auch die freilich die ohnehin nicht breite Straße noch mehr verengenden "Beischläge" (Vortreppen mit Eisengeländer und allerlei Verzierungen) der neuzeitlichen Entwicklung zum Opfer gefallen: in dem nüchternen Königsberg denkt man anscheinend ungeschichtlicher als in der Stadt an der Weichselmündung. Außerdem beherbergte der Kneiphof noch die schon 1324 begründete "Thum" (Dom)-Kirche, einen altertümlichen Backsteinbau, nebst den dicht dabei gelegenen Gebäuden des Kneiphöfschen Gymnasiums und der Universität (heute Stadtbibliothek): eine der wenigen Stellen Königsbergs, wo man heute noch still von vergangenen Zeiten träumen kann. Ferner das noch jetzt den Hauptsitz der städtischen Verwaltung bildende Rathaus, endlich das unmittelbar am Pregelufer auf Pfählen erbaute Börsengebäude: so dass hier Kirche, Wissenschaft und Handel in trauter Nachbarschaft zusammenstießen.
Ging man vom Kneiphof, auf der Krämerbrücke den nördlichen Pregelarm oder "neuen" Pregel überschreitend, in gerader Richtung auf das Schloß zu, so gelangte man bergansteigend – dichterische Gemüter haben Königsberg wohl mit der Siebenhügelstadt am Tiber verglichen – in die Altstadt, den Hauptwohnsitz der wohlhabenden Kleinbürgerschaft: der Tuchkaufleute, Kürschner, Schmiede und Schuhmacher. Sie dehnte sich mit ihren zahlreichen "Freiheiten" weit aus und besaß in älterer Zeit nicht weniger als acht Tore. In der Altstadt im engeren Sinn lag das Altstädtische Rathaus, zu Kants Zeit als Gerichtsgebäude verwandt, das Altstädtische Gymnasium, der Artushof oder Junker- und der Gemeindegarten, hier die Buchhandlungen und Buchdruckereien. Neben glänzenden Läden befanden sich in den engen Gassen vielfach auch düstere, dunkel angestrichene Häuser mit schwärzlich angerauchtem Gemäuer, die meisten mit Vorplätzen und -treppen versehen.
Im Zentrum und zugleich am höchsten, beherrschenden punkte der Stadt erhob sich das auch gegenwärtig fast noch unveränderte Schloß, in verschiedenen Jahrhunderten und Baustilen errichtet, mit seinen gewaltigen grauen Mauern, seinen zahlreichen, den weiten Innenhof umschließenden Gebäuden, seinem hochragenden schlanken Hauptturm, nebst den dicken Eck- und Warttürmen, in seinem Inneren den riesigen Moskowitersaal – noch immer einen der größten Säle Deutschlands —, eine besondere Kirche, eine Bibliothek u. a. bergend. In der Nähe des Schlosses begann der weit ausgedehnte Schloßteich, dessen Ufer damals noch überall bis an das Wasser herabreichende Gärten bildeten. Hier herrschte an schönen Sommerabenden, zumal wenn Konzerte oder eine italienische Nacht veranstaltet wurde, in der sonst so nüchternen Stadt bisweilen ein fast venetianisch anmutendes reges Treiben; das ärmere Volk sah dann von der seit 1753 das Wasser überquerenden Holzbrücke bewundernd dem prächtigen Schauspiel, im Winter dem Eislauf, zu. Vom Schloßplatz ostwärts schaute man auf die elegante Französische Straße mit ihren Buch- und Putzhandlungen, Konditoreien und Weinstuben, während nach Süden der Blick auf die rauchgeschwärzten tiefer liegenden Teile der Altstadt fiel.
An diese reihte sich gen Osten pregelaufwärts die dritte der einstigen Städte, der sogenannte Löbenicht, der Sitz der reichen Bierbrauer mit ihren nicht weniger als 87 Brauhäusern. Die alte Kirche brannte 1764 ab; die neue, deren zierlichen Turm der alte Kant von seinem Studierzimmer aus so gern sah, wurde bald darauf eingeweiht. Das frühere Rathaus war schon zu des Philosophen Lebzeiten ein Privathaus geworden, in dem auch er mehrere Jahre lang gewohnt hat.
An die innere Stadt schlossen sich auch nach den übrigen Seiten verschiedene, seit dem 16. Jahrhundert aus Dörfern, Vorwerken, Gärten usw. nach und nach entstandene Vorstädte an, hier "Freiheiten genannt. Im Gegensatz zu der dicht bebauten alten Stadt, waren dort erst die Hauptstraßenzüge mit Häusern, Scheunen, Speichern besetzt. Auch sie trugen einen verschiedenartigen Charakter. Der dem Stadtinneren nahe "Roßgarten" z. B. wies in seinem Beginn stattliche Häuser, Kaufläden und Geschäfte auf, während er nach außen hin in Krankenhäuser, später auch Kasernen endete. Der "Sackheim" mit seinen Kleinkramläden und Schänken diente besonders den in die Stadt kommenden Landleuten. Im Gegensatz dazu beherbergte die "Neue Sorge" die ansehnlichen Stadtwohnungen der Aristokratie. "Tragheim" wieder trug auf seiner an den Schloßteich grenzenden Seite vornehme Landhäuser, auf der gegenüberliegenden dagegen bescheidene Wohnungen kleiner Leute. Die Hauptstraße des "Steindamms" bildete den beliebtesten Spazierweg zu den Landgütern oder "Hufen" (dem heutigen Villenviertel Königsbergs) und von da auf den Wall, der sich in zwei Meilen Umfang mit zahlreichen Vorsprüngen und Buchten rings um die Stadt zog und zum Teil noch heute wechselnde Aussichten auf deren Umgebung: Wald, Fluren, Friedhöfe, den Oberteich, den Pregel und in der Ferne das frische Haff bietet.
