Daphne Niko

DER FEUERVOGEL


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waren, Felsen und vertrockneter Erde eine Existenz abzuringen. Sarah wehrte sich gegen dieses Gefühl, denn sie wusste, dass die Hopi es anders sahen. Sie waren ein stolzes Volk, das sich entschieden hatte, mit Entbehrungen zu leben, damit sie nicht zu selbstzufrieden oder undankbar wurden – Eigenschaften, die das Ende ihrer Spiritualität anzeigen würden.

      Sarah griff in ihre Tasche, um die Kachina-Figur herauszuholen, und betrachtete sie. Es gab schönere Kachinas, doch diese hier war authentisch, mit groben Messerspuren geschnitzt und mit Farben bemalt, die vermutlich aus der Natur stammten. Der Kopf hatte die Farbe von Asche, der Schnabel war schwarz. Der Oberkörper war nackt, aber mit Armbändern und Schärpen geschmückt, und der Unterkörper war mit einem Rock bedeckt. Verblichene braune Federn bedeckten den Ober- und Hinterkopf der Figur.

      Daniel richtete seinen Blick von der Windschutzscheibe auf den Beifahrersitz. »Sieht ein wenig bedrohlich aus, findest du nicht? Ich kann verstehen, warum sie als Beschützer eingesetzt wird.«

      Sarah löste den Blick nicht von der Figur aus Pappelholz. »Ich frage mich, warum eine Puppe, die Zauberei abwehren soll, vor Phoebes Zimmer gefunden wurde.«

      »Kann ich dir nicht sagen.« Er nickte zu einer Straße links von ihnen. »Finden wir heraus, was unsere Freunde in Hotevilla dazu meinen.«

      Er bog ins Dorf auf der dritten Mesa ein und hielt an einer kleinen Tankstelle, um vollzutanken. Auf der anderen Seite der staubigen Straße stand ein Schild mit handschablonierten Buchstaben, das verkündete: »Willkommen in Hotevilla. Bilder machen verboten.« Sarah ging hinein, um zu bezahlen und um die Besitzerin, eine rundliche junge Frau, nach der Warnung zu fragen.

      Die Frau stellte keinen Augenkontakt her. »Nein, keine Fotos. Auch keine Zeichnungen oder Skizzen. Oder Notizen. Das verstößt gegen unsere Gesetze.«

      Sarah gab ihr dreißig Dollar für das Benzin. »Kennen Sie zufällig einen Mann namens Michael Gonzales?«

      Die Frau tat so, als richtete sie das Tabakregal gerade.

      »Bitte. Ich habe etwas, das ihm gehört, und möchte es gern zurückgeben.«

      Das Mädchen warf Sarah einen verstohlenen Blick zu. »Er hat in Oraibi gelebt. Aber er ist vor vielen Jahren gestorben.«

      Sarah ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. »Danke. Guten Tag.«

      Oraibi befand sich noch einige Meilen weiter den zweispurigen Highway hinunter. Das Dorf lag vom Highway zurückversetzt und wurde über eine unbefestigte Straße erreicht, die zu einem zentralen, runden Platz führte, wo eine Handvoll Autos geparkt stand.

      Daniel hielt den Jeep am Rand der Straße an und die beiden gingen zu Fuß weiter. Es war Vormittag und alles war still, abgesehen von ein paar Hunden, die um ein Stück Irgendwas stritten. Von ihrem Standpunkt aus konnte Sarah quasi das ganze Dorf und bis hinunter ins Tal sehen. Hier lebten vermutlich fünfundzwanzig Familien, die alle strenge Traditionalisten waren, wie sie gehört hatte.

      »Vielleicht können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen«, sagte Daniel. »Nakai hat erwähnt, dass Tocho aus Oraibi stammt.«

      »Hoffen wir mal, dass das nicht noch eine weitere Lüge war.«

      Die winzigen Gebäude, aus heimischem Stein und Lehmmörtel gebaut, waren in miserablem Zustand oder fielen regelrecht auseinander. »Dieser Ort hat sich seit Anbruch des zwölften Jahrhunderts nicht sehr verändert«, sagte Daniel.

      »Sind diese Häuser noch bewohnt?«

      »Viele von ihnen schon. Die Menschen leben wie ihre Vorfahren. Und sind auch ziemlich stolz darauf.«

      Sie folgten einem unbefestigten Weg zu einem offenen Bereich, der vermutlich als Platz für Zeremonien und Feste diente. Nichts war gepflastert und wahllose Gegenstände – von Tonscherben über Müll zu zerbrochenen Pfeilen – lagen dort, wohin sie gefallen waren. Ein kühler Windstoß hob den Staub vom Boden. Die rauen Partikel kratzten über Sarahs Haut und verkündeten den Beginn von etwas.

