Daphne Niko

DER FEUERVOGEL


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waren, dass sie wie von Menschenhand gemalt wirkten – und doch war es allein das Werk der Natur. Direkt dahinter, bei einer Ansammlung kleiner Sandstein-Hoodoos die auf vermenschlichende Art von roten Kappen gekrönt waren, gabelte sich der Weg.

      »Wir sollten den linken Pfad nehmen«, rief Nakai. »Dort gibt es einige interessante natürliche Petroglyphen.«

      Tocho warf einen Blick auf Phoebe, dann auf Sarah. »Der Weg ist anstrengender. Ist das für alle in Ordnung?«

      »Phoebe ist Reitanfängerin«, sagte Sarah. »Wenn es gefährlich ist …«

      »Ich komm schon klar«, warf Phoebe mit scharfer Stimme ein.

      Sarah machte sich eine gedankliche Notiz über den Ausbruch. Sie würde später mit ihr darüber sprechen. »Ja, dann. Reite voraus, Tocho.«

      Die Pferde trotteten zwischen Reihen von Salbeisträuchern tiefer in den Canyon hinein. Sie bogen auf einen schmaleren Pfad ab, der für Fahrzeuge unerreichbar war, und betraten eine Schlucht. In einer Reihe folgten die Pferde einer geschlungenen Route durch steile Klippen, die das Tageslicht verdunkelten und den Weg in Schatten tauchten.

      Sarah hörte ein Wiehern und sah über ihre Schulter. Phoebe hatte Probleme mit ihrem Pferd. Der Schritt des Ponys war voller nervöser Energie und seine Augen waren so geweitet, dass das Weiße funkelte.

      »Was … was soll ich machen?«

      »Hab keine Angst.« Sarahs Stimme war ruhig. »Das kann sie spüren.«

      Sarah ritt langsam rückwärts und griff nach den Zügeln. Als erfahrene Reiterin, die jahrelang Pferde besessen hatte, war sie zuversichtlich, dass sie die Situation unter Kontrolle bekäme.

      »Alles gut, Mädchen«, flüsterte sie dem Pony zu. »Dich hat was erschreckt, das ist alles.«

      Doch plötzlich rannte Phoebes Pferd davon, drängte sich im Versuch, die Felsspalte zu verlassen, an den anderen Reitern vorbei. Phoebe schrie gellend.

      Die drei Reiter hasteten ihr hinterher. Sarah grub ihren Absatz in die Flanke der Stute und beugte sich tief hinunter, während das Pferd über die rote Erde jagte. Seine Fuchsmähne flatterte ebenso wie die langen Flachslocken seiner Reiterin. Sarahs Augen brannten vom Ansturm aufgewirbelten Sandes und das beeinträchtigte ihre Sicht. Sie kniff die Augen zusammen, um den Schaden zu minimieren.

      Nakai schloss auf und galoppierte neben ihr her. »Ich kann sie sehen«, rief er.

      Sarah spähte durch den Staub und sah das gescheckte Pony auf ein riesiges Blockfeld zurennen. Zu ihrer Erleichterung war Phoebe noch im Sattel. Sie zwang ihre Stute zur Höchstgeschwindigkeit. Ihr Herzschlag raste im Einklang mit den Schritten des Pferdes. In Sekundenschnelle verringerte sie den Abstand genug, um zu sehen, wie Phoebes Pferd abrupt vor einem der windgeformten Felsen stehen blieb. Phoebe schwankte und einer ihrer Füße rutschte aus dem Steigbügel.

      »Halt dich fest!« Sarah biss die Zähne zusammen. Sie war so nah.

      Das Pony bäumte sich auf. Sarah musste zweimal hinsehen: War da ein zweites Pferd?

      Phoebe schrie, als sie den Halt im Sattel verlor und rückwärts fiel. Durch den Staubschleier hindurch beobachtete Sarah, wie sich der Reiter herabstieß, um das stürzende Mädchen zu packen und sie auf seinen eigenen Sattel zu heben. Tocho. Er musste eine Abkürzung genommen haben, um vor ihnen hier zu sein.

      Sarah und Nakai erreichten sie nur Sekunden später und brachten ihre Pferde zum Stehen. Sarah sprang aus dem Sattel und rannte zu Phoebe. Außer Atem krächzte sie: »Geht’s dir gut?«

      Tocho half Phoebe hinunter. Er sah genauso erschüttert aus wie sie.

      Das Mädchen erreichte den Boden mit zitternden Beinen. Als Sarah sie in den Arm nahm, warf sie einen Blick auf den roten Felsen hinter ihr. Zwischen den scheinbar zufälligen natürlichen Schnörkeln befand sich ein Kreis mit einem Fleck dahinter, wie eine Sonne, die versuchte, hindurchzuspähen. Ein kleinerer Kreis schwebte über dem größeren, oben rechts. Sie schauderte.