Eine Welt für sich endlich bildete die zur Altstadt gehörige Freiheit Lastadie mit ihren den Pregel entlang sich ziehenden mächtigen, wenn auch architektonisch unschönen Speichern, Packhäusern, Wagen, Kranen, Schiffswerften und Zoll- oder Lizentgebäuden. Von den aus dem Haff einfahrenden Seeschiffen wurden am Holländer, von den aus dem Landesinnern kommenden Flußschiffen am Littauer "Baum", d. i. Schlagbaum, die Zollgebühren erhoben.
Bevölkerung
So verschiedenartig die einzelnen Stadtteile in ihrem Gepräge waren, so verschieden, beinahe noch mittelalterlich voneinander abgeschlossen, waren auch die einzelnen Klassen der Bevölkerung. Wer aus dem heutigen in das Königsberg des 18. Jahrhunderts versetzt würde, dem würde vor allen Dingen in die Augen fallen der Mangel einer eigentlichen Arbeiterschaft. Wohl gab es zu Kants Zeit schon eine mäßige Anzahl meist von Ausländern begründeter, zum Teil von "Schutzjuden" geleiteter Fabriken (der Leder-, Gaze-, Papier-, Tabak-, Seifen- und Tuchbereitung dienend), in denen um 1800 einige Tausend Menschen beschäftigt gewesen sein sollen; aber sie wurden doch sämtlich mehr oder weniger handwerksmäßig betrieben. Zu Arbeitern im heutigen Sinne konnte man fast nur die Lastträger an den Schiffen und in den Speichern am Pregel sowie die Brauknechte rechnen. So zählt denn Baczkos genaue Statistik vom Jahre 1787 neben 7826 Ehemännern, 609 Witwern und 1688 unverheirateten Männern, d. h. Selbständigen, bloß 1488 Gesellen, 1788 Lehrlinge und gar nur – 824 "Knechte und Diener" auf, von denen die letzteren gewiß zum größten Teil auf das Konto der persönlichen Bedienung fallen. Die Bürgerschaft zerfiel in Groß- und Kleinbürger. Zu den Großbürgern gehörten in erster Linie die Kaufleute des Kneiphof und der Altstadt, sodann die Brauherren des Löbenicht. Sie allein durften Großhandel mit Fremden treiben, ihre Hochzeiten auf dem Junkerhofe halten, sie stellten die Kirchen- und Stiftsvorsteher. Zu den Kleinbürgern zählten die Handwerker (darunter auch Kants Vater), die in jedem Stadtteil einen "Gemein-Ältesten" besaßen. Jede Zunft oder "Kunst" wählte ihren "Ältermann" auf Lebenszeit oder bestimmte Jahre; jede hatte ihre besondere Sterbe-, Kranken- und Armenkasse, ja sogar ihr eigenes Leichengerät. Noch im Jahre 1798 empfingen die Zünfte vor den Toren der Stadt das einziehende junge Königspaar mit ihren Fahnen und Musikkorps.
Der Adel wohnte nur zum Teil und im Winter in der Stadt. Aber auch, soweit er dort ansässig war, war es kein Hofadel. Seine Angehörigen fühlten sich mehr als selbständige Vasallen, denn als Untertanen. Noch im vorigen Jahrhundert sind Namen wie von Schön, von Hoverbeck, von Saucken u. a. durch den politischen Unabhängigkeitssinn ihrer Träger bekannt geworden. Ein Teil war freilich in den militärischen oder höheren Beamtendienst getreten.
Damit kommen wir zu einem weiteren, an Zahl bedeutenden Bruchteil der Bevölkerung: dem Militär. Die Garnison umfaßte um 1787 nicht weniger als drei Infanterieregimenter, von denen jedes gegen 2200 Mahn unter Waffen, ungerechnet die etwa 250 Frauen und Kinder, zählte; dazu noch zwei Füsilierbataillone, die Hälfte eines Dragonerregiments und eine Artilleriekompanie. Die Soldaten hatten damals noch keine Kasernen, sondern in verschiedenen Stadtteilen, je nach den Regimentern, ihre Bürgerquartiere.
Religionsbekenntnisse, Stände
Dem Religionsbekenntnis nach war Königsberg seit den Tagen der Reformation (1525) eine durchaus protestantische und zwar in der Hauptsache lutherische Stadt. Luthers ältester Sohn († 1575) lag in der Altstädtischen, Melanchthons. Tochter, die Gattin des ersten Rektors der Universität Sabinus, in der Domkirche begraben; im Senatszimmer des alten Kollegienhauses hingen die Bilder beider Reformatoren. Ja in dem Senatoreneid, den auch Kant hat leisten müssen, fand sich noch eine härte Stelle gegen alle "Sakramentarier", zu denen nach strenger Auffassung auch die Reformierten gehörten. Immerhin wurden diese bisweilen zu Professuren zugelassen, während man den Katholiken gegenüber exklusiv blieb. Die Reformierten zählten eine größere "teutsch-pohlnische"