dass Gustavs Name zunächst nicht genannt werden dürfe. Es könnte doch nach der Persönlichkeit geforscht werden und herauskommen, wer hinter dem Gustav Borck stecke. Das sollte erst nach einem großen Sieg enthüllt werden. Unterdessen sollte die Dichtung Berkas Namen tragen. O welche Hoffnungen habe ich auf die Aufführung gesetzt. Ich glaubte, danach würde der Verfasser ins Vaterland zurückgerufen werden und alles verstanden und verziehen sein. Er glaubte es auch, wenn er gleich nicht davon sprach, sein Schiff ging auf den höchsten Wogen. Aber in Berlin meinten sie, wegen sachlicher Schwierigkeiten eine Aufführung des Ganzen zunächst nicht wagen zu können. Man wollte es fürs erste mit dem Mittelstück, der Varusschlacht, die auch für sich bestehen könne, versuchen. Und an dieser sollten noch Änderungen angebracht werden. Gustav willigte in alles, er war so nachgiebig, so zugänglich in seiner Freude. Nun gab es ein beständiges Hin- und Herfahren des bewussten Herrn, versteht sich, auf Gustavs Kosten, bis alles so weit war. Das letztemal fuhr er selber mit und wohnte unerkannt der Aufführung bei. Im Theater geriet er fast von Sinnen. Über seinen Kopf hinweg hatten sie Striche gemacht, die ihm sein ganzes Stück verhunzten. Auch so, verstümmelt und fast entmannt, hätte es noch einen starken Eindruck machen müssen, wäre nur eine Hörerschaft da gewesen, die starker Eindrücke fähig ist. Aber was bringt sattes Großstadtpublikum der hohen Kunst entgegen? Eine höfliche Langeweile, wenn sich’s um bekannte Größen handelt, bei unbekannten ein offenes Gähnen. Freilich, es gab auch feinere Geister, die hingerissen waren, und es wurden Worte geschrieben, die ihn wohl hätten über die Gleichgültigkeit des Haufens trösten können, wenn er damals irgendeinem Lichtstrahl zugänglich gewesen wäre. Aber es muss wohl auf jener Reise noch ein anderes Unheil ihn ereilt haben, denn er blieb danach lange Zeit in einer Art von Erstarrung, die allen auffiel.
Was könnte das für ein Unheil gewesen sein? forschte ich.
Ich weiß es nicht, irgendeine böse Entdeckung, er spricht nicht darüber. Aber es hat ihn furchtbar geschüttelt, er hatte bei seiner Rückkehr keinen Blutstropfen mehr im Gesicht und hat auch die frühere frische Farbe nie zurückbekommen. Er ging dann in die Berge und war wochenlang verschollen. Ach, was habe ich gelitten! Als er wiederkam, war’s wie nach einem Kampf mit Höllengeistern. Sein Gesicht war zerfallen, er hatte weiße Haare. Aber es ging vorüber, er stürzte sich in neue Arbeit, die riss ihn heraus, die rettete ihn. Und als es sich zeigte, dass er sein Vertrauen einem Betrüger geschenkt hatte, der nach allerlei Schurkereien mit seinem Werk verduftete, da nahm er den neuen Schlag merkwürdigerweise ganz gelassen.
Er hat ohne Zweifel eine Abschrift zurückbehalten.
Ich weiß es nicht genau. Das alles wird er Ihnen ja selber sagen. Welch ein Labsal für ihn, dass Sie da sind. Ihr Stillschweigen hat ihn mehr gequält, als er gestehen mochte; er glaubte, Sie hätten ihn absichtlich fallen lassen.
Wie konnte ich denn schreiben, wenn ich nicht wusste, wohin? antwortete ich. Ein Brief nach Heiden kam als unbestellbar zurück.
Ich sagte immer: Der Mohikaner lässt nicht von dir; wenn er nicht schreibt, so ist es, weil er nicht schreiben kann. Gib acht, er taucht eines Tages plötzlich auf und wird dann ganz der Alte sein.
Und hier ist er, um zu beweisen, dass Sie recht hatten, sagte ich. Aber jetzt muss ich aufbrechen, denn ich werde im Gasthof erwartet.