      Sarah wandte sich an Tocho. »Was ist das für ein Ort?«

      »Sightseeing, was?«

      »Wie bitte?«

      Er zeigte auf Phoebes Kappe. »University of Arizona, Abteilung für Archäologie. Sehen Sie? Wir können lesen.«

      Sarah verfluchte sich dafür, nicht früher an die Kappe gedacht zu haben. »Du bist Traditionalist. Es tut mir leid, wenn wir dich beleidigt haben.«

      »Lass gut sein, Mann«, sagte Nakai. »Die Archäologen sind nicht der Feind.«

      »Nein.« Er sah den Navajo böse an. »Der Feind ist unser eigenes Volk, das unsere Werte verrät.«

      Der Seitenhieb trieb Nakai das Blut ins Gesicht. »Du weißt gar nichts darüber. Es sollte uns freistehen, unsere Bestimmung zu wählen, anstatt Sklaven irgendeiner antiquierten Lebensweise zu sein.«

      Sarah gefiel die aufkommende Energie nicht. »Nakai, bring Phoebe zurück. Wartet im Auto auf mich.«

      »Ich will nicht gehen«, protestierte Phoebe.

      »Tu, was ich sage.« Sarahs Tonfall war streng.

      Phoebes herabgezogene Mundwinkel waren Beweis für ihren Unmut. Das Mädchen ließ sich von Nakai auf den Sattel seines Pferdes helfen, sodass sie gemeinsam zurückreiten konnten.

      Sarah sah zu, wie sie fortritten, während die Sonne ihren Abstieg über den Westhimmel antrat und die Findlinge und Felsnadeln in Schattierungen eines wütenden Feuers tauchte. Sie betrachtete den jungen Hopi eingehend. Er sah aus wie achtzehn, vielleicht neunzehn, und trug komplett schwarze Kleidung, die zu seinen Haaren und seinen Augen passte. Einfarbige grüne Adler und Ponderosa-Kiefern waren dilettantisch auf seine Unterarme tätowiert – zu Hause gestochen, vermutete sie. Im Widerspruch dazu besaß er eine schlanke, beinahe weibliche Knochenstruktur und glatte, rötlich-braune Haut, die aussah, als wäre noch nie auch nur ein einziges Haar auf ihr gewachsen.

      Er blickte nach Westen, die ungeschützten, zusammengekniffenen Augen auf den Himmelskörper gerichtet, der über dem Horizont schwebte. »Die Tour ist vorüber.«

      Sarah wusste es besser, als weitere Fragen zu stellen. Die Hopi waren notorisch verschlossen, besonders jene, die sich einer traditionellen Lebensweise verschrieben hatten. »Danke, dass du Phoebe das Leben gerettet hast. Wie kann ich mich revanchieren?«

      »Von Ihresgleichen will ich nichts.«

      »Ich werde mich nicht für meinesgleichen entschuldigen, besonders nicht, weil es viele gab, die Grenzen überschritten haben. Aber manche von uns haben nicht vor, eure Überzeugungen zu instrumentalisieren, sondern vielmehr, die Vergangenheit zusammenzufügen. Ich will doch meinen, dass das einen Wert für dich und dein Volk besitzt.«

      »Kein Interesse. Wir wissen alles, was wir über unsere Vergangenheit wissen müssen.«

      »In Ordnung.« Sie bestieg ihr Pferd. »Bereit, wenn du es bist.«

      Er nickte in Richtung des Blockfelds. »Wenn Sie mehr über diesen Ort wissen wollen, warum fragen Sie nicht das Mädchen?«

      Der Vorschlag verdutzte Sarah. »Das verstehe ich nicht.«

      Er schnalzte mit der Zunge und sein Pferd trottete über den gesprungenen Lehmboden auf den Pfad, dann im Galopp davon.

      Kapitel 3

      Sarah lag auf einer harten Matratze und starrte die Decke des Hogan an. Die nackten Holzbalken gingen wie Sonnenstrahlen von einer Öffnung in der Mitte aus, die es der Nachtluft ermöglichte, im kuppelförmigen Lehmgebäude zu zirkulieren. Sie sah durch das Rauchloch zum Nachthimmel. Der Regen hatte aufgehört und zurückgeblieben war ein Panorama aus in einem Strudel kosmischen Staubs gefangener Himmelskörper.

      Der Geruch von Wacholderglut hing vor ihrer Tür. Die Lagercrew saß noch immer am Feuer, aber sie hatte sich nach der Konfrontation früh zurückgezogen.