      Sie überquerten den Platz und standen am Rand der Hochebene. Jenseits eines Schildes, das mitteilte, dass es Fremden verboten war, weiterzugehen, lagen die Ruinen eines Gebäudes. Sarah erinnerte sich an die Geschichte. Die Spanier waren im siebzehnten Jahrhundert in diesen Teil Arizonas gekommen, wollten die »Eingeborenen« über die Religion des Königs belehren und sie von allem Gold erleichtern, das zufälligerweise in ihren Städten gelagert war. Letzteres fanden die Spanier nicht. Was sie fanden, waren warmherzige Menschen, die ihre Schätze, so bescheiden sie auch waren, gern teilten. Für ihre Großzügigkeit wurden die Hopi mit aufgezwungener Gottesverehrung und neuen Regeln belohnt; um beides hatten sie nicht gebeten.

      Sarah lächelte beim Anblick der verfallenen Missionskirche, die die Spanier gebaut und die Hopi, überaus siegreich, während des Aufstands von 1680 zerstört hatten. Sie erzählte vom Mut dieser Menschen, die sich, wenngleich äußerst friedfertig, nicht unsinnigen Doktrinen anderer beugten.

      Zwei junge Mädchen liefen vorbei; sie beschrieben einen weiten Bogen um Daniel und Sarah. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte Sarah, dass sie sie anstarrten. Als sie zu ihnen hinsah, um sie zu grüßen, wandten sie die Augen ab und gingen schneller.

      Einige Meter entfernt stand ein Mann auf dem flachen Dach eines zerfallenden Steinhauses und überblickte die Gegend. Daniel ging auf ihn zu.

      »Guten Morgen, Sir«, rief er. »Wir suchen die Angehörigen von Michael Gonzales. Könnten Sie uns wohl sein Haus zeigen?«

      Der Mann machte ein finsteres Gesicht. »Ich kenne niemanden dieses Namens.« Er drehte sich um und stieg über eine Holzleiter auf die untere Ebene hinunter.

      »Ich will doch meinen, dass hier jeder jeden kennt«, sagte Sarah.

      »Oh, das stimmt. Sie wollen bloß nichts darüber erzählen.«

      Ein verwahrloster Streuner schnüffelte an Sarahs schmutzigen Lederstiefeln. Sie streckte sich, um seinen Kopf zu streicheln. Der Hund leckte ihre Hand ab und trottete über einen schmalen Weg davon, wo ein alter Pick-up-Truck vor einem Betonsteinhaus geparkt war. Ein Cowboystiefelpaar hing vom Rand der Ladefläche. Sie registrierte das Nummernschild – GZ 568 – und bedeutete Daniel, ihr zu folgen.

      Der Mann, der zu den Stiefeln gehörte, war über eine Holzschnitzerei gebeugt, an der er mit einem Taschenmesser arbeitete. Neben ihm standen Kachina-Figuren in unterschiedlichen Fertigstellungsstadien.

      »Die sind wunderschön«, sagte Sarah. »Darf ich sie mir ansehen?«

      Er zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder seiner Schnitzerei.

      Sie zeigte auf eine schmale Figur, die einen Umhang trug, eine blaue Maske mit schwarzen Federn und einen Korb aus grünen Blättern. »Die Krähen-Mutter«, sagte sie. »Jene, die Yucca-Blätter bringt, mit denen die Jungen gegeißelt werden.«

      Der Mann sah auf, betrachtete die Besucher mit einem argwöhnischen Blick.

      »Vielleicht können Sie uns helfen, guter Mann.« Der Wind blies Daniel das ungekämmte Haar ins Gesicht und über den Hals. »Wir suchen nach einem Mädchen, das verschwunden ist. Sie wurde das letzte Mal in einem Truck ähnlich Ihrem gesichtet. Haben Sie sie gesehen?«

      »Es gibt viele Trucks wie diesen im ganzen Reservat. Bringen Sie Ihre Anschuldigungen woanders vor.«

      »Niemand zeigt hier mit dem Finger auf irgendwen. Wir folgen einfach nur einer Spur.« Er griff in seinen Rucksack und holte die Kachina heraus. »Haben Sie eine Idee, was das ist?«

      Die Augen des Mannes weiteten sich. »Woher haben Sie die?«

      »Erst meine Frage.«

      »Das geht Sie nichts an. Sie würden es sowieso nicht verstehen.«

      »Versuchen Sie es doch.«

      »Ich habe diese Kachina selbst hergestellt, zur Verwendung in unseren Zeremonien. Sie wurde vor einiger Zeit gestohlen.« Er streckte seine Hand aus. »Geben Sie sie zurück.«

      Daniel zog sie fort. »Nicht so schnell. Erst will ich