beglei­tung der Flö­ten­spie­le­rin über die Schwel­le tritt, stan­den mir so deut­lich vor Au­gen, dass ich Jah­re spä­ter vor der an­ti­ken Grip­pe des auf den Am­pe­los ge­stütz­ten Dio­ny­sos in den Uf­fi­zi­en zu Flo­renz bei­na­he aus­ge­ru­fen hät­te: Das ist er ja! Genau so an­ge­hei­tert und mit so ge­nia­ler Leicht­fer­tig­keit sah ich den Athe­ner über jene Schwel­le tre­ten. Wenn ich nun von die­ser Ge­stalt sprach, ge­sch­ah es mit ei­nem Aus­druck al­ler­per­sön­lichs­ten Wohl­ge­fal­lens, wo­durch ich treue Freun­des­her­zen, die mit dem Al­ki­bia­des kei­ne Ähn­lich­keit hat­ten, sehr vor den Kopf stieß. Ei­ner von ih­nen ge­stand mir noch nach vie­len Jah­ren, dass er eine Zeit lang bit­ter ei­fer­süch­tig auf den schö­nen Athe­ner ge­we­sen sei. Der Sinn für die äu­ße­re Er­schei­nung war in mei­ner da­ma­li­gen Um­welt sehr we­nig ent­wi­ckelt. Über die Schön­heit mensch­li­cher Kör­per­for­men herrsch­te die größ­te Un­si­cher­heit; es fiel mir spä­ter in Ita­li­en sehr auf, wie ge­nau das süd­li­che Volk dar­über Be­scheid weiß. Auch wur­de nur die weib­li­che Schön­heit be­wun­dert, bei Män­nern galt sie eher für einen Ma­kel und na­he­zu für un­ver­ein­bar mit mann­haf­ten Ei­gen­schaf­ten. Ver­nach­läs­si­gung des ei­ge­nen Kör­pers wur­de mit Be­wusst­sein, wenn nicht gar mit sitt­li­chem Stolz ge­übt. Was Wun­der, dass ich, die von den Grie­chen her­kam, den Wert der Schön­heit noch über­trieb und Adel der Er­schei­nung für das Al­ler­we­sent­lichs­te an­sah, für das Ge­fäß und Sie­gel der Voll­kom­men­heit!

      Wir be­fan­den uns mit­ten im Som­mer 70. In Nie­der­nau wur­de eif­rig ge­tanzt. Hed­wig Wil­hel­mi war mit ih­rer jetzt zwölf­jäh­ri­gen Ber­ta aus Gra­na­da ge­kom­men und be­wohn­te ein Haus in der Gar­ten­stra­ße, ver­brach­te aber fast ihre gan­ze Zeit mit uns. Auch Lili hielt sich un­ter den Fit­ti­chen ih­rer Mut­ter wie­der in Tü­bin­gen auf. Sie stand jetzt im acht­zehn­ten Jahr und ihre Mäd­chen­ta­ge wa­ren ge­zählt, denn dies war die äu­ßers­te Frist, die ihre Mut­ter ihr ge­stellt hat­te, um ihre Wahl fürs Le­ben zu tref­fen; die selbst noch schö­ne und be­gehr­te Frau war im Be­griff sich wie­der zu ver­hei­ra­ten und woll­te zu­vor die Toch­ter glück­lich ver­sorgt wis­sen. Un­ter Li­lis Ver­eh­rern war ei­ner, der sich schon in ih­rem drei­zehn­ten Jahr, als sie mit dem Pelz­mütz­chen und der wip­pen­den Kri­no­li­ne zur Schlitt­schuh­bahn ging, in den Kopf ge­setzt hat­te, die jun­ge Gra­zie der­einst heim­zu­füh­ren. Lili hat­te sich all die Jah­re lei­se ge­wehrt, weil der Sanf­ten, Wil­len­lo­sen bei dem star­ken Wil­len und der rück­sichts­lo­sen Tat­kraft des Frei­ers et­was bäng­lich zu­mu­te war, aber die­sel­ben Ei­gen­schaf­ten ga­ben der Mut­ter die Über­zeu­gung, dass er der rech­te sei, das Glück ih­rer Toch­ter zu bau­en. So war Lili ei­nes Ta­ges Braut, ohne recht zu wis­sen, wie, und die Hand, in die sie dies­mal die ihre leg­te, fass­te mit fes­tem Grif­fe zu, der nicht mehr losließ. Sie fand sich mit ih­rer ge­las­se­nen Lie­bens­wür­dig­keit auch in die­se neue Lage. Bei der öf­fent­li­chen Ver­lo­bung, die in der »Neckar­mül­le­rei« mit Cham­pa­gner ge­fei­ert wur­de, bat sie sich aus, noch ein­mal zwi­schen ih­ren zwei Her­zens­schwes­tern, mir und der klei­nen Ber­ta, sit­zen zu dür­fen. Es war ein letz­tes An­klam­mern an die Mäd­chen­zeit, das der Bräu­ti­gam ver­stand und schon­te. Un­ter der fest­li­chen Lau­be gab sie mir jetzt die letz­te An­lei­tung in der Le­bens­kunst. Cham­pa­gner­trin­ken ge­hö­re zur Welt­bil­dung, hat­te sie mir öf­ters zu ver­ste­hen ge­ge­ben, das sei so recht das Tüp­fel­chen aufs I. Ich schäm­te mich also, noch kei­nen ge­trun­ken zu ha­ben. Aber nach dem ers­ten Glas wur­den mir zu mei­ner Ver­wun­de­rung die Au­gen­de­ckel schwer, und als Lili mir zur Auf­fri­schung das zwei­te ein­goss, be­gan­nen die Ge­gen­stän­de zu ver­schwim­men. Die klei­ne Ber­ta war im glei­chen Fall, da­her Lili, die zu­gab, et­was Ähn­li­ches zu emp­fin­den, uns nun­mehr eine Geh­pro­be an­riet. Wir zwei Jün­ge­ren stan­den auf, die schö­ne Braut, die sich den gan­zen Tag nicht von uns tren­nen