Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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be­rausch­te mich wie­der­um ganz und gar, und wir sa­ßen bis zum Abend über sei­nen neu­en Pa­pie­ren, be­vor ich za­gend nach dem Schick­sal des »Be­frei­ers« frag­te.

      Er blieb ganz ru­hig.

      Ich glau­be nicht, dass Ber­ka von An­fang an die Ab­sicht hat­te, mir das Werk zu steh­len. Er woll­te es nur als Sprung­brett in die Öf­fent­lich­keit be­nüt­zen und hät­te spä­ter gern oder un­gern den wah­ren Ver­fas­ser ge­nannt. Doch nach­dem er in einen Pro­zess we­gen Pla­gi­ats, be­gan­gen an ei­nem we­nig be­kann­ten ver­stor­be­nen Schrift­stel­ler, ver­wi­ckelt wor­den war und die Sa­che einen für ihn schmäh­li­chen Aus­gang zu neh­men droh­te, ver­schwand er plötz­lich und nahm mei­ne Dich­tung mit.

      Aber die­se ist doch ge­ret­tet? Du hat­test eine Ab­schrift?

      Ja und nein. Ich konn­te sie aus Zet­teln wie­der­her­stel­len, aber nicht in der al­ten Fas­sung, denn ich be­saß nur eine fer­ti­ge Nie­der­schrift.

      Wel­che Un­vor­sich­tig­keit! fuhr ich her­aus.

      Du hast recht, aber die Sa­che eil­te, und da­mals reg­te sich schon un­ge­dul­dig der Alex­an­der in mir.

      Was wirst du jetzt mit der neu­en Fas­sung an­fan­gen? be­harr­te ich.

      Er lach­te bit­ter: War­ten, bis sie in Deutsch­land das Gro­ße er­tra­gen ler­nen und un­ter­des­sen er­folg­los weiter­schaf­fen, wie es alle Star­ken, Ein­sa­men ge­mußt ha­ben.

      Die Ber­li­ner Auf­füh­rung ist zur Un­zeit ge­kom­men, trös­te­te ich. Vor dem Krieg wäre die Dich­tung ver­stan­den wor­den, sie wird spä­ter ver­stan­den wer­den, wenn die Geis­ter sich be­ru­higt ha­ben.

      Eine hohe Kunst wird bei uns im­mer zur Un­zeit kom­men, ent­geg­ne­te er schnei­dend. Wäre es um das deut­sche Selbst­ge­fühl, so woll­te ich mich gar nicht be­schwe­ren. Aber hin­dert das deut­sche Selbst­ge­fühl die Ber­li­ner, Abend für Abend dem jäm­mer­lichs­ten fran­zö­si­schen Trö­del nach­zu­lau­fen? Höh­nen sie nicht als rück­stän­dig je­den, der den ar­men Flit­ter ver­ach­tet und von ech­ter deut­scher Dich­tung über­haupt spricht? – Sie lehn­ten mei­nen »Be­frei­er« ab, an­geb­lich weil ich zu mensch­lich mit den Rö­mern ver­fuhr. Sie wer­den eben­so mei­nen Alex­an­der ab­leh­nen, ich sehe es kom­men, weil ihre Ge­hir­ne für sol­che Maße über­haupt nicht ein­ge­rich­tet sind.

      Schilt mir nicht die Deut­schen, sag­te ich, als ob es an­der­wärts bes­ser wäre. Bei ih­nen macht das Gro­ße lang­sam sei­nen Weg, es macht ihn doch. An­der­wärts kön­nen Wer­ke von sol­chem Tief­gang nicht ein­mal ent­ste­hen.

      Un­glück­li­cher­wei­se setz­te sich die­ses Ge­spräch an Gu­stavs Stamm­tisch, wo­hin er mich führ­te, fast ohne mein Zu­tun fort.

      Ich brin­ge dich jetzt un­ter Men­schen, für die dein Freund nicht nur der Gat­te Sel­ma Ha­nuschs ist, son­dern auch sel­ber et­was gilt – näm­lich als Berg­stei­ger, hat­te er mir un­ter­wegs mit bit­te­rer Selbstiro­nie ge­sagt. – Ja, stau­ne nur, so weit habe ich es im Le­ben ge­bracht, ich könn­te je­den Tag ein Füh­rer­zeug­nis er­lan­gen, und sol­che Vor­zü­ge weiß man hier zu schät­zen.

      Es war ein li­te­ra­ri­scher Zir­kel, der sich wö­chent­lich ein­mal beim Wei­ne traf, zum großen Teil Lands­leu­te, die sich von der in­ne­ren Ent­wick­lung des Rei­ches un­be­frie­digt ins Aus­land be­ge­ben hat­ten, wo sie sich nun ge­gen­sei­tig in ih­rem Miss­mut be­stärk­ten. Gu­stav trat herb und hoch­fah­rend auf, wie im­mer, wenn er sich un­ter­schätzt fühl­te, und war doch auf die­sen Ver­kehr an­ge­wie­sen, woll­te er nicht ganz er­star­ren. Er hielt alle im Ab­stand, und man konn­te wohl se­hen, dass er mehr ge­fürch­tet als be­liebt war. Kein Wun­der, man kann­te ihn nur als wit­zi­gen und spit­zi­gen Kri­ti­ker, der für eine Rei­he von großen Blät­tern Li­te­ra­tur­be­rich­te schrieb, von sei­nen schöp­fe­ri­schen Kräf­ten schie­nen die we­nigs­ten der An­we­sen­den zu wis­sen.