Als sie erfuhr, dass ich nicht mehr allein sei, sondern ihr eine Freundin und Schwester mitgebracht habe, blickte sie zuerst betreten. Sie schien zu fürchten, dass Gustav dabei einen Verlust erleide. Aber schnell besiegte sie die Anwandlung und sagte, meine Hände fassend:
Gott segne Sie und mache Sie so glücklich, wie Ihre Freundschaft für uns es verdient. Es war an der Zeit, dass Sie endlich auch an das eigene Glück dachten, statt einzig für das der Freunde zu sorgen. Also Angela heißt sie? Ein lieber Name. Aber warum haben Sie sie nicht mitgebracht? Holen Sie sie nur gleich. Nein, warten Sie, wir gehen zusammen. Sie müssen beide heut abend meine Gäste sein. Meine, wohlverstanden, denn morgen wird Gustav seine Rechte an Sie geltend machen, da habe ich mich auszulöschen, aber heute bin auch ich ein Mensch.
Sie ging an meinem Arm die Bahnhofstraße hinunter. Im Freilicht erkannte ich, dass ihre Schönheit viel von dem lockenden Reiz verloren hatte, dafür aber feiner, geistiger geworden war. Die ehrerbietigen Grüße, die ihr zuteil wurden, und die Blicke, die ihr folgten, sagten mir, wie ihr Name gefeiert war. Dass sie einen Zeugen ihrer künstlerischen Geltung neben sich hatte, mochte ihr wohltun, da Gustav augenscheinlich keine Kenntnis davon nahm.
Aber als ich sie vor mir her ins Gasthofzimmer schob, blickte die bewunderte Künstlerin unter ihrem Prachtut verschüchtert auf die vornehme Einfachheit des Grafenkindes. Doch kaum hatte sie den ersten Laut von ihren Lippen vernommen, als sie auch schon an ihrem Halse lag.
Mit einer solchen Stimme kann man nur sein, was der holdselige Name sagt.
Die Beiden küssten sich schwesterlich und schlossen von Stund an Freundschaft. Wir verbrachten einen frohen Abend, wobei in Selma die alte Glücksnatur wieder durchbrach, die sie ihrem ernsten Gefährten zuliebe bis zum Verlöschen abgedämpft hatte. Als wir heimgingen, zog ein spätes Gestirn mit wunderbar farbigen Strahlen gerade über der Spitze ihres Daches auf. Ich meinte in hoffnungsvoller Verblendung, dass es vielleicht doch noch einen Glücksstern für den verfemten Mann und seine mittragende Gefährtin gebe. Aber Angela, die beim Durchschreiten der Wohnung die weitgetrennten Räume gesehen hatte, wo die beiden jetzt hausten, sagte beklommen:
Dies ist kein Haus des Glücks. Dein Freund ist wieder Junggeselle geworden, ein einsamer, verbitterter, und Selma trägt schwer an ihrer Witwenschaft; sie bricht ihr langsam das Herz. Auch ist die Arme ja lungenkrank und sollte sobald wie möglich in ein besseres Klima verpflanzt werden. Hast du das Gehüstel nicht bemerkt und die jähen Hitzen? Ihr Mann muss ein Nachtwandler sein, wenn er daneben hinlebt, ohne zu sehen und zu hören.
Gustavs Anblick, als wir uns wiedersahen, zerschnitt mir das Herz, dass ich ihm nicht böse sein konnte für das, was er Selma antat. So hatte ich sein Aussehen nicht erwartet. Sein Gesicht war ganz starr, beinahe maskenhaft, wie von jähem Schrecken versteinert, und durch das schöne dichte Haar zogen sich Silberfäden. Am meisten ergriff mich seine freudige Rührung über meinen Besuch, die er kaum zu beherrschen wusste, sie bewies mehr als alles seine tiefe Vereinsamung. Aber er kam erfrischt aus den Bergen und trug sich, wie ich sah, mit neuen großen Plänen.
Diesmal hab’ ich meine Flügel von Pella bis nach Babylon und an den Indus ausgespannt.
Ich erschrak. Ein Alexanderdrama. Das