Daphne Niko

DER FEUERVOGEL


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Vergrößerung zeigten eine Farbabweichung zwischen den Buchstaben und den Flecken, die bei ihrer vorherigen Untersuchung mit einer Handlupe verborgen geblieben war. Die Buchstaben waren mitternachtsschwarz und die Flecken besaßen eine geringere Dichte und eine Braunfärbung.

      Das eine war Tinte, das andere Blut.

      Kapitel 6

      Progressive Navajo-Musik plärrte aus dem offenen Fenster des Jeeps. Nakai und zwei weitere Teammitglieder, ebenfalls Navajos, sangen die »alter-native« Melodie mit, spielten Luftschlagzeug zum Rhythmus. Der Albtraum von ’nem andern. Es tut zu weh, um den Albtraum von ’nem andern zu versteh’n.

      Daniel hinter dem Lenkrad war die Musik egal. Seine Gedanken drehten sich um Sarah. Trotz ihres Versprechens war sie nicht in Canyon de Chelly erschienen. Er schrieb ihr, vermutlich öfter, als er es hätte tun sollen, um zu erfahren, warum sie so spät dran war. Er erhielt keine Antwort.

      Er kannte sie gut genug, um zu erkennen, wenn sie von etwas besessen war. Ihre Theorie über Esteban zu beweisen hatte Vorrang vor einem Routinetag auf der Ausgrabung oder dem Beantworten von SMS. Einen Teil von ihm machte es wütend. Ein anderer Teil wollte es gar nicht anders.

      Er bog um sechzehn Uhr dreißig auf das Parkgelände des Camps ein. Die Nachmittagssonne brannte erbarmungslos. Es hatte seit drei Tagen nicht geregnet, lange genug, dass die schlimme Sommerhitze ihre Aufgabe, die trockenen Landstriche von Navajo Nation zu peinigen, wieder aufgenommen hatte. Direkt vor dem Camp bemerkte er einen schwarzen Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben, der zu sauber und neu war, um hierher zu gehören. Er erwartete niemanden, also tat er es als belanglos für den Lagerbetrieb ab.

      Daniel und die Crew schulterten Rucksäcke und Ausrüstung für den Gang zum Geräteschuppen, als jemand pfiff. Er sah über die Schulter zu einem Ureinwohner mit rundem Gesicht und einer dunklen Sonnenbrille, der einige Schritte vom Geländewagen entfernt stand.

      »Ist für mich«, sagte Nakai. »Das ist mein Cousin.«

      Daniel hätte sich nichts dabei gedacht, wären da nicht Sarahs Bemerkungen vom Abend zuvor gewesen. Jetzt löste der scheinbar harmlose Besuch ein Warnsignal aus. Er schob es beiseite, machte keine große Sache daraus.

      Während sich Nakai mit seinem »Cousin« traf, räumte Daniel alles auf und machte sich auf den Weg zum Labor. Wie er erwartet hatte, war Sarah dort, über den Probentisch gebeugt. Ihr Handy, mit seiner Reihe von Textnachrichten auf dem Home Screen, lag neben dem Computer am anderen Ende des Raums.

      Sie zuckte zusammen, als er ihr eine Hand auf den Rücken legte.

      »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

      »Du hast mir ganz schön Angst gemacht. Was tust du hier?«

      »Ich bin von der Ausgrabung zurück.« Er warf ihr Handy auf den Tisch.

      Sie sah auf die Nachrichten hinunter und, zweifellos, auf die Uhrzeit. »Es tut mir so leid, Danny. Ich hatte keine Ahnung, dass es so spät ist. Aber ich habe eine gute Entschuldigung.«

      Das Funkeln in ihren blauen Augen machte es unmöglich, sauer auf sie zu sein. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, beugte sich vor. »Was hast du?«

      »Ich hab das Holzfragment untersucht, um die Theorie zu beweisen, dass es ein Teil eines Kreuzes ist. Ich dachte, vielleicht gäbe es einige Schnitzereien von religiösen Symbolen, wie bei einem Kruzifix oder so.«

      Daniel zeigte auf die dünne weiße Schicht auf dem Holz. »Wenn überhaupt, dann wäre eine Zeichnung darauf gemalt worden.«

      »Oder in die Farbe gestempelt. Es ist natürlich nicht sofort sichtbar, aber wenn man es vergrößert …« Sie reichte ihm eine Lupe. »Was siehst du?«

      »Da sind Zeichen. Ganz schwach, aber sie sind da.« Er sah Sarah an. Sie strahlte. »Gute Arbeit, Dr. Weston.«

      »Die Stempelung ist nicht deutlich genug, um herauszufinden, was es bedeutet. Es würde helfen, ein weiteres Stück als Referenz zu haben.«

      Daniel sah seine Partnerin lange an, während sie die Geräte wegpackte. Ihr Gesicht war so blass, dass es durchscheinend war, ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie nicht viel geschlafen hatte. Der Schlamm auf ihrer Jeans und den Stiefeln, die sie achtundvierzig Stunden am Stück getragen hatte, war zur Farbe von Sand eingetrocknet. Ein leichtes Zittern hatte ihre Hände gepackt, vermutlich die Folge von zu viel Koffein und zu wenig Essen. Ohne Frage wurde sie von der wissenschaftlichen Untersuchung angetrieben, aber da war noch etwas anderes.

      »Hast du mit Phoebe gesprochen?«, fragte er.

      Sie hielt inne. »Noch nicht. Ich war hier beschäftigt.«

      »Gehst du ihr aus dem Weg?«

      »Nein, aber ich wage zu behaupten, dass das hier Vorrang hat.«

      Er zog eine Augenbraue nach oben.

      »Okay. Vielleicht gehe ich ihr aus dem Weg. Um die Wahrheit zu sagen, ich fürchte mich vor dem Gespräch. Ich weiß, dass es nicht gut laufen wird.«

      »Wie wär’s, wenn ich erst mal mit Nakai spreche? Ich muss ihn sowieso wegen seines Cousins fragen.«

      »Welcher Cousin?«

      »Ein Mann hat am Rand des Parkplatzes auf ihn gewartet. Er hat gesagt, es ist sein Cousin. Ich bin nicht sicher, was das zu bedeuten hat, aber ich habe vor, ein bisschen nachzubohren.«

      »Genau. Es wird nicht schaden, ein paar Informationen zu sammeln. Jede Art von Munition wäre gut.«

      Er zwinkerte. »Betrachte es als erledigt.«

      Daniel fand Nakai vor der Speisehütte, wo er eine Dose grünen Tee trank und Nachrichten schrieb – er schrieb dauernd Nachrichten.

      Daniel deutete auf den Klappstuhl mit Vinylbezug neben ihm. »Kann ich mich zu dir setzen?«

      Nakai sah nicht von seinem Handy auf. »Klar, nur zu.«

      »Wie geht’s deinem Cousin?«

      »Wa…?« Er riss den Kopf zu Daniel herum. »Oh, ja, Mitch. Ihm geht’s gut.«

      »Kommt er aus Ganado?«

      »Nein, von etwas weiter nördlich. Aus der Nähe von Black Mesa.«

      »Das ist ein weiter Weg, um Hallo zu sagen.«

      Nakai zuckte mit den Schultern und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Handy. »Er war in der Gegend. Hatte ein Carepaket von meiner Mutter.«

      »Ich dachte, deinen Eltern leben in Tuba City. Da bist du aufgewachsen, oder?«

      »Ja.« Er sah auf. »Woher kommt das plötzliche Interesse?«

      »Ein Anthropologe hört nie auf, Fragen zu stellen.«

      Die beiden waren einige Minuten still, während derer Nakai mit den flinken Fingern eines Illusionisten zwischen den Bildschirmen hin und her wechselte. Daniel sprach zuerst. »Hör mal, ich will dich was fragen. Ich mache mir in letzter Zeit ein bisschen Sorgen um Phoebe. Ich weiß, dass ihr miteinander redet, also dachte ich, du hast vielleicht etwas Input für mich.«

      Nakai schaltete das Handy mit einem Klicken aus. »Ich kann’s versuchen.«

      »Sie ist neuerdings so distanziert, besonders Sarah gegenüber. Hast du eine Ahnung, warum?«

      »Sie macht Einiges durch. Sie vermisst ihren Bruder. Und sie fühlt sich hier fehl am Platz.« Er wies mit der offenen Handfläche auf die roten Berge. »Das ist nicht gerade vertrautes Gelände für ein Kind, das am anderen Ende der Welt aufgewachsen ist.«

      »Es ist schlimmer geworden, nachdem ihr alle aus Blue Canyon zurückgekommen seid. Was ist dort passiert?«

      »Ihr Pferd ist davongerannt und sie hat Angst bekommen. Dann hatte sie einen Wortwechsel mit diesem Hopi-Kerl.«

      »Wer war das?«

      »Unser