      Un­ter den Deut­schen wa­ren Men­schen von Geist, aber mit dem ver­eng­ten Ge­sichts­feld de­rer, die vom ei­ge­nen Ge­mein­we­sen los­ge­ris­sen sind ohne An­schluss an das frem­de, und die sich nun auf ein un­frucht­ba­res all­ge­mei­nes Nein­sa­gen be­schrän­ken. Trotz mei­ner ei­ge­nen Ent­täu­schung über so man­ches, was ich im Reich ge­se­hen hat­te, quoll der Schmerz in mir hoch, eine gan­ze An­zahl fein­ge­bil­de­ter Geis­ter vor mir zu ha­ben, die so gar nichts von je­ner Selbst­be­haup­tung in sich tru­gen, ohne die ein Volk sich nicht auf die Dau­er groß und frei er­hal­ten kann, und die sich nicht ent­blö­de­ten, vor aus­län­di­schen Ohren eine Kri­tik am Va­ter­lan­de zu üben, wie sie nur in den en­gen Kreis der Lands­leu­te ge­hört. So kam es, dass ich eine Rei­he von Fra­gen ins Ge­spräch warf, auf die es im Grun­de kei­ne Ant­wort gibt.

      Wie kommt es, sag­te ich, dass der Deut­sche alle frem­den Volks­ge­bil­de um ihre Ge­schlos­sen­heit be­wun­dert, dass er ihre See­len in die sei­ne auf­nimmt und für ihre Rech­te ein­tritt, und dass er der glei­chen star­ken Emp­fin­dung für sein ei­ge­nes großes fast strot­zen­des Volk so we­nig fä­hig ist? Oder wenn er sie in Au­gen­bli­cken auf­schwel­len­der In­brunst ge­hegt hat, warum ver­leug­net er sie gleich dar­auf und scheint sich ih­rer zu schä­men, als ob er da­mit ei­ner hö­he­ren, nur ihm sel­ber auf­er­leg­ten Sen­dung un­treu ge­wor­den wäre? An­ge­grif­fen, wehrt er sich je­des Mal wie ein Ber­ser­ker, aber so­bald der Sturm vor­über ist, ver­wirrt sich sein Ge­fühl; er zer­fällt wie­der mit sich und tut das Ge­gen­teil von dem, was ihm an den an­dern schön ist: er gibt sei­nen Mit­tel­punkt auf, um ohne Pol im Lee­ren zu schwe­ben. Liegt die­ser Ein­stel­lung ein Un­ver­mö­gen zu­grun­de, das viel­leicht mit dem Man­gel star­ker Land­schaftspro­fi­le und mit den all­sei­tig of­fe­nen Gren­zen zu­sam­men­hängt? Oder ist es viel­mehr das Ah­nen ei­nes We­ges zu hö­he­rer pla­ne­ta­ri­scher Zu­kunft, den kei­ner als der Deut­sche mit die­ser Be­son­der­heit fin­den kann und soll?

      Die Un­zu­frie­de­nen ver­stumm­ten eine Wei­le. Dann sag­te Gu­stav:

      Es sind Ge­heim­nis­se. Goe­the mag et­was da­von ge­ahnt ha­ben, aber er durf­te es nicht sa­gen. Im­mer muss ja die letz­te Wahr­heit stumm blei­ben wie am Os­ter­mah­le des Herrn: Ihr kön­net es für jetzt nicht tra­gen.

      Die­se Wor­te aus dem Jo­han­ni­sevan­ge­li­um wa­ren ganz of­fen­bar mit An­füh­rungs­zei­chen ge­spro­chen. Aber jetzt ge­sch­ah et­was völ­lig Wi­der­sin­ni­ges und Un­be­greif­li­ches: Ei­ner der An­we­sen­den, der oh­ne­hin ge­gen Gu­stav ge­la­den schi­en, be­zog sie auf sich selbst und sei­ne Um­ge­bung. Es war ei­ner je­ner poe­ti­schen Di­let­tan­ten, die sich an die Be­ru­fe­nen he­randrän­gen, und wenn sie nicht die er­war­te­te Auf­mun­te­rung fin­den, sich gern durch heim­li­che Feind­se­lig­keit für den auf­ge­wand­ten Weih­rauch rä­chen. Gu­stav, bei sei­ner Uner­bitt­lich­keit ge­gen sich und an­de­re, moch­te ihm ein be­son­ders stren­ger Rich­ter ge­we­sen sein.

      Als hät­te er nur auf einen An­lass ge­war­tet, fuhr er her­aus:

      Was wir tra­gen kön­nen oder nicht, ha­ben Sie nicht zu ent­schei­den. Wir sind hier kei­ne Schul­kin­der, die sich ihre Fä­hig­kei­ten vom Herrn Ober­leh­rer be­zeu­gen las­sen müs­sen.

      Gu­stav, der sich nie­mals zum Ein­len­ken und Be­gü­ti­gen her­beiließ, auch nicht, wenn man ihn au­gen­schein­lich miss­ver­stand, sag­te nur von oben her­ab: