Daphne Niko

DER FEUERVOGEL


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kümmern, bis er ankäme.

      Innerlich fühlte sie sich benommen, als ob sie vom Schauplatz eines Verbrechens floh. Dieser fremde Mann, der sie fuhr, der Tabakgestank, der von jeder Faser im Inneren des Geländewagens ausging, die unheilvollen Felsen, die sie umzingelten. Es war, als hätte sie die Realität einer anderen Person betreten, eine Welt, die von ihrer eigenen abgetrennt war. Und sie hatte es willentlich getan.

      Aber ja, rief sie sich in Erinnerung, sie musste es tun. Das letzte Gespräch mit Nakai hatte das entschieden.

      Früher am Abend hatte er zu ihr gesagt: »Ich habe Grund zu der Annahme, dass Daniel und Sarah dich ausspionieren. Wie es scheint, haben sie unser Gespräch neulich nachts belauscht.«

      »Woher weißt du das?«

      »Daniel weiß von der Vision. Er hat mich mit jeder Menge Fragen bombardiert. Ich hab ihm nichts erzählt.«

      »Tocho hat mich davor gewarnt. Er hat gesagt, dass ich es keinem verraten soll, weil es Menschen gibt, die die Information missbrauchen wollen. Das muss er damit gemeint haben.«

      Nakai wirkte aufgewühlt. »Tja, es war mir sehr unangenehm. Er gibt mir die Schuld für deine Spannungen mit Sarah.«

      »Das ist lächerlich.«

      »Trotzdem hab ich die Universität gebeten, mir was Neues zuzuweisen. Ich werde mir ein bisschen Zeit im Haus meiner Familie in Black Mesa nehmen, um über meinen nächsten Schritt nachzudenken. Ich gehe morgen – und ich komme nicht zurück.«

      Die Neuigkeit brach ihr das Herz. »Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen.«

      Er zögerte nicht. »Du kannst mitkommen, wenn du möchtest. Du wärst dort sicher. Und du kannst ein paar meiner Cousins und Freunde kennenlernen.«

      Phoebe hatte augenblicklich zugestimmt. Sarah und Daniel hatten sowieso vor, sie zurückzuschicken. Sie tat es eben zu ihren eigenen Bedingungen. Und außerdem war sie praktisch vierzehn. Die Zeit war gekommen, Kraft ihres eigenen Verstandes zu überleben, ohne jemandes Regeln oder Kontrolle.

      Es war die richtige Entscheidung. Sie wiederholte es im Stillen immer wieder, wie ein Mantra, und hoffte, dass es die Geister vertreiben würde.

      Kapitel 9

      Sarah suchte in jedem Mülleimer und jeder Schublade nach einer Nachricht von Phoebe. Es gab keine. Sie schrieb Nakai wieder an – wo zur Hölle steckte er? Sie setzte sich auf die Bettkante und ließ den Kopf in die Hände sinken.

      Daniel trat ein. »Wann kommt die Polizei?«

      »Weiß nicht. Die Dispatcherin hat gesagt, sie sind unterbesetzt. Sie konnte nicht versprechen, dass jemand vor dem Morgen kommt.«

      »Reservatspolizei. Die sind immer unterbesetzt.«

      »Wir können nicht warten.« Sarah rief die Tastatur ihres Handys auf. »Ich rufe das FBI an.«

      »Spar dir die Mühe.«

      Sarah und Daniel drehten sich zu der Stimme um. Nakai stand im Eingang.

      »Ich hab alles gesehen.«

      Sarah ging zur Tür. »Ich suche dich schon seit Stunden. Hast du meine SMS nicht bekommen?«

      »Tut mir leid. Mein Akku ist leer. Ich hab versucht, dem blauen Pick-up-Truck zu folgen, in den Phoebe eingestiegen ist.«

      »Welcher blaue Pick-up-Truck? Was hast du gesehen?«

      »Ich hab gerade den Müll rausgebracht, als ich sah, wie jemand sie auf den Beifahrersitz eines blauen Trucks schaffte. Ich kam nah genug ran, um das Nummernschild zu sehen.« Er drückte Sarah ein Stück Papier in die Hand.

      Sie faltete es auseinander und las: GZ 568.

      »Mein Onkel arbeitet für die DMV. Er hat die Nummer überprüft und sie ist auf einen Michael Gonzalez in Hotevilla, Arizona, registriert.«

      »Hotevilla.« Sie runzelte die Stirn. »Auf Hopi-Land?«

      »Ganz genau.«

      »Das ergibt keinen Sinn«, sagte Daniel. »Die Hopi sind friedliche Menschen. Zurückhaltende Menschen. So eine Nummer ist nicht ihr Ding.«

      »Nicht jeder, der vorgibt, friedlich zu sein, ist es auch.« Nakai hielt inne. »Ich denke, Phoebe hat etwas, das sie haben wollen.«

      »Warum sagst du das?«, fragte Sarah.

      »Wegen dem, was in Blue Canyon passiert ist. Phoebe hat etwas gesehen, das sie nicht hätte sehen sollen. Der Hopi-Führer hat sie ernsthaft gewarnt, hat ihr gesagt, dass sie es keiner Menschenseele verraten darf. Das hat sie mir zumindest erzählt.«

      Aufgebracht kam Sarah ihm ganz nah. »Was hat sie dir sonst noch erzählt? Ich muss es wissen.«

      »Ich kann ihr Vertrauen nicht verletzen. Tut mir leid.«

      »Das Mädchen wird vermisst, Nakai.« Sarah wurde lauter. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Geheimnisse.«

      »In Ordnung. Sie hatte eine Art Vision. Mehr weiß ich nicht.«

      »Ich glaube dir nicht.« Ihre zusammengebissenen Zähne ließen die Worte verzerrt klingen.

      Daniel mischte sich ein. »Du hast gesagt, dass du versucht hast, dem blauen Truck zu folgen. Wohin ist er gefahren?«

      »Er fuhr die 264 runter und ist nach Hotevilla abgebogen. Da hab ich die Spur verloren.«

      »Warum bist du ihm nicht in den Ort gefolgt?«

      »Glaub mir, ich bin da nicht willkommen. Ich hab mich dazu entschieden, das Reservat und die Sitten meines Volks hinter mir zu lassen, damit ich im System des Weißen Mannes unterrichtet werden kann. Unter Traditionalisten gleicht das Hochverrat. Um es noch schlimmer zu machen, studiere ich Archäologie.«

      Letzteres musste er nicht erklären. Es war kein Geheimnis, dass indigene Völker ein tiefes Misstrauen für diejenigen hegten, die die Vergangenheit ausgruben. Ihrem Glauben nach mussten Relikte der Vorfahren bleiben, wo sie lagen. Nicht nur störten die Ausgrabungen die Ahnen, sie machten ihr Erbe auch jenen zugänglich, die kein Recht darauf hatten. Menschen, die ihren mündlichen Überlieferungen und ihren Instinkten vertrauten, ohne einen Beweis dafür zu brauchen, konnten mit der westlichen Idee, um jeden Preis zu erfahren, was in der Vergangenheit geschehen war, nichts anfangen.

      »Danke, Nakai«, sagte Sarah. »Wir übernehmen das jetzt.«

      »Eine Sache noch.« Er zog einen Gegenstand aus seiner Tasche. »Ich hab das vor dem Hogan gefunden.«

      Sarah begutachtete die zehn Zentimeter große Holzschnitzerei einer Puppe mit dem Kopf eines Vogels und dem Körper eines Mannes. Kreuze markierten ihre Augen und Federn dekorierten ihren Kopf. »Eine Kachina-Figur.« Sie wandte sich Daniel zu. »Hopi, dem Aussehen nach.«

      Daniel nahm sie in die Hand und musterte sie rundherum. »Der Roadrunner.« Er beäugte Nakai. »Das hast du draußen gefunden, sagst du?«

      »Genau.«

      »Überlass sie mir. Ich will sie mir genauer ansehen.«

      »Wie du willst.« Nakai verließ den Hogan.

      Sarah wandte sich an Daniel. »Danny, denkst du …«

      Er legte einen Finger an die Lippen und sah über die Schulter zum Fenster hinaus. »Hier sind zu viele Ohren. Wir besprechen das unter vier Augen.«

      Kapitel 10

      Der Highway 264, die Straße, die ins Reservat der Hopi führte, zerteilte trockenes Land, das mit der spärlichen Vegetation der Wüste gesprenkelt war. Es war ein trostloser, baumloser Ort, gelb vor Durst und von der Sonne bis zum Rand der Unfruchtbarkeit ausgedörrt. Noch schlimmer: Er war von Navajo-Land umgeben – eine Anomalie innerhalb eines Gebiets, das sonst voller Berge, Flüsse und Ackerflächen